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"Die Taliban sind ein Projekt des pakistanischen Geheimdienstes"

Das Gespräch führte Christian F. Trippe2. Februar 2007

Im Interview mit DW-TV spricht der afghanische Außenminister Rangin Spanta über die Rückkehr der Taliban und die notwendigen Maßnahmen beim Wiederaufbau seines Landes.

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Der afghanische Außenminister Rangin Spanta steht während der Koordinierungskonferenz zum Wiederaufbau Afghanistans links von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, beide lächeln in die Kamera
Rangin SpantaBild: AP

DW-TV: Die Taliban in Afghanistan bereiten angeblich eine Frühjahrsoffensive vor, die US-Truppen dort ebenfalls. Kommt es jetzt zum militärischen Showdown in Ihrem Land?

Rangin Spanta: Nein, so dramatisch ist das auch nicht. Aber ich denke, eine Präventivmaßnahme ist nötig, bevor die Taliban sich wieder formieren können. Aber diese Präventivmaßnahme sollte begleitet werden mit vielen Wiederaufbauprojekten und Beteiligung der Bevölkerung Afghanistans, vor allem aber mit einigen Maßnahmen gegen die Entstehungstätten des Terrors jenseits der afghanischen Grenze.

Vor gut fünf Jahren sind die Steinzeit-Islamisten aus Kabul vertrieben worden. Jetzt kehren die Taliban zurück in Südafghanistan. Woran liegt das?

Gestatten Sie mir, zwei wichtige Ursachen dafür zu erwähnen. Erstens die Schwäche der staatlichen Institutionen in Afghanistan, diese befreiten Gebiete zu schützen und Serviceleistungen an die Bevölkerung Afghanistans zu leisten und gleichzeitig eine sichtbare Wiederaufbaupolitik zu machen. Wir haben eine Menge gemacht, aber es war nicht sichtbar genug und auch quantitativ nicht genug. Darüber hinaus gab es jenseits der afghanischen Grenze Gruppen von Staaten, die nicht ein selbstständiges, befreites Afghanistan als Nachbarn haben wollen, sondern eine Art Protektorat, und da gibt es sozusagen eine Konfrontation der Vorstellungen mit unseren Nachbarstaaten im Süden. Wir wollen unabhängig und souverän sein, und sie wollen einen abhängigen Staat in Afghanistan haben und setzen uns unter Druck, und damit wollen sie der internationalen Gemeinschaft demonstrieren, dass man ohne Pakistan in Afghanistan nicht Politik machen kann.

Spielt Pakistan ein Doppelspiel? Offiziell steht die Regierung Musharraf in der Koalition gegen den Terror.

Ich denke, Pakistan hat zunächst, also gegen Ende des Jahres 2001, mit der Anti-Terror-Koalition zusammengearbeitet, aber danach haben sie wieder aufgegeben. Die Taliban waren und sind ein Projekt des pakistanischen Geheimdienstes und von Teilen des Militärs. Dieses Projekt hat man sozusagen wieder aufleben lassen, um Afghanistan so unter Druck zu setzen. Wenn sie wollen, können Sie das Doppelstrategie nennen. Ich würde das gerne als Fortsetzung der alten Strategie bezeichnen.

Hat der Westen Fehler gemacht beim zivilen Wiederaufbau des Landes? Ist da etwas versäumt worden?

Es gab nicht nur im zivilen Bereich Versäumnisse. Wir bräuchten eine umfangreichere Strategie mit zivilen Wiederaufbau-Elementen, aber gleichzeitig Demonstration der Stärke, damit sowohl der Gegner, das sind El-Kaida und Taliban-Elemente, das internationale Netzwerk des Terrors, aber auch die Bevölkerung Afghanistans diese Sicherheit und dieses Gefühl hat, dass die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft da ist und es sich lohnt, mitzuarbeiten. Das hätten wir besser machen können am Anfang. Es ist aber noch nicht zu spät, und ich hoffe, die Diskussionen der letzten Tage hier in Deutschland, aber auch in Brüssel, haben einen Beitrag geleistet, hier etwas nachzuholen.

Was ist in ihren Augen jetzt wichtiger? Die Taliban niederzukämpfen oder mehr für den zivilen Wiederaufbau zu tun?

Aus meiner Sicht sind dies gleichberechtigte Elemente desselben Prozesses. Man sollte nicht erst das eine, dann das andere tun. Es gibt keinen Wiederaufbau ohne Sicherheit, und es gibt keine Sicherheit ohne Wiederaufbau. Wenn das faktisch so ist, sollten wir diese beiden Elemente miteinander verbinden und eine umfangreiche Anti-Terror-Strategie entwickeln mit Elementen des zivilen Wiederaufbaus und auch einer Geschlossenheit und weiterer Stärkung der afghanischen staatlichen Institutionen, sowohl der Sicherheitsorgane als auch der zivilen Organe.

Über den Aspekt Sicherheit wird in Deutschland gerade wieder sehr leidenschaftlich kommuniziert. Sollen deutsche Aufklärungsjets in Südafghanistan eingesetzt werden? Ist das sinnvoll?

Verhaftete Taliban-Kämpfer mit langen Bärten und Turban stehen nebeneinander, im Bildvordergrund hält eine Hand ein Maschinengewehr fest
Verhaftete Talibankämpfer an der afghanischen Grenze zu PakistanBild: AP

Ich glaube, das ist sinnvoll, aber das ist die Entscheidung Deutschlands, eine interne Entscheidung, über die hier diskutiert wird und über die eine interne Diskussion innerhalb der NATO geführt wird. Aus afghanischer Sicht ist wichtig, dass wir sozusagen die Bewegungen der Taliban beobachten, die aus dem Ausland nach Afghanistan kommen und Attentate verüben, Schulen, vor allem Mädchenschulen, zerstören und wieder zurückkehren. Diese Möglichkeit sollte unter Kontrolle gebracht werden, wenn wir Zivilistenleben schützen wollen. Ein Tornadoeinsatz ist eine der Möglichkeiten, dies besser zu entdecken und herauszufinden woher und wie sich die Taliban bewegen. Aber die Entscheidung liegt bei den Deutschen. Da habe ich mich nicht einzumischen.

Sie haben über zwanzig Jahre in Deutschland gelebt und kennen die politische Szene hier sehr gut. Deshalb möchte ich noch mal nachfragen: es gibt Politiker in Deutschland, die sagen, mit solch einem Tornadoeinsatz könnte Deutschland verstrickt werden in militärische Operationen der USA. Haben Sie dafür Verständnis?

Nein, dafür habe ich kein Verständnis. Momentan sind rund 3000 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert und in regionalen Wiederaufbauprojekten organisiert. Die schützen die Region, auch militärisch. Das kann man nicht anders definieren, das sind militärische und Wiederaufbauelemente. Und Tornadoeinsätze wären qualitativ nichts anderes als die Aufbauarbeit, die Deutschland momentan am Hindukusch leistet.

Aus den USA gab es Kritik, dass diese Arbeit nicht besonders geschickt angelegt sei, insbesondere die Polizeiausbildung sei gescheitert. Wie ist da Ihre Einschätzung als ein Politiker vor Ort, der es selbst gesehen hat?

Nein, Deutschland hat einen großen Beitrag geleistet in der Polizeiausbildung, in der Entwicklung von Konzepten für die Polizeiausbildung, und bei der Wasserversorgung. Es gibt eine Fülle an Projekten: Demokratisierungsprozesse und all das, Hilfe für Frauenorganisationen und so weiter. Dafür sind wir sehr dankbar. Das sind zum Teil beispielhafte Projekte, die wir sehr begrüßen. Das ist die Wahrnehmung der afghanischen Bevölkerung. Das Konzept der demokratischen Polizeiausbildung sollte langfristig angelegt sein, das ist absolut richtig. Aber gleichzeitig sollte sie auch den Erfordernissen des Antiterrorkampfes angepasst sein. Das heisst, nehmen wir langfristige Konzepte, brauchen wir Polizeiausbildung in kurzer Zeit für die Polizisten. Und soweit ich darüber informiert bin hat der Zuständige für die Polizeiausbildung in Kabul auch nichts dagegen. Wir sollten dafür sorgen, dass die Bevölkerung auch ihre eigenen Gebiete und Territorien verteidigen können gegen Eindringlinge, mit Polizisten, die gleich nach ein paar Monaten fertig sind. Und gleichzeitig sollten wir das Langzeitprojekt wieder ankurbeln. Das ist nicht widersprüchlich, das sind ergänzende Elemente einer Strategie.

In Brüssel und in der NATO gibt es immer wieder so ein Murren, die Deutschen hätten sich in den sicheren Norden zurückgezogen und wären nicht bereit im umkämpften Süden ihre Truppen einzusetzen, Bodentruppen zu schicken. Wie ist Ihre Einschätzung?

Ich möchte so sagen, niemand konnte vor drei Jahren vorhersagen, wie der Norden und wie der Süden aussehen würde. Denn alle hatten die Illusion, dass die Einmischungen aus dem Süden ein Ende gefunden haben und die Aufgabe sei, Wiederaufbau zu betreiben und die Regierung zu stabilisieren. Aber diese Annahme hat sich als falsch erwiesen, weil die Nähe zu Pakistan sehr gefährlich ist. Die kanadischen, englischen und niederländischen Soldaten sind sehr gefährdet von bewaffneten Übergriffen von El-Kaida und Taliban, und der Norden ist sicher. Aus afghanischer Sicht ist das eine interne Diskussion, denn wir müssen Geschlossenheit und stärke zeigen, um das Kalkül der Taliban, die Europäer seinen Schwächlinge, die sich bei Kämpfen gleich zurückziehen, in die Leere laufen lassen. Und das heisst, wir sollten uns nicht auseinander dividieren lassen. Wer wo für Sicherheit sorgen soll, das sollte in der NATO entschieden werden, nicht in Kabul.

Kanadischer Soldat mit Stahlhelm und Maschinengewehr geht über sandige Straße im afghanischen Hochland, hinter ihm gehen Soldaten der afghanischen Armee
Kanadischer ISAF-Soldat im EinsatzBild: AP

Herr Spanta, bei dem Blick auf Ihr Land fragen sich viele, warum kriegen die das mit den Drogen nicht in den Griff? Warum ist Afghanistan schon wieder Heroinexporteur Nummer Eins?

Bedauerlicherweise sind Drogenanbau und -produktion und Terrorismus und Schwäche der Staatsorgane drei Herausforderungen, die miteinander zusammenhängen, die kann man nicht isolieren. In Gegenden wo die Präsenz des Staates sehr schwach ist, zum Beispiel im Süden, sind Hauptanbaugebiete für Drogen und für Drogenschmuggel. Und da sollten wir den Bauern alternative Produkte anbieten, alternative Lebensweisen anbieten, aber gleichzeitig die Präsenz der Regierung verstärken, um das verhindern zu können. Diese Maßnahmen müssen begleitet werden von Reformprozessen, Anti-Korruption und Transparenz in Staatsorganen. Das ist kein fertiges Konzept, zu besprühen oder andere Maßnahmen. Wir brauchen ein umfangreiches Konzept. Das können die Afghanen nicht allein, das sollten wir gemeinsam machen.

Das heißt aber auch, die internationale Gemeinschaft, die Staaten, die Truppen in Afghanistan haben, müssten aktiver werden?

Ich sage, wir sollten, was die Anti-Drogenstrategie anbelangt, für die afghanischen Bauern Anreize schaffen, damit sie ähnlich überzeugt sind, es lohne sich, Weizen anzubauen, Granatapfelgärten wieder herzustellen oder Weintraubengärten. Sie wissen, in den siebziger Jahren war Afghanistan Rosinen-Exporteur Nummer Eins, vor den Vereinigten Staaten. Momentan haben wir keinen Abnehmer und auch nicht so viel Produktion, weil durch den Krieg und Dürrezeiten alles zerstört wurde. Wir können auch nicht richtig verpacken und nicht richtig vermarkten. Da brauchen wir Kapazitätssteigerungen und Verpackungen, und auch Transportwege durch Pakistan nach Indien, weil Indien einer der Hauptabnehmer ist. Ebenso nach Norden, nach Zentralasien, und auch nach Europa. Das ist eine Möglichkeit. Wir können nicht in ein zerstörtes Mohnfeld gehen und sagen: die Aufgabe ist erledigt. So leicht ist es nicht. Wenn wir über Afghanistan sprechen, sprechen wir über ein Territorium, das entstaatlicht war und wir bauen diesen Staat wieder auf. Und der Staat soll in die Lage versetzt werden, auch der Staatsbürger, für sich zu sorgen.

Und wenn es um ein solches Konzept geht, das Anreize schaffen könnte für die Bauern etwas anderes anzubauen, wenn es darum geht ein Distributionssystem zu entwickeln, schafft Afghanistan das allein nicht. Höre ich das richtig heraus, dass Sie sich eine stärkere Rolle der internationalen Gemeinschaft wünschen würden?

Offensichtlich wünsche ich mir eine aktivere Rolle. Wir benötigen mehr Geld, mehr Engagement, mehr Geduld, und wir müssen uns im Klaren sein: mit den jetzt zur Verfügung gestellten Mitteln schaffen wir es nicht.