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Die Russland-Versteher

Sabine Kinkartz (z.Zt. Rostock)1. Oktober 2014

Die Beziehungen zwischen der EU und Russland sind auf einem Tiefpunkt angekommen. Auf dem Russland-Tag in Mecklenburg-Vorpommern war davon aber wenig zu spüren - auch wegen Alt-Kanzler Gerhard Schröder.

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Russland-Tag in Rostock-Warnemünde 1.10.2014
Bild: picture-alliance/dpa

Die Menschen in Norddeutschland sind dafür bekannt, dass sie sich so leicht nicht aus der Ruhe bringen lassen. Vielleicht ist das ein Erklärungsansatz dafür, dass die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern ihren lange geplanten Russland-Tag trotz massiver Kritik nie richtig in Frage stellte. Im Gegenteil.

Trotz wochenlanger Appelle vor allem von der CDU und den Grünen, die Veranstaltung angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine und der gegen Russland verhängten Sanktion abzusagen, beharrte Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) darauf, dass das Wirtschaftstreffen in Rostock-Warnemünde gerade in schwierigen Zeiten "einen kleinen Beitrag zum gegenseitigen besseren Verständnis" leisten könne. "Wir werden hier und heute keine außenpolitischen Konflikte lösen können", sagte Sellering auch auf dem Russland-Tag immer wieder.

Gerhard Schröder auf dem Russland-Tag

Dialog statt Sanktionen

Genau dieser Meinung ist auch Gerhard Schröder. Der Alt-Bundeskanzler trat als Hauptredner in Warnemünde auf und bedankte sich gleich zu Beginn bei Sellering, dass dieser "standhaft geblieben" sei und sich nicht "wie ein Blatt im Wind" habe beeinflussen lassen. "Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Veranstaltung richtig ist und auch zum richtigen Zeitpunkt stattfindet", sagte der SPD-Politiker, der persönlich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin befreundet ist und nach dem Ende seiner politischen Karriere Aufsichtsratsvorsitzender der Nordstream AG wurde, die russisches Gas nach Deutschland liefert.

"Dialog sollte und muss gerade in schwierigen Zeiten geführt werden. Wenn nicht jetzt - wann dann?" Mit Kritiklosigkeit habe das nichts zu tun. Er sei stolz darauf, als "Russland-Versteher" zu gelten, sagte er. Russland fühle sich schon seit den Zeiten Napoleons vom Westen bedroht. Dies müsse man bei seinem Handeln im Hinterkopf haben. "Dialog bedeutet vor allem, dass man versucht, unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen, Vertrauen wieder aufzubauen und Kompromisse zu finden."

Aus der Spirale herausfinden

Wie aber können diese Kompromisse aussehen? Auf die Wirtschaft sollte bei dieser Frage möglichst viel Rücksicht genommen werden, dieser Ansatz zog sich in Warnemünde wie ein roter Faden durch alle Vorträge und Gespräche. "Die gegenseitigen Sanktionen schaden beiden Seiten immens", sagte Gerhard Schröder. "Deswegen mahne ich an, dass sowohl die russische als auch die europäische Politik aus der Spirale von immer schärferen Wirtschaftssanktionen herausfinden müssen." Es sei bedauerlich, dass nach der Einigung auf einen Waffenstilstand in Minsk eine neue Runde der Sanktionen in Kraft gesetzt worden sei. "Mein Rat wäre ein anderer gewesen."

Schröder betonte die Bedeutung einer wirtschaftlichen Verflechtung mit Russland, mit dem Europa gemeinsame Interessen habe. "Wir sind gut beraten, diese Energie- und Rohstoffpartnerschaft weiter auszubauen - nicht nur, weil Russland ein verlässlicher Lieferant war, ist und bleibt, sondern auch, weil unsere deutsche Industrie auf diese Rohstoffe, dabei geht es nicht nur um Öl und Gas, existenziell angewiesen ist."

Regionale Interessen wiegen schwer

Auch Mecklenburg-Vorpommern hat nach den Worten seines Regierungschefs "ein vitales Interesse" an guten Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Im vergangenen Jahr wurden im Außenhandel mit Russland Waren im Wert von 636,9 Millionen Euro im- beziehungsweise exportiert. Die Hälfte der Summe entfiel auf Importe von Mineralölerzeugnissen, Erdöl und Erdgas sowie Düngemitteln. Im Gegenzug exportierte das deutsche Bundesland Eisen-, Blech- und Metallwaren, Käse und pflanzliche Nahrungsmittel. Damit lag Russland 2013 auf Platz vier der wichtigsten Außenhandelspartner. Im ersten Halbjahr 2014 war es sogar Platz zwei im Länderranking.

Insgesamt unterhalten mehr als einhundert Unternehmen aus Mecklenburg-Vorpommern Außenhandelsbeziehungen mit Russland. Doch das ist noch nicht alles. Eine Reihe wichtiger Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern haben inzwischen russische Eigentümer: die Nordic-Werften in Wismar, Warnemünde und Stralsund, sowie der Holzverarbeiter Illim Timber in Wismar. Schließlich ist Lubmin der Anlandepunkt der Ostseepipeline Nordstream, durch die russisches Gas nach Deutschland fließt.

Grüne demonstrieren gegen Russland-Tag in Rostock-Warnemünde
Einsamer Protest: Grüne Demonstranten in WarnemündeBild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

"Jeder Arbeitsplatz ist wichtig", sagt der Präsident der Industrie- und Handelskammer Rostock, Claus Ruhe Madsen. "Viele Vertreter der hiesigen Unternehmen haben uns während der vergangenen Monate darin bestärkt, wie wichtig der Russland-Tag als Symbol für eine weitere Stabilität unserer gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen ist." Viele dieser Unternehmer kamen auch nach Warnemünde. Die Organisatoren, die Landesregierung, das Ostinstitut Wismar, sowie die drei Handelskammern von Mecklenburg-Vorpommern hatten mit 250 Teilnehmern gerechnet. Am Ende waren es mehr als 400, die sich anmeldeten, ein Viertel davon aus Russland.

Appell des russischen Botschafters

Nach den Reden am Vormittag standen in der zweiten Hälfte des Russland-Tages acht Branchenworkshops auf dem Programm, die sich mit weiteren deutsch-russischen Kooperation beschäftigen sollten. Themen waren unter anderem die maritime Wirtschaft, Logistik und Hafenwirtschaft, Energie und Energietechnik sowie Land- und Forstwirtschaft. Wolfgang Clement, der unter Kanzler Gerhard Schröder Bundeswirtschaftsminister war, leitete den Workshop "Marktzugang und Marktentwicklung in Russland und Mecklenburg-Vorpommern".

Russland-Tag in Rostock-Warnemünde
Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Der russische Botschafter in Deutschland, Wladimir Grinin, warnte in Warnemünde vor einer weiter rückläufigen Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland. Der Warenumsatz habe sich im ersten Halbjahr 2014 um 6,5 Prozent verringert. Betroffen sei vor allem der deutsche Export, der im Juli um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gefallen sei. Über das ganze Jahr gesehen könnte der Export um bis zu 25 Prozent sinken. Problematisch sei vor allem das verschwundene gegenseitige Vertrauen. "Dies wieder herzustellen, ist wesentlicher schwerer als nur die ökonomischen Wunden zu behandeln."

Russland sei sich im Klaren darüber, dass es ohne eine internationale Zusammenarbeit nicht auskommen könne. "Es wäre naiv zu glauben, dass wir uns im Rahmen der Globalisierung auf eigener Basis entwickeln könnten." Russland sei weiter offen für die deutsche Wirtschaft und die deutschen Unternehmen und werde viel dafür tun, um das Investitionsklima zu verbessern. Russland wolle die Sanktionen nicht und wolle auch keine Gegenmaßnahmen ergreifen. "Wir haben die Kraft und die Mittel, um die Sanktionen zu neutralisieren, aber wir würden die Mittel lieber dafür einsetzen, unsere Strukturen im Land weiter zu entwickeln."

Freihandel von Lissabon bis Wladiwostok

Strukturen weiter zu entwickeln, das schwebt auch Alt-Kanzler Schröder vor. Die EU hätte schon vor Jahren erkennen müssen, dass sie nicht nur mit der Ukraine, sondern auch mit Russland über ein Assoziierungsabkommen hätte verhandeln müssen, kritisiert er. "Wir brauchen eine solche Assoziierung von Russland und der EU, um Frieden, Stabilität und Wohlstand auf dem ganzen Kontinent zu sichern: Um alle völkerrechtlich umstrittenen Probleme und Konflikte zu lösen – kooperativ, statt konfrontativ." Dann könnte auch eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok geschaffen werden. Gelinge das alles nicht, da ist sich Schröder sicher, dann werde Russland seine Zukunft nicht in Europa, sondern in Asien sehen.