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Die Wagner-Truppen und das Problem mit den Privatarmeen

27. Juni 2023

Sogenannte "Private Military Companies" spielen in kriegerischen Auseinandersetzungen eine immer größere Rolle. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Männer auf Panzer in einer Stadt, im Hintergrund Autos
Wagner-Soldaten in Rostow am Don am 24.Juni 2023 Bild: REUTERS

Immer wieder werden Mitglieder der Wagner-Gruppe als Söldner bezeichnet. Trifft dies überhaupt zu?

Nein, denn laut dem humanitären Völkerrecht müssen alle folgenden sechs Kategorien gegeben sein, um den Status eines Söldners zu erfüllen. Als Söldner gilt demnach gemäß den Genfer Konventionen,

1) wer im Inland oder Ausland zu dem besonderen Zweck angeworben ist, in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen,

2) wer tatsächlich unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt,

3) wer an Feindseligkeiten vor allem aus Streben nach persönlichem Gewinn teilnimmt und wer von oder im Namen einer am Konflikt beteiligten Partei tatsächlich die Zusage einer materiellen Vergütung erhalten hat, die wesentlich höher ist als die den Kombattanten der Streitkräfte dieser Partei in vergleichbarem Rang und mit ähnlichen Aufgaben zugesagte oder gezahlte Vergütung,

4) wer weder Staatsangehöriger einer am Konflikt beteiligten Partei ist noch in einem von einer am Konflikt beteiligten Partei kontrollierten Gebiet ansässig ist,

5) wer nicht Angehöriger der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei ist und

6) wer nicht von einem nicht am Konflikt beteiligten Staat in amtlichem Auftrag als Angehöriger seiner Streitkräfte entsandt worden ist. 

Katharina Stein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Öffentliches Recht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und schreibt gerade ihre Dissertation über den Einsatz von Privatarmeen. Sie sagt gegenüber der DW: "Ganz viele von solchen privaten Militärdienstleistern erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Wenn man zum Beispiel nach Syrien schaut, könnte man von einem internationalisierten bewaffneten Konflikt sprechen, wo der Staat Russland ja mit involviert ist. Dass heißt, alle russischen Staatsbürger können qua Definition schon keine Söldner sein."

Die schwerste Voraussetzung, nicht nur für Wagner, sondern für alle fraglichen Söldner, sei aber der dritte Punkt, betont Stein: tatsächlich ein wesentlich höheres Honorar zu erhalten als die Angehörigen der Streitkräfte.

Die Wagner-Soldaten sind also, streng genommen, keine Söldner, sondern sogenannte "Private Military Companies". Wo ist deren Ursprung?

Ende des Zweiten Weltkrieges privatisierten viele westlichen Staaten ihre Rüstungskonzerne, die Privatisierung militärischer Leistungen war der nächste Schritt. 

Als 1990 der Kalte Krieg zu Ende ging und vor allem die USA, Großbritannien und die ehemaligen Staaten der Sowjetunion ihre Streitkräfte reduzierten, standen viele ausgebildete Soldaten auf der Straße. Diese fanden in den "Private Military Companies" ein neues Zuhause und wurden oftmals von denselben Staaten beauftragt, in innerstaatliche Konflikte mit geringerer Intensität einzugreifen, um nicht selbst militärisch aktiv werden zu müssen.

Katharina Stein sagt: "Private Militärdienstleister sind manchmal Unternehmen, die eingebettet sind in große unternehmerische Strukturen und sehr viel anbieten können. Wir gehen rein, befreien eine Geisel und gehen wieder raus. Oder wir schulen das Militär, dass es nach dem NATO-Handbuch den oder den Angriff beherrscht."

Welche Vorteile hat es für Staaten noch, "Private Military Companies" zu engagieren?

"Im ersten Moment sind sie viel günstiger, weil ich sie nicht ausbilden muss. Ich muss ihnen keine Rente zahlen. Ich muss ihnen nichts zahlen, wenn sie krank sind. Ich muss ihnen nichts für zehn Jahre verpflichtend zahlen, sondern ich zahle für die eine Aktion, für zum Beispiel drei Monate, um etwas zu erledigen", sagt die Völkerrechtlerin.

Es ist also das klassische Outsourcing nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung, das für viele Staaten die deutlich preiswertere Alternative zu sein scheint. So investierten die USA zwischen 1994 und 2007 rund 300 Milliarden US-Dollar in zwölf private Militärunternehmen. Eine Riesensumme, aber für viele Länder trotzdem gut angelegtes Geld. "Die Menschen sind hochspezialisiert, gut ausgebildet, bringen eigenes Equipment mit. Und ich zahle quasi nur für das, was ich bekomme, und habe sonst keine Kosten."

Vor allem aber: "Private Military Companies" erledigen die Drecksarbeit, wie Wagner in Syrien und der Ukraine. Tote oder Verwundete sorgen nicht für die gleichen innenpolitischen Debatten wie bei den Streitkräften. Und die Verantwortung, zum Beispiel für Kriegsverbrechen, lässt sich leicht wegschieben.

Für Sarah Katharina Stein ist das ein weiteres zentrales Argument: "Man kann immer sagen, das waren wir gar nicht, diese direkte Staatenverantwortlichkeit wird unterbrochen. PMCs können auch immer beauftragt werden, wenn sich zum Beispiel das Parlament nicht dazu durchringen kann, das Militär einzusetzen."

Doch es ist nicht immer von Vorteil, das Gewaltmonopol aus der Hand zu geben, wie das vergangene Wochenende mit dem Marsch der Wagner-Truppen nach Moskau zeigte. Mit der Premiere, dass eine PMC gegen das eigene Land meuterte.

Wie steht es um die strafrechtliche Verfolgung von "Private Military Companies"?

"Strafverfolgung von PMCs in Entsendestaaten findet kaum statt. Aus den letzten Jahrzehnten sind lediglich Verurteilungen aus dem gescheiterten coup d‘état in Äquatorialguinea von 2004 bekannt geworden. Unter anderem wurde Simon Mann, Mitgründer und CEO von Executive Outcomes und Sandline International erst in Zimbabwe und nach seiner Auslieferung nach Äquatorialguinea zu 34 Jahren Haftstrafe verurteilt. Er wurde 2009 von Präsident Obiang begnadigt", sagt Katharina Stein.

Der Fall sorgte vor allem wegen Mark Thatcher, dem Sohn der ehemaligen britischen Premierministerin, für Aufsehen: Thatcher hatte Mann finanziell unterstützt und kaufte sich schließlich mit 560.000 Dollar frei, um nicht ins Gefängnis wandern zu müssen.

Grundsätzlich gilt: PMCs sind von staatlichen Stellen schlechter zu kontrollieren, bewegen sich oft in einer juristischen Grauzone und fühlen sich weniger an Normen, Gesetze und das Kriegsvölkerrecht gebunden. Bestes Beispiel: das Massaker mit 17 Toten, das die US-amerikanischen Blackwater-Soldaten im September 2007 in Bagdad anrichteten. Vier für die Erschießung verantwortliche Mitarbeiter der Sicherheitsfirma wurden 2020 vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump begnadigt.

Soldaten in Kampfanzügen
Blackwater-Trainingscamp in Moyock in North Carolina, USABild: Keystone/picture-alliance/dpa

Könnte mit Wagner eine neue Debatte über den Einsatz von "Private Military Companies" beginnen?

Katharina Stein hofft zumindest, dass der Fall Wagner zu einem grundsätzlichen Umdenken führt und der gesellschaftspolitische Druck wächst, eine internationale Regulierung herbeizuführen. Bisher sind solche Vorstöße allerdings gescheitert. "Es gab mehrere internationale Initiativen auf Ebene der UN, einen bindenden Vertrag über PMCs zu erstellen. Diese wurden blockiert, vor allem durch die USA, Großbritannien, Südafrika und Israel. Das sind auch die vier Staaten, die am meisten PMCs einsetzen."

Viele Staaten verweisen gerne auf das sogenannte Montreux-Dokument, das am 17. September 2008 mit Grundsätzen zum Umgang von Staaten mit privaten Sicherheits- und Militärunternehmen verabschiedet wurde: die erste auf internationaler Basis entstandene Erklärung, mit Beteiligung Deutschlands, der Ukraine und der USA.

Doch das Papier mit dem Ziel, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten und Menschenrechte zu achten, hat einen entscheidenden Nachteil, so Stein: "Es wird sehr gefeiert, weil behauptet werden kann, es gäbe ja eine Art von Regulierung. Aber es hat keine Bindungswirkung. Es wird immer wieder betont, dass sich daraus keine Rechte und Pflichten ergeben. Das Montreux-Dokument hat eine Scheinrolle."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur