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Politik

Die völkischen Brandstifter

21. Februar 2020

Das gesellschaftliche Klima in Deutschland hat sich verändert. Rechtes Gedankengut, jahrzehntelang geächtet, ist wieder gesellschaftsfähig geworden. Die Politik hat daran einen nicht zu unterschätzenden Anteil.

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Hanau Gedenken deutschlandweit / Berlin
Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/F. Bungert

So klar und deutlich hat Angela Merkel noch nie gesagt, dass Deutschland ein Problem mit Rassismus hat. "Der Hass ist ein Gift. Dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft, und es ist schuld an schon viel zu vielen Verbrechen", so die Bundeskanzlerin, nachdem im hessischen Hanau ein Mann neun Menschen aufgrund ihres vermeintlich nichtdeutschen Aussehens erschossen hatte. Der Attentäter habe eine "zutiefst rassistische Gesinnung" gehabt, sagte der Generalbundesanwalt später.

Zum dritten Mal innerhalb von nur neun Monaten hat ein Rechtsextremist zugeschlagen. Im Juni 2019 war der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke erschossen worden. Im Oktober hatte ein Attentäter versucht, bewaffnet in die vollbesetzte Synagoge in Halle einzudringen. Weitere Anschläge gegen Politiker, Asylbewerber und Muslime waren offenbar geplant: Erst kürzlich nahm die Polizei eine Gruppe von zwölf als Rechtsterroristen eingestufte Männer fest, bei denen man entsprechende Hinweise fand.

Ist die AfD an allem schuld?

Woher kommt der Hass, das "Gift", von dem nicht nur die Bundeskanzlerin nun spricht? Was ist der Nährboden für rassistische Gewalt in Deutschland? Fremdenfeindlichkeit ist in Deutschland nichts Neues. Studien gehen davon aus, dass entsprechendes Gedankengut grundsätzlich bei 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung zu finden ist. Doch niemand wird als Rassist geboren.

Deutschland Tote durch Schüsse in Hanau
Einer der beiden Tatorte in HanauBild: picture-alliance/dpa/Wiesbaden112/H. Hahnenstein

Nach den Morden in Hanau wird wieder vielfach auf die AfD, die Partei Alternative für Deutschland gezeigt. "Wir erleben, wie das gesellschaftliche Klima durch die AfD schon länger vergiftet wird, wie der Hass geschürt wird, wie die Gesellschaft gespalten wird", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, der die AfD den "politischen Arm der extremen Rechten" nannte.

Geistige Brandstiftung

In der AfD wird der Nationalsozialismus nicht nur verharmlost, die Partei versucht auch, die rassistische Ideologie, das auf Abstammung basierende Völkische, wieder gesellschaftsfähig zu machen. Bewusst werden Menschen verbal angegriffen und schlecht geredet, deren Aussehen und Namen vermuten lassen, dass ihre Eltern oder Großeltern eine Migrationsgeschichte haben. "Menschen als Gegner zu sehen und sich als etwas Besseres, aus Mitbürgern Fremde zu machen, das ist ein Gift, das immer stärker in unsere Gesellschaft eindringt und das am Ende zu diesen Taten führen kann", urteilt die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer.

Staatsschutz ermittelt wegen  Malbuch bei AfD-Veranstaltung
Ein rassistisches Kinder-Malbuch der AfDBild: picture-alliance/dpa/A. Bischof

Von einem gesellschaftlichen Klima, das rechtsextreme Gewalttaten begünstigt, spricht auch FDP-Chef Christian Lindner. "Da wird ein Klima des Hasses und der Feindlichkeit gegen Fremde, aber auch beispielsweise gegen Demokraten geschürt, das ganz offensichtlich in der Lage ist, Einzeltäter oder auch Gruppen zu beeinflussen, dann zu Mitteln der Gewalt zu greifen."

Anschlagsziel Shisha-Bar 

Die Tatorte in Hanau waren zwei Shisha-Bars, die überwiegend von jungen Menschen mit Migrationshintergrund besucht wurden. Schon länger fährt die AfD eine Kampagne gegen Shisha-Bars. Auch in Hessen. Angesetzt wird bei dem Fakt, dass die Polizei bei Kontrollen in den Gaststätten schon mehrfach unversteuerten Wasserpfeifen-Tabak beschlagnahmt hat. Darauf aufbauend versucht die AfD in ihrer Kampagne, Shisha-Bars im öffentlichen Ansehen generell mit Kriminalität zu verbinden.

Der Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin von der Linken macht aber nicht nur die rechtsradikale Partei für den wachsenden Rechtsterror in Deutschland verantwortlich. Man dürfe nicht vergessen, dass auch andere Politiker, beispielsweise Bundesinnenminister Horst Seehofer, bereits vor, aber auch während der Flüchtlingskrise Ängste vor vermeintlich Fremden geschürt habe. "Es waren Menschen wie er, die als geistige Brandstifter die Saat des Hasses ausbrachten", so Beutin. Beispielsweise hatte Seehofer 2011 gesagt, "bis zur letzten Patrone" wolle man sich dagegen sträuben, "eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme" zu bekommen. 2015 bezeichnete er Migration als "Mutter aller Probleme".

Europarat warnt schon länger

Hat Deutschland ein grundsätzliches Problem? Über Jahre mahnten die Vereinten Nationen und der Europarat an, die Bundesregierung müsse mehr gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Deutschland unternehmen. Noch im Februar 2014 forderte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) die Bundesregierung in ihrem damals fünften Prüfbericht erneut auf, das Strafrecht zu reformieren. Wie in anderen EU-Ländern auch sollten rassistische Beweggründe beim Strafmaß erschwerend wirken.

Die vom Europaparlament und den EU-Regierungschefs eingesetzte Kommission bemängelte zudem, dass Volksverhetzung in Deutschland nur dann strafbar sei, wenn sie geeignet sei, "den öffentlichen Frieden zu stören". Das sei aber schwer nachweisbar. Im Bereich "Aufstachelung zum Hass" gebe es einen erheblichen Grad von Straffreiheit, heißt es in dem Prüfbericht.

Polizeikontrollen am Hamburger Hauptbahnhof Racial Profiling
Racial Profiling: Polizeikontrollen aufgrund der HautfarbeBild: picture alliance/dpa/M. Scholz

Die deutsche Polizei wird darin kritisiert, weil sie auch nach den aufgedeckten Taten des NSU, des Nationalsozialistischen Untergrunds, die Möglichkeit eines rassistischen Motivs zu schnell ausschließen würden. "Noch 2013 mussten die türkischen Stellen die Polizei bei mehreren Gelegenheiten daran erinnern, diese Möglichkeit nach schweren Bränden in Häusern, die von türkischstämmigen Menschen bewohnt wurden, ernsthaft zu erwägen. ECRI wurde auch mitgeteilt, dass einige Polizeibeamte zögerlich sind, Anzeigen von Straftaten mit einem rassistischen oder homo-/transphoben Motiv aufzunehmen."

Rechtsterror unterschätzt

Ähnlich argumentiert der linke Bundestagsabgeordnete Jan Korte nach dem Attentat in Hanau. Die Bundesregierung habe den wachsenden Rechtsextremismus in Deutschland über Jahre nicht nur unterschätzt. "Wenn ich daran erinnern darf, wie in den letzten Jahren von Opferverbänden und anderen Initiativen auf diesen Terror hingewiesen wurde, wie damit umgegangen wurde, wie die Bürgermeister und Kommunalpolitiker alleine gelassen worden sind, das ist eine Relativierung gewesen."

Deutschland Bundesamt für Verfassungsschutz
Verfassungsschutz: Jahrelang auf dem rechten Auge blind? Bild: picture-alliance/dpa/M. Becker

Mehr als 200 Menschen wurden seit 1990 von Rechtsextremisten ermordet. "Es geht hier um die Grundsubstanz des demokratischen Gemeinwesens und das ist in der Tat in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht erkannt worden. Es wurden Leute belächelt, die darauf hinwiesen, was da wächst", so Korte.

Mehrheit der Deutschen ist nicht ausländerfeindlich

Allerdings hat die Bundesregierung in der jüngsten Vergangenheit eine ganze Reihe von Gesetzen erlassen, mit denen rechter Hass, die zunehmende Gewalt und rechter Terror bekämpft werden sollen. Nach dem Anschlag in Hanau soll es nun auch mehr Polizeischutz geben. Die Politik muss sich aber die Frage stellen lassen, ob diese Maßnahmen nicht zu spät kommen. "Wir werden uns schützend vor die Menschen stellen, die in diesem Land bedroht sind, die sich nicht mehr sicher fühlen" verspricht SPD-Generalsekretär Klingbeil. "Deswegen ist es so wichtig, dass alle Demokraten aufstehen in diesem Land und dass man nicht mehr zuschaut und deutlich macht, wir werden diese Tabubrüche nicht länger hinnehmen."

Solidaritätsbekundung nach Schießerei in Hanau: Frank-Walter-Steinmeier
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gedachte der Opfer in HanauBild: Reuters/K. Pfaffenbach

Nach den Morden von Hanau versammelten sich im ganzen Land spontan Menschen zu Demonstrationen und Mahnwachen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erntete spontanen Applaus, als er in Hanau sagte: "Wir stehen als Gesellschaft zusammen, wir lassen uns nicht einschüchtern, wir laufen nicht auseinander." Damit spricht er die Mehrheit der Deutschen an, die weder ausländerfeindlich noch rassistisch ist.