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Disney: Live-Action-Remake von Arielle kommt ins Kino

Julia Hitz | Rayna Breuer
25. Mai 2023

"Die kleine Meerjungfrau" ist mitreißend inszeniert. Mit diversem Cast zeichnet der Film eine gesellschaftliche Utopie. Doch die Möglichkeiten, Fragen von Zugehörigkeit und Ausschluss zu stellen, bleiben ungenutzt.

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 Halle Bailey als "Arielle, die Meerjungfrau" 2023
Halle Bailey als "Arielle, die Meerjungfrau" 2023Bild: Disney/dpa/picture alliance

Blassweiße Haut, Wespentaille, knappes Bikinioberteil und eine wallende, rote Mähne. Das ist Arielle, die kleine Meerjungfrau, im Jahr 1990. Mit diesem Aussehen hat sie Starkult in den Kinderzimmern der Welt erlangt. Merchandise von Tassen, Puppen bis Lippenstift inklusive. Der Disney-Konzern hat nichts ausgelassen, um das Bild der kleinen Meerjungfrau fest in den kindlichen Köpfen und Kinderzimmern zu verankern.

Nun kommt das Live-Action-Remake des Disney-Klassikers "Die kleine Meerjungfrau" in die Kinos, in der Hauptrolle die US-amerikanische Schauspielerin Halle Bailey. Charmant und stimmgewaltig führt die junge Schauspielerin durch die nun deutlich diversere Unterwasserwelt, in spektakulären Bildern.

Problematische Diskussionen um Besetzung von Arielle

Live-Action-Remakes der Disney Klassiker sind in den letzten Jahren beliebtes Mittel für kommerziellen Erfolg des US-Medienunternehmens: Lion King, Aladdin, Mulan, nun Arielle. Als der Konzern 2019 die Besetzungen für "Arielle" bekannt gibt, kommt es zu zwiespältigen Reaktionen. Unter dem Hashtag #NotMyAriel wird mit Unmut bis zu rassistischen Beleidigungen die Besetzung der Arielle mit der afroamerikanischen Schauspielerin und Sängerin Halle Bailey diskutiert - und abgelehnt.

Disney reagiert souverän und bekennt sich zum Cast. In einem Twitter-Statement über den Account "Freeform" lässt der Konzern 2019 verlauten: Der Autor des Märchens sei zwar Däne, aber der fiktive Charakter Arielle lebe in der Unterwasserstadt Atlantica im Atlantik und sei von weltlichen Nationalitäten ungebunden. Zudem gäbe es auch schwarze Däninnen und Dänen und daher seien auch Schwarze als dänische Meerjungfrauen in der Fiktion möglich. Außerdem hebt Disney das herausragende Talent Halle Baileys hervor und riet den Kritikern, sich darauf zu konzentrieren und nicht auf die angeblich nicht passende Hautfarbe.

Halle Bailey Schauspielerin Arielle die Meerjungfrau
US-Schauspielerin und Sängerin Halle Bailey spielt 2023 die ArielleBild: Richard Shotwell/picture alliance

Auch die Schauspielerin Halle Bailey geht nicht weiter auf die negativen bis rassistischen Anfeindungen ein, die nach der Veröffentlichung des ersten Trailers im September 2022 immer wieder im Netz auftauchen, sondern betont, wie positiv ihre Besetzung auf viele Menschen wirke. 

100 Jahre Disney

Zweifelsohne hat der US-amerikanische Zeichner und Visionär Walt Disney unvergessliche Figuren geschaffen - von Mickey Mouse bis Donald Duck. Als Gründungsmoment für das Disney-Imperium gilt der 16. Oktober 1923, an dem Walt Disney zwölf Filme - darunter "Alice im Cartoonland" - an die New Yorker Filmvermietung M.J. Winkler verkaufte. Der Vertrag markiert den Startpunkt des wirtschaftlichen Erfolgs der Marke Disney und wird 2023 unter anderem mit drei großen Ausstellungen in Philadelphia, München und London gefeiert.

"Die kleine Meerjungfrau" ist eines der Highlights zum 100. Jubiläum von Disney. Schon der Animationsfilm von 1990 (dessen Geschichte an das Märchen der kleinen Meerjungfrau des dänischen Dichters Hans Christian Andersen von 1837 angelehnt ist, aber im Gegensatz zur Disney-Adaption kein Happy End hat) war für das Studio eine wahre Goldgrube. Es spielte in den USA und weltweit rund 200 Millionen US-Dollar ein, bekam Golden Globes, einen Grammy und zwei Oscars; für die beste Filmmusik und den besten Song mit "Under the Sea". Es ist der Auftakt für einen wahren Disney-Boom in den 1990er Jahren, mit weiteren Erfolgsfilmen wie "Die Schöne und das Biest"(1991), "Aladdin"(1992), "König der Löwen" (1994) und "Pocahontas"(1995).

Filmszene Arielle die Meerjungfrau von Disney
Die kleine Meerjungfrau von 1990Bild: picture alliance/United Archives

Nur allzu gerne würde der zuletzt schwächelnde Disney-Konzern im Jubiläumsjahr an derlei Erfolge anknüpfen. Dass Disney heute auf Diversität setzt hat gute Gründe - und eine lange Vorgeschichte.

Es war einmal...? Rassismus bei Disney

Sie hat auch mit "Dumbo" zu tun. Eine Gruppe von Krähen sitzt auf einem Ast, eine von ihnen raucht eine Zigarre. Sie lachen, tanzen und singen, dabei machen sie sich lustig über den kleinen Elefanten "Dumbo" mit seinen großen Ohren, der ihnen traurig zuhört. Der Anführer des Krähen-Chors heißt: Jim Crow. Kein zufällig gewählter Name - in den USA im 19. Jahrhundert stand er für das Stereotyp eines tanzenden, singenden Schwarzen. Eine Bühnenfigur, erschaffen von dem weißen Komiker Thomas D. Rice, der als Blackface auftrat.

Disney sieht inzwischen ein, dass diese Szene im Filmklassiker "Dumbo" von 1941 an rassistische Minstrel-Shows erinnert, bei denen weiße Darsteller mit geschwärzten Gesichtern und zerfetzter Kleidung die versklavten Afrikaner auf den Plantagen der Südstaaten imitierten und verspotteten.

Filmstill mit Trickfilmfigur Dumbo - einem Zeichentrickelefanten mit großen Ohren
Purer Rassismus - die Darstellung des Elefanten Dumbo im Jahr 1941Bild: Mary Evans Picture Library/picture alliance

Auch der Anfang des Films ist mehr als fragwürdig: Zu sehen sind gesichtslose schwarze Arbeiter, die ein Zirkuszelt aufbauen. Dazu singen sie ein Lied, in dem es heißt: "Wir arbeiten den ganzen Tag, wir arbeiten die ganze Nacht. Wir haben nie lesen und schreiben gelernt. Wir sind fröhliche Hilfsarbeiter." Und weiter: "Wenn andere ins Bett gehen, schuften wir uns ab, bis wir sterben." Eine zynische Darstellung schwarzer Menschen in den USA und eine Verharmlosung der Geschichte der Sklaverei.

Heute mit Warnhinweis: Dumbo, Dschungelbuch, Peter Pan

"Dumbo" ist nicht der einzige Disney-Film, in dem indigene Menschen oder solche aus anderen Kulturkreisen diskriminierend dargestellt werden. Disney arbeitet in seinen Produktionen mit dem stilistischen Mittel des Anthropomorphismus, in dem er menschliche Eigenschaften auf Tiere überträgt. Die Darstellung der Tiere reproduziert auf diese kulturelle Stereotype - oft von marginalisierten Menschen. Ein Beispiel unter vielen ist der Affe King Louis aus dem "Dschungelbuch". Durch den von ihm gesprochenen Slang sowie seine Vorliebe zum Jazz wird er als Afroamerikaner imaginiert. Der Affe als beleidigende Karikatur eines Schwarzen ist zudem eine bis heute sehr übliche rassistische Herabwürdigung. Im Disney-Filmklassiker "Peter Pan" (1953) sprechen die Ureinwohner Amerikas eine unverständliche Sprache und werden wiederholt mit der rassistischen Bezeichnung "Rothäute" belegt.

Disney geht das Problem an, indem nun Warnhinweise vor Produktionen älteren Herstellungsdatums wie "Dumbo", "Peter Pan" und "Aristocats" erscheinen: "Dieses Programm enthält negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen oder Kulturen. Diese Stereotype waren damals falsch und sind es noch heute." Mit solchen Einblendungen sollen Diskussionen angeregt werden, die eine integrative Zukunft ohne Diskriminierung ermöglichen sollen, so der Konzern. Doch reicht ein Hinweis zu Beginn eines Filmes aus?

Kulturelle Aneignung - damals und heute

Von "kultureller Aneignung" ist die Rede, wenn Bestandteile einer Kultur - etwa geistiges Eigentum, kulturelle Ausdrucksformen, Artefakte, Geschichte oder Wissensformen - von Mitgliedern einer anderen Kultur übernommen und dabei aus dem Kontext gerissen werden. Dahinter verbirgt sich die Absicht, sie dem eigenen Geschmack entsprechend anzupassen und daraus Kapital zu schlagen. In der Disney-Filmografie finden sich mehrere Beispiele, in denen Elemente einer bestimmten Kultur aus Gründen der Unterhaltung verändert wurden. So hat etwa der Film "Pocahontas" kaum noch etwas mit der Ursprungsgeschichte gemein: Aus einem zehn Jahre alten Mädchen machte Disney eine attraktive, leicht bekleidete Frau, die sich in John Smith, einen englischen Abenteurer und Kolonialisten, verliebt.

Wenn es um das liebe Geld geht, sichert sich Disney lieber ab: Die Marke "Hakuna Matata" (Swahili für "keine Sorgen") zum Beispiel ließ sich der Konzern bereits 1994 schützen, als der erste "König der Löwen"-Film in die Kinos kam. Das US-Patent- und Markenamt gewährte die Eintragung der Marke im Jahr 2003 - und Disney druckte den Spruch auf T-Shirts. Der Aktivist Shelton Mpala startete daraufhin eine Petition und beschuldigte den Konzern, mit einer fremden Kultur Geld zu machen.

Disney hat seine Fehler mit der Zeit erkannt. Der Konzern versucht nun vermehrt, authentische Geschichten zu erzählen und nicht über, sondern mit den Menschen aus anderen Kulturen zu sprechen und zusammenzuarbeiten. So gründete Disney etwa die Plattform "Stories Matter", auf der das Unternehmen nicht nur über die neue Herangehensweise beim Filmemachen spricht, sondern auch über die alten Fehler. Der Kurzfilm "Reflect" (dt. "Reflexion") bricht Ende 2022 mit dem Körperideal des Dünnseins. Die Balletttänzerin namens Bianca ist eine der ersten mehrgewichtigen Hauptdarstellerinnen in einem Disney-Film. 

Lernprozess bei Disney

Ab Ende der 1990er-Jahre lässt sich bei Disney eine Art Neustart erkennen. Es war die Zeit, in der eine Menge Veränderungen im Konzern vorgenommen wurden, inklusive der Neubesetzung nahezu der gesamten Chefetage. Authentische Geschichten müssen erzählt werden - aber vor allem müssen sie richtig erzählt werden. Nun gilt ein Kooperations-Gebot. Für "Die Eiskönigin II" sah sich Disney gezwungen, vorher eine Abmachung mit Vertretern der Sámi-Bevölkerung zu unterzeichnen, deren Kultur als Grundlage für beide Filme diente.

Filmstill "Encanto" Walt Disney Pictures
Angelehnt an kolumbianische Zenú-Kultur: Disney-Hit Encanto von 2021Bild: Walt Disney Pictures/Prod.DB/imago images

Auch mit "Encanto" versucht Disney, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen: Um eine authentische Darstellung der Zenú (der kolumbianischen Völker an der Küste Kolumbiens, auf die sich der Film bezieht) zu schaffen, haben die Macher von "Encanto" eng mit Zenú-Künstlern und -Handwerkern zusammengearbeitet. Trotzdem werfen Kritikerinnen und Kritikern Disney bis heute den Ausverkauf ihrer Kulturen vor. 

Disney-Filme und der Sexismus-Vorwurf

Problematisch sind viele Disney-Klassiker auch aus feministischer Sicht. Besonders Arielle kommt unter feministischen Standpunkten nicht gut weg, denn sie stürzt sich, kaum dem strengen, patriarchal auftretenden Vater entkommen, in die Arme eines Prinzens, den sie kaum kennt. Um für ihn dann nicht nur ihre Herkunft, sondern auch noch ihre Stimme aufzugeben.

Nun ist in Sachen Sexismus nachweislich einiges passiert, die neuen Heldinnen von Disney dürfen seit einigen Jahren ihre Abenteuer ganz ohne Endziel Prinz (z.B. Moana) erleben, oder nehmen die romantische Vorstellung der Liebe zumindest aufs Korn (z.B. bei Eiskönigin Elsa). Seit den 2010er-Jahren gibt es auch homosexuelle Figuren im Disney-Universum (z.B. in Strange World 2022), auch wenn der Disney-Konzern in Sachen Repräsentanz der LGBTQ-Community auch hart in der Kritik steht.

Arielle könnte mehr - feministisch wie postkolonial

Immerhin bringt im Remake Arielle höchstpersönlich die Meerhexe Ursula (gespielt von Melissa McCarthy) zur Strecke, und muss nicht von Prinz Erik gerettet werden. Doch ansonsten hangeln sich die Macher des Remakes - wie man das inzwischen von den Remakes des Konzerns gewohnt ist - streng am originalen Drehbuch entlang. Zwar ist wird die Unterwasserwelt als eine Art Regenbogenfamilie inszeniert und über dem Meer sieht es sehr karibisch aus. Aber US-Regisseur Rob Marshall begnügt sich dann doch lieber mit mitreißenden Musical-Einlagen als mit doppelbödiger Gesellschaftskritik. 

Auch wenn sich viele afroamerikanische und afrodeutsche Familien mit Recht über die schwarze Meerjungfrau freuen dürfen: Das Potential, welches das Märchen von Andersen, die Legenden um Meerjungfrauen auf dem afrikanischen Kontinent oder die Zwei-Welten-Symbolik hätten, um die kleine Meerjungfrau feministisch oder gar postkolonial wirklich neu zu lesen, hat Disney nicht erkannt oder schlicht verstreichen lassen.

DW Mitarbeiterportrait | Rayna Breuer
Rayna Breuer Multimediajournalistin und Redakteurin