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Die Tat von Tauroggen - 3. Januar 1813

Matthias von Hellfeld

Ein unscheinbarer Brief des preußischen Armeegeneral Ludwig York (1759 – 1830) an König Friedrich – Wilhelm III. (1779 – 1840) war der Startschuss zur Befreiung Europas von der Vorherrschaft Frankreichs.

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Konvention von Tauroggen / Holzstich Befreiungskriege 1813-15 / Konvention von Tauroggen, 30. Dezember 1812Bild: picture-alliance / akg-images

In dem Brief beschwor Ludwig York seinen König, die Gunst der Stunde zu ergreifen und eine Koalition gegen den französischen Kaiser Napoleon I. (1769 – 1821) zu schmieden. Napoleon I. hatte gerade in Russland die erste militärische Niederlage seines Lebens einstecken müssen. Dem Schreiben vorhergegangen war eine Befehlsverweigerung des Generals, die er sich noch nie hatte zu Schulden kommen lassen. Sein 10. Armeekorps war von Napoleon I. zwangsweise rekrutiert worden, um Teil einer gewaltigen Armee zu werden, mit der das abtrünnige Russland in die Knie gezwungen werden sollte.

SW-Abbildung von Hans David Ludwig Graf York von Wartenberg/ Gebauer
Hans David Ludwig Graf York von Wartenberg/ GebauerBild: picture-alliance / dpa

Gemeinsam mit dem russischen Zaren hatte Napoleon I. eine "Kontinentalsperre" gegen England verhängt, mit der die Insel wirtschaftlich ausgeblutet werden sollte. Als Nikolaus I. diese Sperre umgehen musste, weil Russland dringend auf englische Importe angewiesen war, hatte der kleine Franzose den Entschluss gefasst, den letzten unabhängigen Staat auf dem europäischen Kontinent anzugreifen.

Zar Nikolaus I. v. Russland
Zar Nikolaus I. v. RusslandBild: picture-alliance / akg-images

Napoleons Niederlage

Das Unternehmen ging gründlich schief, seine 600.000 Soldaten umfassende Armee war dem bitterkalten Winter ebenso wenig gewachsen wie der großen Entfernung und der russischen Militärtaktik. An der Beresina wurde das französische Heer vernichtend geschlagen, Napoleon I. ergriff die Flucht nach Paris, seine Armee fiel auseinander – nur noch 90.000 Soldaten gelang die Rückkehr in die französische Hauptstadt. Jetzt schlug die Stunde des Preußengenerals York. Am 30. Dezember 1812 schloss er in der kleinen litauischen Stadt Tauroggen einen Separatfrieden mit den russischen Befehlshabern. Damit beging er Befehlsverweigerung, da er gegen die von seinem König – wenn auch unter Androhung von Gewalt – gegebenen Zusage verstieß, dem französischen König unbedingten Gehorsam zu leisten.

Napoleon Bonaparte(Foto: AP)
Napoleon BonaparteBild: AP

Ludwig York war nach der Unterzeichnung der "Konvention von Tauroggen" mit dem russischen General Hans – Karl von Diebisch – Sabalkanski (1785 – 1831) für niemanden zu sprechen gewesen. Er rechnete mit drastischen Sanktionen durch den preußischen König, der für seine ängstliche Politik gegenüber Napoleon I. bekannt war. Die eigenmächtige Entscheidung des Generals könnte – so die Sorge Ludwig Yorks – dazu führen, dass er unehrenhaft aus der Armee entlassen werden könnte. Trotz dieser Bedenken setzte er sich an den Schreibtisch und verfasste jenen historischen Brief, der schließlich in einer europäischen Allianz gegen Napoleon I. münden sollte.

Nie sei die Gelegenheit günstiger als jetzt gewesen, schrieb er an Friedrich- Wilhelm III., um sich der französischen Herrschaft über Preußen und andere europäische Länder zu entledigen. Der König möge nun den Versuch unternehmen, andere europäische Mächte zu einer Koalition gegen den französischen Kaiser zu bewegen. General York schickte den Brief am 3. Januar 1813 ab. Friedrich – Wilhelm III. schloss sich zögernd und widerwillig dem Ansinnen General Yorks an. Am 17. März 1813 machte er seine Antwort publik.

Friedrich Wilhelm III. von Preußen
Friedrich Wilhelm III. von PreußenBild: picture-alliance / dpa

"An mein Volk!"

In der "Schlesischen Privilegierten Zeitung" stand an diesem Tag der königliche Aufruf "An mein Volk" zu lesen, in dem Friedrich – Wilhelm III. um Unterstützung für einen Krieg gegen Frankreich bat, den er am Tag davor schon erklärt hatte. Da gleichzeitig bekannt wurde, dass dem Preußenkönig eine Allianz mit anderen europäischen Großmächten gelungen war, machte sich nationale Euphorie in Preußen breit. Überall wurden Versammlungen abgehalten, bei denen für den bevorstehenden Krieg Geld und Wertgegenstände gesammelt wurden. Besonders patriotische Ehepaare tauschten ihre goldenen Ringe gegen Eisenringe, in die der Spruch "Gold gab ich für Eisen – 1813" eingraviert war.

Die Entscheidungsschlacht zwischen einer europäischen Allianz und Napoleon I. fiel in der "Völkerschlacht" von Leipzig. Vom 16. – bis 19. Oktober 1813 standen sich die Armeen Frankreichs auf der einen und die Österreichs, Preußens, Russlands und Schwedens auf der anderen Seite gegenüber. Am Ende siegte die Allianz und die französische Herrschaft über Europa war beendet. Die "Befreiungskriege" endeten Anfang 1815, als Napoleon I. noch einmal aus seinem Exil nach Paris zurückgekommen war, die Macht an sich gerissen hatte und die europäischen Völker ein letztes Mal herausfordern wollte. In der Schlacht von Waterloo aber musste er sich erneut geschlagen geben und wieder ins Exil gehen. Auf britischen Insel St. Helena im Südatlantik verstarb Napoleon I. verbittert und – wie er meinte missverstanden – am 5. Mai 1821.

Napoleonische Kriege: Schlacht bei Jena und Auerstedt, 1806
Napoleonische Kriege: Schlacht bei Jena und Auerstedt, 1806Bild: picture-alliance / akg-images

General Ludwig York erhielt verschiedene Auszeichnungen und wurde in den Grafenstand versetzt. Er starb als Generalfeldmarschall York von Wartenburg am 10. April 1830. Mit ihm ist der Mut eines Mannes verbunden, der trotz großer Gewissensbisse eine Entscheidung getroffen hat, die ihn seine Karriere hätte kosten können, im Ergebnis aber die französische Hegemonie über den europäischen Kontinent beendete.