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PolitikBrasilien

Die unheilvolle Bolsonaro-Trump-Allianz

26. November 2022

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ist vor Gericht mit der Anfechtung seiner Wahlniederlage gescheitert. Eingestehen will er seine Abwahl dennoch nicht. Folgt der abgewählte Präsident weiter dem Weg von Donald Trump?

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Jair Bolsonaro und Donald Trump
Ziemlich beste Freunde: Jair Bolsonaro und Donald TrumpBild: Jim LoScalzo/Captital Pictures/picture alliance

Keine Beweise für einen angeblichen Betrug bei der Präsidentenwahl, Überprüfung des Ergebnisses abgelehnt, stattdessen noch eine Geldstrafe von mehr als vier Millionen Euro dafür, "böswillig und unverantwortlich" einen Rechtsstreit ausgelöst zu haben. Viel bitterer konnte die Klatsche für Jair Bolsonaro durch den Obersten Gerichtshof gar nicht sein, aber zumindest war da ja noch der Fußball: Brasiliens Ausnahmespieler Neymar hatte schließlich angekündigt, sein erstes Tor bei der Weltmeisterschaft in Katar Bolsonaro zu widmen. 

Doch auch daraus wurde nichts, schlimmer: der Superstar wurde beim 2:0 Brasiliens gegen Serbien verletzungsbedingt ausgewechselt. Fraglich, ob er bei dem Turnier überhaupt nochmal ein Statement für den abgewählten Präsidenten setzen kann. Und beide Treffer, darunter das bislang schönste Tor des Turniers, erzielte ausgerechnet Richarlison, der sich immer wieder gegen Rassismus und für den Erhalt der Umwelt einsetzt. Jair Bolsonaro hat das Kunststück vollbracht, dass selbst das "jogo bonito", Brasiliens Lieblingssport, mittlerweile eine sehr politische Angelegenheit ist.

Neymar im brasilianischen Trikot
"Das wäre wirklich wunderbar: Bolsonaro wiedergewählt, Brasilien Champion und alle glücklich" - Reizfigur NeymarBild: picture alliance/Antonio Borga

Das kanariengelbe Nationaltrikot mit dem grünen Kragen tragen seine Anhänger, wenn sie die Straßen blockieren, gegen den Wahlsieger Lula da Silva hetzen und vor den Kasernen offen zum Militärputsch aufrufen. Das politische Spiel, welches einem aus den USA ziemlich bekannt vorkommt, ist auch im größten Land Südamerikas noch lange nicht vorbei. Es lautet: Selbst wenn wir verlieren, erkennen wir die Niederlage nicht an. Und wir benutzen alle schmutzigen Tricks, damit es beim nächsten Mal anders ausgeht.

Entscheidung des Gerichts Wasser auf die Mühlen der Bolsonaro-Anhänger

Auch Guilherme Casaroes hat vor dem Fernseher mit der Selecao mitgefiebert, wie es sich für einen Brasilianer gehört, aber Fußball ist nicht sein Spezialgebiet: Der Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen forscht seit Jahren auch über die extreme Rechte im Land, ist Direktor des "Observatório da Extrema Direita".

Er sagt: "Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes stärkt das Argument der Bolsonaro-Anhänger, dass Brasilien unter einer Diktatur der Justiz lebt, es ist Teil des rechtsextremen Narrativs. Aber je mehr Spannungen es zwischen seinen Anhängern auf der einen Seite und den Institutionen auf der anderen Seite gibt, desto mehr werden diese auf Dauer geschwächt."

Brasilien | Bolsonaro Unterstützer bitten nach der Wahl ein ein Eingreifen des Militärs
Bolsonaros Unterstützer bitten nach der Wahl in Brasilien um ein Eingreifen des MilitärsBild: Silvia Machado/TheNEWS2/ZUMA/picture alliance

Wiederholt sich weiter südlich die Geschichte?

Auch Donald Trump hat seine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen von 2020 in den USA bis heute nicht anerkannt, stachelt seine Make-America-Great-Again-Anhänger mit dem Narrativ der gestohlenen Wahl unvermindert an und unternahm alles Menschenmögliche, um die Institutionen zu schwächen und die Demokratie auszuhöhlen. Negativer Höhepunkt: der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen. Eine Blaupause für das, was Brasilien noch bevorsteht?

Guilherme Casaroes
"Trump ist auch nicht verschwunden, die Bewegung wird so lange andauern, wie Bolsonaro es will" - Guilherme CasaroesBild: privat

"Bolsonaro ist nicht bereit, die Ergebnisse zu akzeptieren und sein Amt am 1. Januar einfach aufzugeben. Wir haben einige gewalttätige Vorfälle gesehen, Straßensperren, Leute, die Lastwagen blockieren und Mautstationen in Brand setzen. Ich denke also, wir nähern uns der Situation vom 6. Januar an. Das wird nicht über Nacht geschehen. Aber andererseits erlaubt das Schweigen des Präsidenten diesen Leuten, sich immer mehr der Gewalt zu ermächtigen", sagt Casaroes.

Amerikanisierung der Politik Brasiliens

Auch Donald Trump schwieg lange, als seine Anhänger das Kapitol in Washington stürmten. Seine Anwälte reichten jetzt eine Klage ein, um seine Vorladung vor den Untersuchungsausschuss anzufechten. Es gibt noch vieles mehr, was Trump und Bolsonaro verbindet: die Liebe zu Waffen, der Nationalismus, das Verbreiten von Fake-News in den sozialen Medien. Und eine Politik, die auf langjährige Verbündete pfeift, die Umweltzerstörung vorantreibt und das Land in zwei Lager spaltet. Der Politikwissenschaftler nennt es die Amerikanisierung der brasilianischen Politik.

Donald Trump und Jair Bolsonaro
Damals noch Präsidenten: Donald Trump und Jair Bolsonaro am 7. März 2020 in FloridaBild: Allen Eyestone/ZUMAPRESS.com/picture alliance

"Die öffentliche Debatte hier ähnelt immer mehr den USA, sie hat sich in eine Schlacht verwandelt, in eine Art Kulturkrieg. Bolsonaro ahmt Trump nach. Er reproduziert Trumps Argumente, die Sprache, die ganze populistische Logik der schlechten Manieren und spielt genauso das Volk gegen die sogenannten Eliten aus. Bolsonaro gibt ja offen zu, dass er zu Trump als einem seiner politischen Vorbilder aufschaut. Die extreme Rechte in Brasilien ist aus der extremen Rechten in den Vereinigten Staaten hervorgegangen."

Präsidentensohn im Stile von Donald Trump jr.

Die Kopie ist noch kräftig dabei, Tag für Tag vom Original dazuzulernen. Eduardo Bolsonaro, drittältester Sohn und Abgeordneter im Kongress, ist Dauergast in Trumps Residenz in Mara-a-Lago in Florida. Auf Facebook posiert er mit Trump-Mützen und Waffen in der Hand. Er war auch Ehrengast auf Steve Bannons Geburtstagsparty, dem Mastermind des US-amerikanischen Rechtspopulismus. Die Bolsonaro-Familie will wissen, wie sie Brasilien dauerhaft verändern kann. Dazu gehört auch, die Karte der Religion zu spielen.

Brasilien | Eduardo Bolsonaro in Sao Paulo
Eduardo Bolsonaro spricht im Rahmen einer Motorradrallye in São Paulo zu den AnhängernBild: Andre Lucas/dpa/picture alliance

"Wir haben die christliche Rechte in Brasilien, die so ziemlich jedes einzelne Element, jedes einzelne Gesprächsthema von der christlichen Rechten in den Vereinigten Staaten importiert hat. Es handelt sich also insgesamt um eine Bewegung, die Bolsonaro unterstützt und so ziemlich alles nachahmt und nacheifert, was in den Vereinigten Staaten passiert. Und sie wird weitergehen, weil die US-amerikanische Bewegung auch nach Trumps Abgang weitergegangen ist", sagt Guilherme Casaroes.

Brasilien als erster Dominostein

Für die Rechtspopulisten in den USA ist die Entwicklung in Brasilien ein Geschenk des Himmels, die Weltanschauung auch außerhalb der Vereinigten Staaten zu etablieren. Mit 214 Millionen Einwohnern Nummer Sechs in der Welt, dominierende Macht in Lateinamerika und schon jetzt eine Spielwiese für die konservativen Netzwerke Gettr und Parler. Doch Brasilien soll nur der Anfang sein, Trumps Ideologie ist im Begriff, sich auch in anderen Staaten der Welt breit zu machen und nicht mehr zu verschwinden. Michael Shifter, Präsident des Thinktanks Inter-American Dialogue in Washington:

Michael Shifter
"Es existiert eine symbiotische Beziehung zwischen den Bewegungen Trumps und Bolsonaros" - Michael ShifterBild: Privat

"Beim Treffen der 'Conservative Political Action Conference' vor einer Woche in Mexiko kamen rechte Ideologen aus Lateinamerika und den USA zusammen, um die Politik von Trump voranzutreiben. Steve Bannon hielt ein Impulsreferat, und Redner waren der potenzielle argentinische Präsidentschaftskandidat Javier Milei und der guatemaltekische Präsident Alejandro Giammattei. Die Trump-Berater arbeiten auch eng mit dem populären Staatschef von El Salvador, Nayib Bukele, zusammen."

Kippen noch weitere Länder in Lateinamerika?

Und auch Ungarn, Polen und die Philippinen sind längst fett markiert auf Donald Trumps ideologischer Landkarte. Aber vor allem in Lateinamerika, im sogenannten Hinterhof der Vereinigten Staaten, sind die Voraussetzungen geradezu ideal, dass die rechtspopulistische Bewegung immer größeren Zulauf erhält – und Bolsonaros Brasilien weitere Nachahmer findet, sei es auf dem Fußballplatz oder in der Politik.

Shifter sagt: "Linke Regierungen in Lateinamerika stehen heute vor gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen. Und alle die Länder, die jetzt schon ein gefährlich hohes Maß an Polarisierung aufweisen, sind der ideale Nährboden für die Trump-Option."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur