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Die SPD setzt auf Sieg und Scholz überrascht

20. September 2021

Die SPD liegt in Wahlumfragen vorne. Jetzt nur keine Fehler machen, heißt es bei den Genossen. Auch nicht im Finanzausschuss, in den Kanzlerkandidat Olaf Scholz eingeladen war. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Olaf Scholz beim Finanzausschuss
Bild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

An diesem Montagmorgen ist Olaf Scholz eine List gelungen. Vor laufenden Kameras echauffieren sich Abgeordnete des Bundestags-Finanzausschusses darüber, dass ihnen der Bundesfinanzminister nicht persönlich Rede und Antwort stehen, sondern nur per Videokonferenz aus dem Wahlkampf in Süddeutschland zur Verfügung stehen will. Während sie noch von einer Missachtung des Parlaments sprechen, taucht der Gescholtene plötzlich durch einen Seiteneingang im Saal auf - persönlich.

Eine faustdicke Überraschung. Hatten die Abgeordneten doch schon öffentlich damit gedroht, den SPD-Kanzlerkandidaten per Beschluss aus dem 700 Kilometer entfernten Tübingen nach Berlin zu zitieren. Solche Bilder wollte Scholz nicht riskieren und nun hatte er es sogar geschafft, dem Ausschuss ein bisschen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Hat Olaf Scholz seine Aufsichtspflicht verletzt?

Aber tatsächlich nur ein bisschen. In der Sache selbst blieben die Parlamentarier unbeeindruckt. Sie hatten die Sondersitzung kurzfristig anberaumt, nachdem die Staatsanwaltschaft Osnabrück am 9. September das Bundesfinanzministerium durchsucht hatte. Mit der spektakulären Razzia wollten die Ermittler Beweise in einem Verfahren gegen die Financial Intelligence Unit (FIU) in Köln sicherstellen.

Das Bundesfinanzministerium hat die Rechtsaufsicht über die Anti-Geldwäsche-Behörde, muss also darauf achten, dass die FIU ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt. Doch die Behörde versagt immer wieder eklatant - Kritiker sagen, weil sie personell und organisatorisch schlecht aufgestellt sei.

1,7 Millionen Euro nach Afrika transferiert

Die Staatsanwaltschaft ermittelt, nachdem einer Osnabrücker Bank Geldtransfers nach Afrika über insgesamt 1,7 Millionen Euro aufgefallen waren. Die Bank vermutete Geldwäsche und machte Meldung an die FIU, doch die Kölner Behörde leitete den Verdacht nicht an die Ermittlungsbehörden weiter. Kein Einzelfall. 2020 leitete die FIU von 144.000 Verdachtsmeldungen nur 17 Prozent an Polizei und Staatsanwaltschaft weiter.

Die FIU arbeitet mit einem "risiko-orientierten Ansatz". Die Meldungen werden - auch computerbasiert mit künstlicher Intelligenz - auf relevante Hinweise untersucht. Nur Fälle, die in diesem Filtersystem auffällig sind, werden an zuständige Ermittlungsbehörden weitergegeben. Der risikobasierte Ansatz ist umstritten. Das Bundesjustizministerium hält ihn für nicht vereinbar mit dem Geldwäschegesetz.

Scholz wiegelt ab

Knapp drei Stunden dauert Scholz' Befragung durch den Finanzausschuss. Die Oppositionsparteien FDP, AfD, Linkspartei und Grüne, aber auch die bislang mit der SPD regierende CDU/CSU wollen von Scholz wissen, ob er seine Aufsichtspflicht gegenüber der FIU nicht ordnungsgemäß wahrgenommen habe. Einer Behörde gegenüber, die auch im Wirecard-Finanzskandal nachweislich eine unrühmliche Rolle gespielt hat.

Olaf Scholz beim Finanzausschuss
Nach der Ausschuss-Sitzung beantwortet Olaf Scholz Fragen der PresseBild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

Scholz wiegelt ab. Die FIU funktioniere und arbeite mit anderen Behörden zusammen, die Arbeitsprozesse würden ständig optimiert, so dass Straftäter nicht unentdeckt blieben, sagt er später vor dem Sitzungssaal in die laufenden Kameras. Die Behörde sei technisch, aber auch personell erheblich aufgestockt worden. Das Meldevolumen bei der FIU habe sich bereits von 50.000 auf 150.000 verdreifacht. In nächster Zeit erwarte er eine weitere Verdoppelung der Meldungen.

"Ärgerlicher" Auftritt

Mit diesen Antworten sind die Abgeordneten alles andere als zufrieden. "Statt zur Aufklärung und echten Fehleranalyse beizutragen, hat Olaf Scholz die heutige Sitzung für seine Selbstdarstellung genutzt", kritisiert die grüne Abgeordnete Lisa Paus, die von "organisierter Verantwortungslosigkeit" und einem "Geldwäsche-Sumpf" spricht.

Der Auftritt sei "ärgerlich" gewesen, sagt der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach. Der Minister habe um alles "herumgeredet" und nichts gesagt, was in der Sache Aufklärung bringe.

Hat "seinen Laden nicht im Griff"

"Ich glaube, der Minister hat seine Aufgabe einfach nicht verstanden und ist den vielfältigen Aufgaben eines Finanzministers nicht gewachsen", formuliert es der AfD-Abgeordnete Kay Gottschalk. Scholz habe zu viele Vorgänge falsch eingeschätzt und in seiner Arbeit falsche Schwerpunkte gesetzt. "Wer das Amt des Finanzministers nicht beherrscht, kann aus meiner Sicht nicht Bundeskanzler werden."

"Das ist der dritte Finanzskandal, in den Bundesfinanzminister Olaf Scholz verwickelt ist", erklärt FDP-Fraktionsvize Christian Dürr mit Blick auch auf die Cum-Ex-Steueraffäre sowie den Wirecard-Skandal. Zugleich sei es nun "das dritte Mal, dass Herr Scholz sich weigert, konkret Stellung zu nehmen". Wenn der Finanzminister "seinen eigenen Laden so wenig im Griff hat", müsse er sich fragen lassen, "ob er fürs Kanzleramt geeignet ist".

Siegesgewisse SPD

Daran gibt es bei der SPD keinen Zweifel. Während Kanzlerkandidat Olaf Scholz noch im Ausschuss sitzt, verbreitet der Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans in der SPD-Zentrale Siegeszuversicht. "Wir haben allen Grund zu sagen: Wir setzen auf Sieg, wir wollen die stärkste Kraft im Deutschen Bundestag werden", sagte er.

SPD Virtueller Parteitag
Die SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia EskenBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Ein Automatismus sei das aber nicht. Jede und jeder in der SPD müsse im Schlussspurt die Menschen überzeugen, dass Kandidat Olaf Scholz der richtige Kanzler sei. Dessen persönliches Erscheinen im Finanzausschuss sei "absolut honorabel", so Walter-Borjans, der der Union eine Skandalisierung der Ermittlungen gegen die FIU vorwirft.

"Schlümpfe sind listig und gewinnen immer"

Die SPD ist fest davon überzeugt, dass die Razzia im Finanzministerium nicht zufällig so kurz vor der Wahl stattgefunden hat. Dazu muss man wissen, dass der Leiter der Osnabrücker Staatsanwaltschaft einst CDU-Vorsitzender in einer niedersächsischen Kleinstadt und Büroleiter des damaligen niedersächsischen CDU-Justizministers war. Dieser ist auch heute noch in der Politik, als Landtagsvizepräsident in Niedersachsen.

Nach der Sitzung des Finanzausschusses ist Olaf Scholz anzumerken, dass er mit seinem Auftritt vor den Parlamentariern zufrieden ist. Auf die Frage einer Journalistin, warum er durch den Hintereingang in den Sitzungssaal gekommen sei, erwidert er: "Ich bin durch den Eingang gekommen, der auf meinem Weg der nächste war." Allerdings grinst er dabei auf jene Art und Weise, die CSU-Chef Markus Söder einst "schlumpfig" nannte - angelehnt an die blaue Comicfigur "Schlumpf". Olaf Scholz konterte damals: "Die sind klein, listig und gewinnen immer."