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Politik

Brasiliens Ex-Präsidentin Rousseff fordert Versöhnung

Jean-Philip Struck apo | Clarissa Neher
15. November 2017

Brasiliens Ex-Präsidentin Dilma Rousseff setzt auf Versöhnung statt Vergeltung. "Wir dürfen in dem bevorstehenden Wahlkampf nicht auf Rache sinnen", erklärte sie während ihres Besuchs in Berlin im DW-Interview.

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Berlin Dilma Rousseff
Bild: DW/C. Neher

Deutsche Welle: Wie beurteilen Sie Brasiliens aktuelle Lage ein Jahr nach Ihrer Amtsenthebung?

Dilma Rousseff: Der Putsch gegen mich lief in drei Phasen ab. Er begann mit meiner Amtsenthebung.  Die zweite Phase umfasst die aktuellen Reformen, also die Gesetzesvorhaben, mit denen die Ausgaben für Gesundheit und Bildung eingefroren werden sollen, und die Einschnitte bei Arbeitnehmerrechten. Und die Privatisierungen. In der dritten Phase geht es darum, die Kandidatur von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen zu verhindern.

Was erwarten Sie von den Präsidentschaftswahlen 2018?

Immer mehr Brasilianern fällt auf, dass Lula politisch verfolgt wird. Worauf stütze ich diese Behauptung? Die Zustimmung für ihn in den Meinungsumfragen steigt. Das brasilianische Volk hat erkannt, dass Lula der beste Präsident des Landes war. Ich habe die Hoffnung, dass er als Präsident zurückkommt. Während meines Amtsenthebungsverfahrens haben es die politischen Gegner und die Medien geschafft, die Ablehnungsraten gegenüber der Arbeiterpartei PT und Lula in die Höhe zu treiben. Sie haben auf die Unwissenheit des brasilianischen Volkes gesetzt. Doch das Volk wird dies durchschauen.

Wie bewerten Sie die Wiederannäherung zwischen der PT und dem ehemaligen Koalitionspartner PMDB in einigen Bundesländern? Ist es nicht widersprüchlich, auf der einen Seite von einem "Putsch" zu sprechen und sich auf der anderen Seite mit dem politischen Partner zusammenzuschließen, der einen verraten hat?

Auf nationaler Ebene ist eine Allianz mit der PMDB äußerst unwahrscheinlich. Aber warum soll es verboten sein, eine Allianz mit Roberto Requião einzugehen? Senator Requião gehört der PMDB an, aber er hat gegen das Amtsenthebungsverfahren gegen mich gestimmt. Auch die ehemalige Landwirtschaftsministerin Kátia Abreu hat gegen den Putsch gekämpft.

Brasilien Ex-Präsidenten Dilma Rousseff und Luiz Inacio Lula da Silva in Brasilia
Ex-Präsident Lula will bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Oktober 2018 kandidierenBild: Reuters/U. Marcelino

Und was ist mit dem Senator Renan Calheiros?

Er hat den Putsch nicht unterstützt.

Aber er hat für Ihre Amtsenthebung gestimmt.

Er war Präsident des Senats, er durfte nicht abstimmen.

Sein Votum am Ende war für das Impeachment.

Aber er hat sich nicht dafür starkgemacht. Das ist auch nicht die entscheidende Frage. Vergebung für die Putschisten heißt nicht, den Parteien PMDB und PSDB zu vergeben, die meine Amtsenthebung betrieben haben. Vergebung für Putschisten heißt, denjenigen Leuten zu verzeihen, die auf die Straße gegangen sind und demonstriert haben, weil sie dachten, sie würden ihr Land retten, und die jetzt merken, dass dies nicht der Fall ist. Wir müssen wieder miteinander klarkommen. Ein Teil Brasiliens hat sich geirrt. Das bedeutet jedoch nicht, denjenigen zu vergeben, die den Putsch geplant und durchgeführt haben. Es gibt viele Menschen, die auf die Straße gegangen sind und völlig falsch lagen. Aber soll man sich jetzt hinstellen und sagen: wir werden dich dafür verfolgen? Wir müssen ein Klima der Versöhnung schaffen, in dem eine Wiederannäherung möglich ist, nicht ein Klima der Vergeltung.

Braucht die brasilianische Politik nach der Amtsenthebung nicht eine personelle Erneuerung? Wäre dies nicht die Gelegenheit, Raum für neue politische Führungskräfte zu schaffen, insbesondere im linken Spektrum?

(lacht) So etwas nennt man ein Rezept für: Wie werde ich Lula los? Aber im Ernst: Was haben die Konservativen denn bis jetzt vorzuweisen? Sie haben die rechtsextreme Partei MBL (Movimento Brasil Livre) mit ihrem Kandidaten Jair Bolsonaro stark gemacht. Und was gibt es sonst Neues in Brasiliens? Ein inkompetentes Regierungsoberhaupt vom Typ Donald Trumps? João Doria, der neue Bürgermeister von São Paulo? Wissen Sie, was ich neu finde? Ich finde es gut, wie sich die brasilianische Bevölkerung mit dem Hashtag #coisadepreto (Sache der Schwarzen) gegen die rassistischen Bemerkungen von TV-Moderator William Waack wehrt. Die PT gehört dazu. Sie bekämpft Rassismus und soziale Ungerechtigkeit, genauso wie Lula und ich.

Wie sieht Ihr Tagesablauf ein Jahr nach der Amtsenthebung aus?

Der Tagesablauf hängt davon ab, wo ich bin, in São Paulo oder Berlin oder sonstwo. Ich nehme an Konferenzen, Karawanen und Debatten teil. Und wenn immer es möglich ist, fahre ich 50 Minuten Fahrrad pro Tag. Wenn ich in Porto Alegre bin, verbringe ich Zeit mit meinen Enkelkindern, sie übernachten dann bei mir. Als Großmutter hat man das Privileg, dass man seine Enkelkinder verwöhnen und dann an die Mutter zurückgeben kann.

In Brasilien scheint es keine vorgeschriebene Rolle für Ex-Präsidenten zu geben, so wie dies zum Beispiel in den USA oder einigen europäischen Ländern der Fall ist. Was für eine Art von Ex-Präsidentin möchten Sie sein?

Ein Ex-Präsident hat lediglich ein Anrecht auf einen Sicherheitsservice und ein kleines Sekretariat. Irgendwann muss mal darüber entschieden werden, welche Art von Schutz einem ehemaligen Staatsoberhaupt zusteht. Ich finde übrigens, ein Ex-Präsident sollte nicht in die Privatwirtschaft zurückkehren dürfen, das ist nicht mit dem Amt vereinbar. In den USA gibt es da genaue Vorschriften.

Werden Sie eine Ex-Präsidentin sein, die für neue politische Ämter kandidiert?

Ich werde nicht aufhören, Politik zu machen, nur weil ich Ex-Präsidentin bin oder kein Mandat mehr habe. Ich habe mein ganzes Leben lang Politik gemacht und bin dafür ins Gefängnis gekommen.

Werden Sie erneut für ein Amt kandidieren?

Ich schließe eine Kandidatur nicht aus, aber ich habe noch nicht ernsthaft darüber nachgedacht. Wenn ich in Brasilien ankündige, ich werde nicht mehr antreten, und dann meine Meinung ändere, dann muss ich danach tausende von Erklärungen abgeben. Ich ziehe die Möglichkeit in Betracht, damit ich keine Erklärung schuldig bin.

Sind Sie davon überzeugt, dass die Geschichte Ihnen Recht geben wird?

Sie hat mir bereits Recht gegeben. Der ehemalige Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der meine Amtsenthebung angestrengt hat, ist seinerseits seines Amtes enthoben und zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Er sitzt im Gefängnis. Mehrere Anklagen zeigen, dass er Stimmen von Abgeordneten für meine Amtsenthebung gekauft hat. Außerdem ist bewiesen, dass die Gründe für meine Amtsenthebung vorgeschoben waren, ich habe keine einzige Straftat begangen. Auch das Argument, mit der Amtsenthebung könne die politische und wirtschaftliche Krise in Brasilien gelöst werden, ist widerlegt, denn die politische Krise hat sich seitdem weiter verschärft. Der jetzige Präsident (Michel Temer) ist angeklagt worden, genauso wie der Senator Aécio Neves. Gegen beide liegt belastendes Beweismaterial vor. Trotzdem üben diese beiden Personen immer noch ihre Ämter aus, während Lula und ich beschuldigt werden, nur weil wir Präsidenten waren.

Dilma Rousseff war vom 1. Januar 2011 bis zum 31. August 2016 Präsidentin von Brasilien. Sie war die erste Frau in diesem Amt. Ihre Präsidentschaft endete mit einem Amtsenthebungsverfahren.

Die Fragen stellten Clarissa Neher und Jean-Philip Struck.