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"Die wichtigsten Fragen werden für Saakaschwili Abchasien und Südossetien sein"

22. Januar 2004

– Eduard Schewardnadse zu den Problemen Georgiens mit den abtrünnigen Republiken und den Beziehungen zu Russland

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Moskau, 20.1.2004, ECHO MOSKWY, russ., A. Wenediktow, M. Ganapolskij

"Echo Moskwy" strahlt jetzt live ein (telefonisches) Interview mit Eduard Schewardnadse, dem ehemaligen Präsidenten Georgiens, aus.

(...)

Frage:

Eduard Amwrosijewitsch, um Sie herum ist das politische Leben in vollem Gange. In zwei Monaten finden Wahlen ins georgische Parlament statt. Haben Sie oder Ihre Partei, die Sie unterstützt hat, vor, an diesen Wahlen teilzunehmen? Werden Sie persönlich an den Wahlen teilnehmen? Oder ist für Sie das aktive politische Leben jetzt vorbei?

Eduard Schewardnadse:

Aktives politisches Leben führe ich derzeit nicht und werde ein solches auch kaum noch einmal führen. Ich habe nicht vor, eine Partei zu gründen. Ich bin der Meinung, dass das nicht nötig ist, dass es dem Land nicht zu gute kommen würde. Das einzige, was ich tun will, ist, meine jungen Kollegen zu unterstützen, die an die Macht gekommen sind. Sollten sie es brauchen, bin ich bereit, sie zu beraten, zu konsultieren usw. Darin besteht mein politisches Leben.

Frage:

(...) Georgien und Russland haben einige komplizierte Themen, über die sie verhandeln müssen. Herr Saakaschwili, der demnächst wahrscheinlich Russland besuchen wird, wird unter anderem über die russischen Truppen verhandeln, die auf dem Territorium Georgiens stationiert sind. Wie sollte Ihrer Meinung nach die neue georgische Führung dieses konkrete Problem mit den Militärstützpunkten angehen?

Schewardnadse:

Die Frage der Militärstützpunkte ist gelöst. Es gibt einen Beschluss des Istanbuler Gipfeltreffens auf höchster Ebene. Es ist aber so, dass die Fristen für den Abzug nicht festgelegt wurden. Saakaschwili und andere Regierungsmitglieder müssen sich jetzt mit der russischen Führung über die Fristen einigen, in denen die Truppen abgezogen werden müssen. Vielleicht in 5 Jahren, vielleicht in 6. Womöglich sogar in 3. Das hängt davon ab, wie sie übereinkommen werden. Das ist jedoch nicht die wichtigste Frage. Die wichtigste Frage ist Abchasien. Abchasien und Südossetien sind eigentlich von russischen Truppen besetzt worden. Es besteht keine Hoffnung, diese unsere Regionen in der nächsten Zeit zurückzuholen. Über 300 000 Einwohner georgischer Nationalität, die in diesen Regionen gelebt haben, leben derzeit unter schwierigsten Bedingungen in anderen Gegenden, bekommen minimale, rein symbolische Hilfe. Saakaschwilis wichtigste Fragen werden Abchasien und Südossetien sein. (...) Russland muss mit einem Beispiel vorangehen. Von ihm hängt im wahrsten Sinne des Wortes alles ab. Ich bin ein erfahrener Mensch, ich kenne alle Nuancen. Russland kann diesen Konflikt beilegen.

Frage:

Eduard Amwrosijewitsch, wir erinnern uns aber, dass die Präsidenten dieser selbsternannten Republiken gleich nach der "samtenen Revolution" in Georgien nach Russland kamen, dass Putin jedoch danach klar und deutlich gemacht hat, dass niemand die territoriale Integrität Georgiens verletzen wird. Zeugt das Ihrer Meinung nach von der doppelten Moral Russlands? Wer ist jetzt konkret daran schuld, dass das Problem Abchasien nicht gelöst wird?

Schewardnadse:

Schuld daran sind in erster Linie Russland und der UNO-Sicherheitsrat. 27 Resolutionen haben die angenommen. Leider wurde keine einzige umgesetzt. (...) Ich sage direkt, sollte der abchasische Konflikt nicht beigelegt werden, wird das schwere Folgen haben. Ich glaube, dass Russland dabei ans Schwarze Meer denkt. Ihm sind wenige Häfen am Schwarzen Meer und der Ostsee übriggeblieben. Wahrscheinlich will Russland Abchasien nicht abgeben.

(...)

Frage:

(...) Aslan Abaschidse verhängt in Adscharien immer wieder den Ausnahmezustand, reist regelmäßig nach Moskau. Derzeit kommt es zu Festnahmen in der Republik. (...) Was glauben Sie sollte die jetzige Führung Georgiens mit Adscharien, mit Abaschidse tun?

Schewardnadse:

Man muss verhandeln, sich einigen. Solche Probleme gab es auch früher schon. Ich habe Adscharien wahrscheinlich 15 oder 20 Mal aufgesucht, die Verhandlungen waren immer recht erfolgreich. Man muss in die Republik reisen, verhandeln, sie nicht als einen Feind betrachten. Mit Abaschidse kann man übereinkommen.

Frage:

Saakaschwili hat dieser Tage erklärt, dass er mit russischen Methoden Ordnung in Georgien schaffen wird. Wir wissen, was russische Methoden sind. Das sind in erster Linie Gewaltmethoden, die gegen abtrünnige Territorien angewandt werden.

Schewardnadse:

Die russischen Methoden werden von den Möglichkeiten des Landes, den Möglichkeiten Russlands bestimmt. Georgien verfügt nicht über solche Möglichkeiten. Es wäre unheilvoll jetzt einen neuen Krieg mit Adscharien oder irgendeiner anderen Region zu beginnen, das würde zum Zerfall des georgischen Staates führen.

(...)

Frage:

(...) Welche Richtung sollte Georgien in der Zukunft einschlagen? Sollten das in erster Linie irgendwelche Strukturen sein, die es mit Russland vereinigen, oder sollten das europäische und atlantische Strukturen sein – die NATO, die Europäische Union? Wo liegt der Ausweg, die Prioritäten Georgiens? (...)

Schewardnadse:

Sie haben schon richtig gesagt, sowohl das eine als auch das andere. Natürlich orientieren wir uns auf die Europäische Union, die Nordatlantische Allianz. Die Europäische Union passt uns, normale Bedingungen. Sollten wir Mitglied der Europäischen Union werden, wird sich Georgien schneller entwickeln. Das gleiche gilt für die NATO. (...)

Frage:

Eduard Amwrosijewitsch, sollte Georgien Ihrer Meinung nach NATO-Mitglied werden?

Schewardnadse:

Es könnte NATO-Mitglied werden. Ich weiß nicht, wann es dazu kommen wird. Das ist die eine Seite der Frage. Die zweite ist, dass wir ohne Russland nicht leben können, wir brauchen gute, gutnachbarschaftliche Beziehungen zu Russland. Wir sind dazu bereit. Auch jetzt schon arbeiten wir nicht schlecht zusammen, aber ohne die Lösung der Probleme mit Abchasien und Südossetien wird es nicht dazu kommen. (...)

(...) (lr)