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Politik

"Saudis werden einen Sündenbock präsentieren"

17. Oktober 2018

Der im deutschen Exil lebende Prinz Khalid bin Farhan al-Saud erhebt schwere Vorwürfe gegen Kronprinz Mohammed bin Salman: Dieser trage die Verantwortung für den mutmaßlichen Mord an Jamal Khashoggi.

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Türkei - Konsulat von Saudi-Arabien in Istanbul
Am Ort der mutmaßlichen Tat: Türkischer Polizist am saudi-arabischen Konsulat in IstanbilBild: picture-alliance/dpa/AP/P. Giannakouris

Deutsche Welle: Prinz Khalid, Sie verfolgen die Affäre Khashoggi genau. Wie sehen Sie die jüngste Entwicklung des Falls?

Khalid bin Farhan: Sagen kann ich, dass Khashoggi Beziehungen zur Königsfamilie hatte und sich dagegen verwahrte, als Oppositioneller bezeichnet zu werden.  Er stellte für das Königshaus keinerlei politische Gefahr dar. Selbst in seiner Kritik war er zurückhaltend. Ich nehme nicht an, dass er die saudische Regierung direkt attackierte.

Welche Informationen haben Sie genau?

Ich kenne die Mentalität des politischen Führers in Saudi-Arabien, die Mentalität von König Salman. Er regiert die Provinz Riad seit 50 Jahren. Er wandte Gewalt an, weil er keinerlei politische Erfahrung besaß, aber mit großer Machtfülle ausgestattet war. Als er schließlich König wurde, verfolgte er denselben politischen Stil - auch in internationalen Angelegenheiten.

Heißt das, dass wichtige Anweisungen immer von ganz oben kommen - in anderen Worten, von König Salman?

Ganz genau. Wir kennen alle das Schicksal der Oppositionellen, die aus Europa entführt wurden - entführt auf Anweisung des Königs. Die bedeutenden Oppositionellen wurden auf Anweisung des Königs persönlich bestraft. Der König ist es, der die Befehle gibt. Das gilt auch im Hinblick auf Jamal Khashoggi, den weltweit bekannten Autor der "Washington Post". Wenn eine derartige Aktion stattfindet, dann setzt das natürlich die Zustimmung des Regierungschefs voraus. Ich sage nicht, dass König Salman direkt involviert ist. Ich sage aber, dass der Beschluss und die Durchführung auf seinen Sohn Mohammed zurückgehen.

Screenshot DW Video: Khaled bin Farhan Alsaud
Erhebt schwere Vorwürfe: Khales bin Farhan al SaudBild: DW

Wie sehen Sie den Besuch des amerikanischen Außenministers Pompeo in Riad und sein Gespräch mit Mohammed bin Salman und seine anschließende Reise in die Türkei?

Zunächst: Mohammed bin Salman ist für die Regierung Trump von größter Bedeutung, und zwar aus finanziellen ebenso wie militärischen Gründen. An erster Stelle wegen des so genannten "Jahrhundert-Deals" (der Idee, die Palästinenser aus ihren Autonomiegebieten auf die Sinai-Halbinsel zu bringen und das frei gewordene Gebiet Israel zu überlassen, Anm. d. Red.). Auf einen leicht zu beeinflussenden und zu steuernden Menschen wie Mohammed bin Salman zu verzichten, könnte sich die amerikanische Regierung kaum leisten. Ich glaube darum, dass es bei Pompeos Reise darum geht, den Kronprinzen an der Macht zu halten, um so die Pläne weiter verfolgen zu können.

Wie sollte das gehen?

Sie werden natürlich versuchen, der Welt einen Sündenbock zu präsentieren - etwa in dem Sinn, dass die Aktion auf einen Mitarbeiter des saudischen Geheimdienstes zurückgehe. So könnten sie etwa den Konsul in Istanbul und die 15 Personen beschuldigen, die an dem Verbrechen unmittelbar beteiligt waren. Auf diese Weise ließen sich König Salman und Kronprinz bin Salman aus den Anschuldigungen heraushalten.

Inwieweit kann die Affäre dazu beitragen, die existierenden Risse innerhalb der Herrscherfamilie zu vertiefen?

Die Königsfamilie wurde durch das Verbrechen an Khashoggi und die darüber zirkulierenden Nachrichten auf eine nie dagewesene Weise bloßgestellt. Denn wenn ein Staat einen seiner Bürger entführt, tötet und zerstückelt, stehen wir vor einer Mafiaorganisation und nicht einer legitimen Regierung.

Allerdings ist der Fall noch nicht aufgeklärt. Wie kommen Sie zu der Aussage, das Khashoggi tatsächlich getötet wurde? Beziehen Sie sich auf entsprechende Meldungen der türkischen Medien? Oder haben Sie eigene Informationen?

Gegen die saudische Regierung werden schwere Vorwürfe erhoben. Ebenso gibt es einen großen Medienaufruhr. Wenn Khashoggi nicht getötet wurde, wo sollte er dann sein? Er betrat das Konsulat seines Landes - das ja die Pflicht hat, ihn im Ausland zu beschützen -, hat dieses dann aber nicht mehr verlassen. Seine Verlobte wartete auf ihn, auch vertraute er ihr vor dem Betreten sein Telefon an. Das ist nun zwei Wochen her. Wenn Khashoggi nicht tot ist - wohin ist er dann gegangen?

Saudi Arabien Treffen US-Aussenminister Pompeo und dem König Salman
Im Dienste der Wahrheitsfindung? US-Außenminister Mike Pompeo im Gespräch mit dem saudischen König SalmanBild: picture-alliance/AP Images/L. Millis

Eine Frage zu Ihnen: Hat der Fall Khashoggi Ihr Gefühl bestärkt, in Deutschland in Sicherheit zu sein? Oder sind Ihre Sorgen um Ihre persönliche Sicherheit gestiegen?

Ich werde seit langem verfolgt und bedroht. Andere Menschen könnten dadurch Angst empfinden. Ich sehe aber, dass die Regierung nun im Licht der Öffentlichkeit steht. Außerdem stehe ich in ständigem Kontakt mit der deutschen Polizei, ich habe eine persönliche Nummer, über die ich die Polizei jederzeit erreichen kann. In der Nähe meines Hauses steht ständig ein Polizeiwagen. Ich fühle mich sicher. Beängstigend ist allerdings die kopflose Mentalität des derzeitigen saudischen Herrschers. Er bedenkt die Folgen seines Handelns nicht. Das veranlasst mich, bisweilen vorsichtig zu sein. Wäre er ein vernünftiger Mensch und bedächte die Folgen seines Handelns, würde ich mich entspannter fühlen.

Glauben Sie, dass sich der Umgang der internationalen Staatenwelt mit Saudi-Arabien nach der Affäre Khashoggi ändern wird? 

Die Vereinigten Staaten wie auch jeder andere Staat, der einzeln mit Saudi-Arabien Umgang pflegt, wird weiter seinen Interessen folgen. Sollte der amerikanische Kongress aber Sanktionen gegen Riad verhängen, könnte dies nicht einmal Donald Trump verhindern. 

Türkei Istanbul Konsulat Saudi-Arabien | Untersuchungen Jamal Khashoggi
Spurensuche: Türkische Polizeifahrzeuge vor dem saudischen Konsulat in IstanbulBild: Getty Images/AFP/Y. Akgul

Welche Botschaft möchte Sie der saudischen Herrscherfamilie wie auch der ins Ausland geflohenen Opposition zukommen lassen?

Ich sage König Salman, dass es keineswegs sicher ist, dass das Königreich friedlich bleiben wird. Alle deine Brüder (hier wendet sich Prinz Khaled persönlich an den König, Anm. d. Red.) waren König, und auch du wurdest König. Es ist aber keineswegs sicher, dass auch deine Enkel Könige sein und ihre Herrschaft weitergeben werden. Es gibt in deiner Familie Personen von hoher Kultur, sehr guter Ausbildung und einer menschlichen Seite. Sie sind in der Bevölkerung und der Familie gleichermaßen anerkannt. So ist dein Bruder Ahmed bin Abd-al Aziz ein Mann von gutem Charakter. Du weißt das ebenso wie die Familie und die saudische Bevölkerung es wissen. Es wäre klug - wenn es denn Klugheit gibt -, ihm in dem stürmischen Fahrwasser das Ruder zu überlassen. Die gesamte saudische Bevölkerung wird sich um Prinz Ahmed versammeln, und alle werden wir die Jahre, in denen Salman und sein Sohn regierten, als abgeschlossen betrachten. Prinz Ahmed wird ein König "von Gottes Gnaden" sein und die gesamte politische Ordnung verändern, und zwar so, wie es der saudischen Bevölkerung entspricht. Er wird unseren Staat erhalten, der ein arabischer und islamischer Staat bleiben wird.

Prinz Khalid bin Farhan al-Saud lebt als Dissident im deutschen Exil. Er und seine Familie stehen unter dem Schutz des deutschen Staates. Khalid bin Farhan tritt seit Jahren für Reformen im saudischen Königreich ein.

Das Interview führte Dima Tarhini. Aus dem Arabischen von Kersten Knipp

Massaiya DW Moderatorin Dima Tarhini (Composite)
Dima Tarhini Moderatorin und Journalistin