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Die weggebombte Illusion

14. Oktober 2002

Bei den schlimmsten Terrorakten seit den Anschlägen vom 11. September 2001 sind auf Bali mindestens 189 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt worden. Ein Kommentar von Karl-Rüdiger Siebert.

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Nun hat auch Bali seine Unschuld verloren. Die Illusion, es könne auf unserem Globus noch eine Trauminsel friedlicher
Urlaubsfreuden geben, ist zerbombt worden. Dies ist die grausame Botschaft aus Indonesien. Wer immer in teuflischer Intelligenz die Insel Bali zum Ziel des Bombenterrors machte, traf ein weiteres Symbol, das in einer unsicheren Zeit die Hoffnung genährt hatte, in Hochglanzbroschüren beschworen: es könne weiterin Nischen geben, Rückzugsgebiete, Inseln der Seligen. Von dieser Illusion lebte das touristische Geschäft, und darin sonnte sich das Image Indonesiens.

Der Traum ist auf brutale Weise zum Alptraum geworden. Den Opfern und deren Familien gilt das Mitgefühl der zivilisierten Welt: den Opfern, die als Gäste Indonesiens kamen, und den Opfern unter den Indonesieren, die als Angestellte des touristischen Umfelds es den Gästen in traditioneller Freundlichkeit so angenehm wie möglich machten.

Weil Touristen aus Australien und westlichen Ländern betroffen sind, und weil ein Anschlag verübt wurde, der auch in Indonesien alle Maßstäbe sprengte, wird der 13. Oktober im Lande selbst und weltweit als Schock ohne Beispiel empfunden. Dieses Datum markiert in der Geschichte Indonesiens einen Einschnitt, der der historischen Bedeutung des 11. September 2001 gleichkommt: Terroristen an jedem Ort zu jeder Zeit gegen jeden und alles. Grenzenlos. Das World Trade Center war Symbol der globalen Geschäfte - mit allen auch fragwürdigen Begleiterscheinungen der Globalisation. Bali war das Symbol ungetrübter Ferienfreuden - mit aller Kritik auch wegen der Auswirkungen des käuflichen Glücks auf Kosten von Umweltzerstörung und mit fragwürdigen sozialen Folgen. Beide Symbole sind zerstört worden - unwiederbringlich.

Die Gerüchteküche mit Spekulationen zu Hintergründen und
Hintermännern brodelt. Doch vor voreiligen Schlüssen muss gewarnt werden. Es liegt nahe, die Attentäter im internationalen Netzwerk des Terrorismus zu vermuten. Aber ebenso muss der Frage nachgegangen werden, ob die Bomben im innerindonesischen Machtkampf gezündet worden sind. In den Jahren seit dem Sturz des Diktators Suharto im Mai 1998 sind zahlreiche Bomben explodiert. Christliche Kirchen waren ebenso das Objekt der Anschläge wie die Tiefgarage der Börse in Jakarta und andere öffentliche Gebäude. Keine der terroristischen Taten sind je aufgeklärt worden. Der Verdacht, dass bei all den Anschlägen militärische Kreise ihre Finger im schmutzigen Geschäft hatten, ist nie entkräftet worden.

Keine juristische Aufklärung brachte je Licht in das Dunkel des terroristischen Umfeldes, das von Regierungskreisen stets verharmlost und verheimlicht worden ist. Kein wirklich
Verantwortlicher musste sich vor Gericht einer Untersuchung
stellen. Indonesien bietet traditionellerweise den Nährboden für Spekulationen im dubiosen Gerangel um Pfründe und Macht.

Die Positionierung der Einflussbereiche mit dem Datum der
Präsidentschaftswahlen im Sommer 2004 laufen auf Hochtouren. Wer immer hinter den Bomben auf Bali steckt, sie bereiten den indonesischen Militärs den Boden, auf dem sie ihren Einfluss stärken können. Anschläge dieser Art tragen dazu bei, den volkstümlichen Ruf nach dem neuen starken Mann anzufeuern. Mag sein, dass nun der internationale Druck und das weltweite Interesse an Aufklärung beitragen, die Attentäter von Bali zu
enttarnen und zu fassen. Für wahrscheinlich hält das niemand, der die indonesischen Machtverhältnisse kennt. Die indonesischen Behörden sind gefordert wie niemals zuvor. Indonesien ist auf dem Wege zu einer Zivilgesellschaft und zu demokratischen Verhältnissen, so zögerlich er bisher offiziell beschritten worden war, radikal zurückgeworfen worden.