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PolitikUkraine

Fragen und Antworten zum Getreideabkommen

Silja Thoms
17. Juli 2023

Das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland ist ausgelaufen. Welche Folgen hat das? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

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Türkei I Getreidefrachter  auf Durchfahrt durch Bosporus
Wie lange können internationale Frachter noch Getreide aus der Ukraine über das Schwarze Meer exportieren?Bild: Yasin Akgul/AFP/Getty Images

Einst von UN-Generalsekretär Antonio Guterres als "Leuchtfeuer der Hoffnung" bezeichnet, steht das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland nun vor dem endgültigen Aus. Geschlossen am 22. Juli 2022, wurde das Abkommen in den vergangenen Monaten - auch als “Schwarzmeer-Getreide-Initiative” bekannt - immer wieder verlängert. Doch nun will Russland es an diesem 17. Juli auslaufen lassen - das hätte womöglich Folgen für große Teile der Welt.

Warum ist das Abkommen wichtig? 

Die Ukraine ist ein weltweit bedeutender Getreideproduzent. Als der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 begann, drohte in vielen Ländern eine Hungersnot. Denn ukrainisches Getreide ernährt nach Zahlen des World Food Programme 400 Millionen Menschen weltweit. Besonders in Afrika und im Nahen Osten wurde die Zeit knapp, um eine Hungerkrise zu verhindern.  

Die Preise für Nahrungsmittel waren bereits vor Beginn des Ukraine-Krieges angestiegen, doch die russische Invasion ließ sie weltweit in die Höhe schießen. Zudem steckten wegen der russischen Blockade des Schwarzen Meeres Millionen Tonnen von Getreide in ukrainischen Silos fest und drohten zu verderben. Laut Informationen der Europäischen Union ist "die Aufrechterhaltung der ukrainischen Getreidelieferungen für die weltweite Ernährungssicherheit nach wie vor von entscheidender Bedeutung." Aber auch für Kiew ist das Getreideabkommen von großer Wichtigkeit, denn die Ausfuhr von Getreide brachte der ukrainischen Wirtschaft alleine seit März 2022 rund 700 Millionen US-Dollar an Einnahmen.

Wie funktioniert das Abkommen? 

Das Abkommen regelt, dass Getreide kontrolliert aus den ukrainisch kontrollierten Schwarzmeerhäfen Odessa, Tschornomorsk und Piwdennyj exportiert werden kann. Dazu müssen die Schiffe entlang eines vereinbarten humanitären Seekorridors das Schwarzmeer in Richtung Istanbul überqueren. Hier werden Schiffe auf dem Weg zu und von den ukrainischen Häfen an einem von der Türkei kontrollierten Stützpunkt von einem speziellen Team inspiziert, das sich aus russischen, türkischen, ukrainischen und UN-Inspektoren zusammensetzt. 

Zwei UN-Task-Forces sollen einerseits sicherstellen, dass ukrainisches Getreide über das Schwarze Meer verschifft werden kann; andererseits soll auch die Ausfuhr russischer Nahrungs- und Düngemittel erleichtert werden. 

Wie erfolgreich ist das Abkommen? 

Die Schwarzmeer-Getreide-Initiative und die Solidaritätskorridore der EU zur Unterstützung der ukrainischen Exporte für landwirtschaftliche und andere Güter konnten dazu beitragen, dass die Preise für Lebensmittel sanken und sich stabilisierten. Über 30 Millionen Tonnen Getreide und andere Nahrungsmittel wurden bislang (Stand Mai 2023) über das Getreideabkommen exportiert. 

Besonders ärmere Länder profitieren davon. 64 Prozent des Weizens gingen in Entwicklungsländer, während Mais fast zu gleichen Teilen in Industrieländer und Entwicklungsländer exportiert wurde. Doch im März tauchten vermehrt Medienberichte auf, denen zufolge immer weniger Getreide aus der Ukraine ausgeliefert wird. 

Mais wird in einen Lastwagen verladen
Die Ukraine war bis zum Kriegsausbruch im Februar 2022 einer der größten Getreidelieferanten der WeltBild: Gleb Garanich/REUTERS

Insgesamt seien die Lebensmittelexporte, die durch das Abkommen ermöglicht wurden, im Mai im Vergleich zum Oktober letzten Jahres um etwa drei Viertel zurückgegangen. Zum einen scheuen immer mehr Reedereien das Risiko, Schiffe auf die unsichere Route zu schicken. Zum anderen gibt es strikte Regularien, die eine schnelle Durchfahrt der Schiffe erschweren. UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich zuletzt unzufrieden über die Umsetzung des Abkommens. "Das geringer werdende Tempo der Schiffsinspektionen bedeutet, dass weniger Schiffe ukrainische Häfen erreichen und verlassen und somit weniger Getreide ankommt", sagte der stellvertretende Sprecher des UN-Chefs, Farhan Haq, in einer Erklärung.

Die russische Seite beklagt vor allem, dass ihre Forderungen nicht eingehalten werden und die westlichen Sanktionen den Export eigener Agrarprodukte behindern würden. Dabei ist die Ausfuhr russischen Getreides von den westlichen Sanktionen ausdrücklich ausgenommen. Im Gegenteil hat Russland selbst in den vergangenen Jahren seinen Getreideexport durch eine Exportsteuer limitiert und zeitweise sogar einen Exportstopp verhängt.

Wie wichtig ist das Schwarze Meer ? 

Zwischen Südosteuropa und Asien liegt das Schwarze Meer an einer geostrategisch wichtigen Schnittstelle. Es ist eine Region, in der mehrere Interessen aufeinanderprallen - maritim, kontinental, geostrategisch und wirtschaftlich. Und es bildet die einzige Möglichkeit für die Ukraine, ihr Getreide über den Seeweg in die Welt zu exportieren. Einen Zugang zur offenen See, und damit eine Möglichkeit, weitere Export-Routen anzusteuern, gibt es im Schwarzen Meer nur über die Dardanellen und den Bosporus. Diese Meerengen werden von der Türkei kontrolliert. 

UN Generalsekretär Antonio Guterres bei einer Konferenz in New York
UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich in dieser Woche enttäuscht über die schleppende Umsetzung des GetreideabkommensBild: Eskinder Debebe/UN Photo/Xinhua/IMAGO

Aber nicht nur die Anrainerstaaten haben Interesse an den Routen im Schwarzen Meer. Denn das Binnenmeer spielt wirtschaftlich auch eine wichtige Rolle für China. Als Teil der Neuen Seidenstraße soll der Seeweg über das Schwarze Meer einen besseren chinesisch-europäischen Warenfluss ermöglichen. 

Was könnte passieren, wenn das Getreideabkommen ausläuft? 

Ob die Ukraine in diesem Fall weiterhin in derselben Menge Getreide verschiffen kann, bleibt unklar. Ein Problem könnten die hohen Versicherungskosten der Schiffe sein. Denn schon jetzt müssen Schiffe, die das Schwarze Meer durchqueren wollen, mit Tausenden von Dollar versichert werden. Ohne russische Zustimmung könnten Reedereien also zögern, weiterhin Schiffe durch das Kriegsgebiet fahren zu lassen. Auch der Transport von Getreide über Land könnte schwierig werden. Seit Beginn des Konflikts exportiert die Ukraine auch große Mengen Getreide über die östlichen Länder der Europäischen Union. Dabei gab es jedoch zahlreiche logistische Herausforderungen, unter anderem ist die Zahl vorhandener Güterwaggons schlicht zu klein für die Mengen zu exportierenden Getreides. 

Außerdem haben die Lieferungen aus der Ukraine durch die östlichen EU-Länder zu Unmut unter den dortigen Landwirten geführt. Sie behaupten, dass das ukrainische Getreide das lokale Angebot unterbot und sie keinen Markt mehr für ihre Ernte hatten. Um dies zu lösen, hatte die Europäische Union noch Anfang Juni Einfuhrbeschränkungen verhängt. So konnte Getreide zwar durch Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien und die Slowakei transportiert werden, ein Verkauf war in diesen Ländern allerdings nicht möglich. 

UN-Sprecher Farhan Haq sagte, die Vereinten Nationen sähen sich in der Pflicht, die Schwarzmeer-Getreide-Initiative und den Pakt zur Erleichterung der russischen Lebensmittel- und Düngemittel-Ausfuhren weiterhin zu unterstützen. Denn dies sei besonders zu diesem Zeitpunkt wichtig, da die neue Getreideernte sowohl in der Ukraine als auch in Russland beginnt.