DITIBs ungewöhnliche Vorstands-Präsentation
16. Januar 2019Es ist voll im Veranstaltungsraum auf dem Gelände der Moschee in Köln-Ehrenfeld an diesem Mittwochmorgen. Viele Journalisten sind zur Vorstellung des neuen Vorstands des Moscheeverbands DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) gekommen. Der Verband hatte zu dem Treffen eingeladen - und es ausdrücklich als "gegenseitiges Kennenlernen" und nicht als Pressekonferenz betitelt. Mit einer normalen Pressekonferenz hatte die Veranstaltung zwischenzeitlich tatsächlich wenig gemein. Aber dazu später mehr.
In den letzten Jahren stand die DITIB häufig für ihre enge Beziehung zu Ankara in der Kritik. Sie ist der größte Islamverband in Deutschland, aber die Imame, die in den rund 950 DITIB-Moscheen in ganz Deutschland predigen, werden vom türkischen Staat entsandt und bezahlt. Eine weitere enge Verbindung zur Diyanet, der türkischen Religionsbehörde: Ihr Präsident und ihr Vizepräsident sitzen im DITIB-Beirat der die Kandidaten vorgeschlagen hat, aus denen die Mitgliederversammlung Anfang des Jahres den neuen DITIB-Vorstand gewählt hat.
Diese neue Führungsspitze sitzt am Mittwoch vollständig versammelt in einer Reihe vor den Journalisten. Nachdem sich alle sieben Mitglieder kurz vorgestellt haben, verliest der neue Vorsitzende Kazim Türkmen ein Eingangsstatement. Sein Deutsch klingt noch etwas unsicher; später wird er die Fragen der Pressevertreter auf Türkisch beantworten, ein DITIB-Mitglied übersetzt. Türkmen ist noch nicht lange wieder in Deutschland. Er war vor Jahren zwar schon Imam in Dinslaken, aber von 2014 bis 2018 arbeitete er als Abteilungsleiter bei der Diyanet in Ankara.
DITIB will Kritik hinter sich lassen
In seiner Eröffnungsrede betont Türkmen, der Islam so wie DITIB ihn lebe, fuße auf einer "vernunftorientierten und quellenbasierten Interpretation des Koran." Er lobt das Engagement der vielen tausend Freiwilligen in den DITIB-Gemeinden. Aber hauptsächlich kritisiert er, wie mit seinem Verband in den vergangenen Jahren umgegangen wurde. Beiträge für ein friedliches Miteinander seien nicht wahrgenommen worden, Verfehlungen Einzelner seien auf die gesamte Gemeinschaft projiziert worden und die Debattenkultur sei durch falsche Darstellungen und unberechtigte Kritik vergiftet worden.
Die Wahl des Vorstands sei das Zeichen für einen Neuanfang, erklärt Türkmen - und zwar insofern, dass man bei DITIB Kritik und Probleme hinter sich lassen wolle und nun plane, sich auf die Anerkennung als Religionsgemeinschaft und die Beteiligung am islamischen Religionsunterricht an Schulen zu konzentrieren.
Loslösung von Ankara nur nach "Eigenbedarf"
Danach können die Journalisten dem Vorsitzenden ihre Fragen stellen. Eine der ersten, was genau sein arbeitsrechtliches Verhältnis zur Diyanet sei, beantwortet Türkmen gar nicht. Bei anderen gibt er ausweichende Antworten und hält sich kurz, zum Beispiel bei der Frage, warum jemand wie Ahmet Dilek als stellvertretender Vorsitzender wiedergewählt werden konnte.
Dilek war 2016 Religionsattaché im türkischen Konsulat in Köln. Gegen sechs seiner Mitarbeiter, und gegen einige DITIB-Imame, wurde wegen Spionageverdacht ermittelt. Sie sollen mögliche Sympathisanten des Erdogan-Erzfeinds Fethullah Gülen ausspioniert und die Informationen nach Ankara weitergegeben haben. Türkmens Kommentar: Der Generalbundesanwalt habe keine Schritte gegen DITIB eingeleitet. "Das Thema ist für uns abgeschlossen."
DITIB betonte in der Vergangenheit immer wieder seine politische Unabhängigkeit. Auf die Frage, ob der neue Vorstand eine Loslösung von Ankara und der Diyanet plane, antwortet Türkmen, die Struktur einer solch großen Organisation wie DITIB könne man nicht abrupt ändern. Außerdem würde so ein langfristiger Prozess gewiss nicht angestoßen werden, weil Außenstehende es forderten, sondern nur aus einem "Eigenbedarf" heraus.
Freundliche Fragesteller
Bis zu diesem Zeitpunkt verläuft die Veranstaltung nur unbefriedigend. Doch dann wird es absurd. Einige türkische Journalisten stehen auf und stellen ihre Fragen auf Türkisch. Der Dolmetscher übersetzt die Fragen, aber nicht, von welchen Medien sie kommen. Die Anzug-tragenden Männer stellen sich als Stichwortgeber heraus. Ihre Fragen: Haben die deutschen Medien gelogen, als sie berichteten, dass Henriette Reker zur Moschee-Eröffnung durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im vergangenen Jahr nicht eingeladen wurde? Gibt es nicht insgesamt viel negative Berichterstattung über DITIB in den deutschen Medien? Habe der DITIB-Vorstand vielleicht zufällig Statistiken zu den Angriffen auf Moscheen in den letzten drei Jahren?
Für die Beantwortung dieser Fragen nimmt sich Türkmen wesentlich mehr Zeit. So leitet er seine lange Ausführung zur Planung und Organisation der Moschee-Eröffnung mit den Worten ein: "Dazu möchte ich mich sehr detailliert äußern, damit wir dieses Thema endgültig zum Abschluss bringen können." Kurzfassung: Da man sich nach der Organisation von Erdogans Staatsbesuch richten musste, geschah die Planung der Moschee-Eröffnung recht kurzfristig. Alles andere wurde in den Medien falsch dargestellt oder beruhe auf Missverständnissen.
Einer der türkischen Fragesteller wendet sich sogar direkt gegen eine deutsche Journalistin, die gefragt hatte, warum am kürzlich stattgefundenen "Treffen der europäischen Muslime" in der DITIB-Moschee auch zwei Vertreter der Muslimbrüderschaft teilnahmen. Die radikale Gruppierung steht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. "Die Frage geht an Sie", wendet sich der Dolmetscher an die Journalistin. "Er sagt, diese Organisation wurde doch auch von der deutschen Islamkonferenz eingeladen. Sie repräsentiert Muslime. Warum stellen Sie das als Problem dar?" Nicht nur die angesprochene Reporterin ist perplex. Überall im Raum hört man entgeistertes Flüstern.
Wirkliche Änderungen unwahrscheinlich
Zeit für Einzelinterviews mit den Vorstandsmitgliedern bleibt nach der Pressekonferenz leider nicht - das Mittagsgebet beginnt. Tatsächlich sieht man nach Verlassen des Verwaltungsgebäudes noch die letzten Gläubigen in die Moschee hasten. Kein guter Moment für ein Gespräch über den neuen Vorstand. Aber zwei Türkinnen in der Passage neben der Moschee nehmen sich einen Augenblick Zeit. Von der neuen DITIB-Spitze haben sie gehört. Und was sagen sie zum angekündigten Neuanfang, oder einer möglichen Distanzierung zu Ankara? Schweigen von einer der beiden Frauen, ein "Meine Meinung dazu möchte ich nicht sagen" von der anderen. Ein paar Meter weiter ergreifen zwei Männer schon beim Wort "Journalistin" die Flucht. Nun gut.
Es werden sich noch genügend Gelegenheiten ergeben, DITIB-Mitglieder und andere Muslime in Deutschland zu fragen, was sie von einer potenziellen Neuausrichtung der Organisation halten. Aber ob sich am DITIB-Führungsstil wirklich etwas ändern wird? Nach der Veranstaltung am Mittwoch ist das stark zu bezweifeln.