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"Russlandversteher" in der SPD

Kersten Knipp25. November 2014

Mehrere SPD-Politiker zeigen Verständnis für Russlands Vorgehen in der Ukraine. Damit setzen sie eine in der Partei einst populäre Politik der Annäherung fort. Doch diese Tradition überzeugt längst nicht jeden.

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Gerhard Schröder und Wladimir Putin, 16.4. 2014 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Die Annexion der Krim muss nachträglich völkerrechtlich geregelt werden, sodass sie für alle hinnehmbar ist" - das sagte der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) in einem Interview. Die Erklärung sorgte bei Politikern außerhalb der SPD für Empörung, innerhalb der SPD für Verwunderung. Sie interpretierten das Zitat als eine Forderung nach einer Legalisierung der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim.

In der ARD-Sendung "Günther Jauch" erklärte Platzeck, der auch Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums ist, er sei missverstanden worden. "Ich habe versucht, einen Sachverhalt in einen Satz zu bringen. Ich habe es vorher ein Dutzend Mal anders gesagt, danach auch ein Dutzend Mal anders gesagt. Dieser Satz war zu komprimiert, verleitet zu Fehlschlüssen."

Matthias Platzek
Alles nur ein Missverständnis, sagte Matthias PlatzekBild: Imago/Olaf Wagner

Das Publikum der Sendung schien mit Platzecks Erklärungen offenbar zufrieden. Es spendete ihm langen Beifall. Vielleicht, weil es Platzecks Plädoyer, sich mit der russischen Annexion trotz allen Unmuts nüchtern auseinanderzusetzen, guthieß? So sieht es jedenfalls die "Frankfurter Rundschau". "Russlandversteher haben das Sagen", übertitelte sie ihren Kommentar zu der Sendung.

In dem Titel schwingt zudem eine Vermutung mit. Nämlich die, dass viele Deutsche der russischen Position zumindest in Teilen folgen können. Trifft diese Einschätzung zu, stünden vor allem SPD-Politiker für eine in Deutschland sehr verbreitete Denkweise.

Umarmung in Sankt Petersburg

Die Haltung von Russlands Präsident Wladimir Putin sei "durchaus verständlich", hatte bereits im März dieses Jahres Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) erklärt. Sein Parteikollege Gerhard Schröder, ebenfalls ein früherer Bundeskanzler, mochte sich zur Politik seines persönlichen Freundes Putin öffentlich nicht äußern. "Ich stehe dazu, dass ich Russland, seine Menschen und seine politische Führung verstehen will", sagte er aber Anfang Oktober. "Ich schäme mich nicht dafür, im Gegenteil: Ich bin stolz darauf."

Bereits im April hatte Schröder seinen 70. Geburtstag mit Putin in Sankt Petersburg gefeiert. Die Bilder von der herzlichen Umarmung der beiden sorgten für heftige Debatten. Zu denen, die die Geste begrüßen, gehört der 1922 geborene SPD-Politiker Egon Bahr. "Über die verspätete Feier zu seinem 70. Geburtstag mit Putin können wir froh sein", sagte Bahr. Zusammen mit dem damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt hatte er das Verhältnis der Bundesrepublik zum damaligen Ostblock ab 1969 auf neue Füße gestellt.

Egon Bahr und Willy Brandt
"Wandel durch Annäherung": Egon Bahr und Willy BrandtBild: picture-alliance/Klaus Rose

Wie viele derzeit oder bis vor Kurzem führende SPD-Politiker gehören Platzeck und Schröder zur "Generation W", der "Generation Willy" (Brandt). Ihre politisch prägenden Jahre fielen in die Zeit, in der Brandt und Bahr der Ostpolitik der Bundesrepublik eine ganz neue Richtung gaben. "Wandel durch Annäherung", umschrieben die beiden ihr Anliegen. Dahinter steht die Überzeugung, dass man mit Repräsentanten anderer Staaten auch und gerade dann sprechen muss, wenn man mit deren Politik nicht einverstanden ist.

Das galt Ende der 60er-Jahre, zur Hochzeit des Kalten Krieges, vor allem im Hinblick auf die damalige UdSSR. Damit boten Brandt und Bahr eine Alternative zur Ostpolitik des bis 1963 regierenden Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU). Der hatte die UdSSR im Verdacht, "Welt­herr­schafts­plä­ne" zu hegen.

"Hort der Grausamkeit und Barbarei"

Brandt und Bahr gingen aber auch auf Distanz zu früheren in der SPD geäußerten Positionen. So hatte August Bebel (1840 bis 1913), einer der Gründer der deutschen Sozialdemokratie, 1891 das damalige - zaristische - Russland als "Hort der Grausamkeit und Barbarei" und "Feind aller menschlichen Kultur" bezeichnet. Damit umriss er eine Position, die auch in der SPD lange Zeit populär war.

Mit ihr stand die SPD nicht allein. Nach der russischen Revolution von 1917, schreibt der Historiker Peter Brandt, dominierte "in der ge­sam­ten Ge­sell­schaft - von den Konservativen bis zu den So­zi­al­de­mo­kra­ten und nicht zu­letzt die christ­li­chen Kir­chen einschließend - die Ab­wehr­hal­tung gegen 'Chaos' und 'Ter­ror'". Der Bolschewismus sei vor allem mit politischer Barbarei gleichgesetzt worden.

Die Okotberrevolution, 7. / 8. 11.1917
"Chaos und Ter­ror": die OktoberrevolutionBild: picture-alliance/akg

Dissidenten in der "Generation W"

Es war diese Haltung, gegen die Brandt und Bahr angingen. Ihre Haltung prägte auch viele der heutigen SPD-Spitzenpolitiker - wenn auch längst nicht alle. Wolfgang Clement, unter Gerhard Schröder von 2002 bis 2005 Bundeswirtschaftsminister, sieht Putin differenziert. Der "Tagesspiegel" gibt Clements Haltung so wieder: "Es gebe zwei Putins: Der eine, der offen für den Westen sei, ihn auch bewundere, und der Teil dieser Gemeinschaft sein wolle. Und dann gebe es noch eine Art Putin II, und dieser Putin, sagt Clement, sei womöglich nicht mehr zugänglich für westliche Argumente. Weil er Machtpolitik betreibe."

Mit dieser Einschätzung steht Clement nicht allein da. "Will man es ganz grob einteilen, dann bringen die jüngeren Politiker weniger Verständnis für Russland auf als ihre Vorgänger", schreibt die "Süddeutsche Zeitung". "Russlandversteher" sind demnach zwar öfter in der SPD als in anderen Parteien zu Hause. Aber das heißt längst nicht, dass jeder SPD-Politiker bereit ist, Putin zu verstehen. Jedenfalls dann nicht, wenn "verstehen" bedeutet, dessen Ukraine-Politik kritiklos hinzunehmen.