Die Zukunft hat begonnen
27. Juni 2007Das Web 2.0 ist inzwischen zum Alltag geworden. Millionen Menschen verbringen einen Teil ihrer Zeit damit, Artikel für Wikipedia zu schreiben, Bücher bei Amazon zu rezensieren, gekaufte Artikel bei ebay zu bewerten, Urlaubsbilder auf flickr zu veröffentlichen und sich selbst auf Facebook darzustellen.
An welchem Punkt der Erde auch immer sie sich dabei befinden, sie arbeiten gemeinsam an einem Produkt. Internetbuchverleger und Web 2.0-Erfinder Tim O’Reilly hat es gesagt: "Das Internet ist zur Plattform geworden." Und es gibt nur noch einen großen Computer. Alle kleinen gewähren lediglich den Zugang zu "dem einen globalen elektronischen Gehirn, das wir erschaffen".
Dieses Gehirn lernt immer mehr und immer schneller dazu. Schon jetzt nutzen Firmen die Daten, die sie im Netz umsonst finden, um Kunden zu suchen und anzusprechen. Jeff Hammerbacher von Facebook beteuert, dass man die Daten der Nutzer nicht verkauft - aber mit Anzeigenkunden darüber verhandelt, welche zusätzlichen Analysen sich denn aus den sehr privaten Details der Facebook-Seiten ziehen lassen. Yahoo und Google beteuern, sie würden die Daten ihrer Nutzer schützen - verweisen im Zweifelsfall aber darauf, dass sie sich an die Gesetze des jeweiligen Landes halten und mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen arbeiten.
Daten-Erhebung ohne Grenzen?
Tatsächlich sind der Daten-Erhebung und -Verknüpfung theoretisch keine Grenzen mehr gesetzt. Das macht auch Andreas Weigend deutlich. Er ist neben seiner Arbeit als Gast-Professor hauptberuflich Chef-Entwickler bei Amazon. Wenn zum Beispiel die GPS-Signale von Handys für alle zugänglich wären, meint Weigend, könnte jeder seiner Studenten sehen, dass er mindestens eine Viertelstunde zu spät zur Vorlesung kommt, weil sein Handy - und damit er - noch zehn Kilometer von der Uni entfernt ist. Und wenn dann die Polizei feststellt, gibt Tim O’Reilly zu bedenken, dass er den Weg zum Hörsaal nur geschafft haben kann, wenn er die Höchstgeschwindigkeit überschritten hat - dann gibt es den Strafzettel eben im Nachhinein.
Und schon bald, glaubt O’Reilly, wird ein Software-Programm Entscheidungen treffen, zu denen bisher nur der Mensch in der Lage ist, etwa wenn es um soziale Beziehungen geht. Plattformen für Soziale Netzwerke, so Tim O’Reilly, können bisher noch nichts über die tatsächliche soziale Beziehung von zwei Menschen aussagen. Vertrauen sie sich? Wenn sie sich tatsächlich getroffen haben, dann ist das doch anders, als wenn sie sich nur E-Mails schreiben. Wenn Software diesen Schritt diese Einschätzungen vornehmen kann, dann kann sie auch entscheiden, ob sie die Telefonnummer eines Freundes an Dritte weitergibt, wenn die danach fragen.
Mehrwert durch kollektive Datensammlung
Mit der fortschreitenden Entwicklung der Technik verändern sich aber auch die Normen der Gesellschaft. Was vor fünf Jahren niemand auf eine Postkarte geschrieben hätte, weil es dann ja jeder lesen könnte, wird heute in Blogs ins Internet gestellt. Und vor allem die Jüngeren finden nichts dabei. Sie sind bereit, für den Mehrwert, den ihnen die kollektive Datensammlung bringt, ihren Teil beizusteuern.
Insgesamt, da sind sich die Webforscher einig, wird der Computer immer mehr in den Hintergrund treten. Andreas Weigend, der regelmäßig nach China reist, sagt, dort würden jeden Tag eine Million neuer Handys verkauft. Die Arbeiter auf dem Land haben keinen Computer, aber ein Handy: "Und die Regierung schickt ihnen zum Beispiel Informationen über Gesundheitsvorsorge über das Handy zu."
"Wir werden überrascht sein"
Bald wird es andere Geräte geben, mit denen die Nutzer auf die Informationen zugreifen können. Intelligente Radios oder andere Geräte, die sich auch arme Menschen leisten können. Auch sie profitieren dann von der globalen Datensammlung. Genauso wie die Firmen in Silicon Valley. Das Tal in Kalifornien hat sich von dem Absturz 2001 wieder erholt, es gibt immer wieder neue Startup-Unternehmen, aber man ist vorsichtiger geworden.
Trotzdem wird sich der Markt weiter verengen. Schon jetzt schlucken die Großen die Kleinen, so hat sich Google YouTube und Yahoo flickr einverleibt. Aber auch das, so sagt Tim O’Reilly, sei eine normale Entwicklung bei einer neuen Technologie. Je mehr Teilnehmer ein Netzwerk hat, umso wertvoller wird es. Und die, die zuerst da waren, profitieren davon. Fest steht, dass es einen Weg zurück nicht mehr gibt. Aber Vorhersagen, wie schnell welche Entwicklungen eintreten, betonen die Experten, lassen sich nur schwer treffen. Am besten fasst es Tim O’Reilly zusammen, wenn er sagt. "Ich glaube, wir können erwarten, dass wir überrascht sein werden."