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Politik

Gudkow: "Uns bleibt nur Exil oder Gefängnis"

Alexandra Induchova
13. Juni 2021

Der russische Oppositionelle Dmitrij Gudkow musste in die Ukraine fliehen. Im DW-Interview spricht er über seine Beweggründe, über den zunehmenden Druck des Kreml auf Oppositionelle und über Russlands "Vorbild" Belarus.

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Der russische Oppositionelle Dmitrij Gudkow nach seiner Entlassung aus Polizeigewahrsam in Moskau (03.06.2021)
Gudkow nach seiner Entlassung aus Polizeigewahrsam in Moskau (am 3. Juni)Bild: DW

Der Druck der russischen Behörden auf Oppositionspolitiker und Aktivisten nimmt weiter zu. Und die bevorstehende Wahl zur Staatsduma wird für die Bürger immer mehr zu einer "Wahl ohne Auswahl". Dies meint der Ex-Duma-Abgeordnete Dmitrij Gudkow, der vergangene Woche Russland verlassen musste.

Am 1. Juni wurde Gudkows Datsche in der Nähe von Moskau durchsucht und er selbst für zwei Tage festgenommen. Auf seinem Telegram-Kanal teilte Gudkow am 6. Juni mit, er sei in die Ukraine geflohen, da in Russland ein "erfundenes Strafverfahren" gegen ihn eingeleitet worden sei. Seine Abreise begründete er damit, dass ihm aus "mehreren ihm nahestehenden Quellen aus dem Umfeld der russischen Präsidialverwaltung" mitgeteilt worden sei, dass das Fake-Verfahren bis zu seiner Festnahme fortgesetzt werden würde, sollte er das Land nicht verlassen. Wir haben mit dem russischen Oppositionellen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gesprochen, die zu seinem Zufluchtsort geworden ist.

Deutsche Welle: Herr Gudkow, Sie galten immer als gemäßigter Oppositioneller, aber die russischen Behörden haben auch Sie ins Visier genommen. Warum? Und warum gerade jetzt?

Dmitrij Gudkow: Der Hauptgrund sind die Wahlen zur Staatsduma. Der Kreml hat entschieden, dass alle Oppositionskandidaten, die gewinnen könnten, entweder aus dem Land gedrängt oder inhaftiert werden sollen, oder dass ihre Teilnahme mit irgendwelchen Bewährungsstrafen eingeschränkt werden soll. Was mich betrifft, wurde ein hartes Szenario gewählt. Man hätte mich auf einfachere Weise von den Wahlen ausschließen können.

Aber es geht nicht nur um die Parlamentswahl, sondern auch um die Präsidentenwahl im Jahr 2024. Die Staatsmacht versucht, Politiker loszuwerden, die über 45 Jahre alt sind, also alt genug, um Präsident werden zu können. Denn für sie könnte die Staatsduma zur Bühne werden und sie könnten dann bei der Präsidentenwahl antreten. Gerade gemäßigte Politiker sind für den Kreml gefährlich, weil mit ihnen ein Dialog der Eliten möglich ist, die irgendwann bereit sein werden, sich entschieden am Kampf für Veränderungen zu beteiligen.

Auf welcher Ebene wurde beschlossen, Sie zu verfolgen? Ist das auf Geheiß von Präsident Wladimir Putin geschehen?

Ich bin sicher, es wurde ihm nahegelegt. Sonst wären keine Maßnahmen ergriffen worden. Bestimmt wurde ihm gesagt, da gebe es noch meinen Vater, den Ex-Duma-Abgeordneten Gennadij Gudkow, und in seinen Geschäften gebe es Verstöße, in die ich direkt verwickelt sei. Man berichtet Wladimir Putin allerlei Unsinn. Als der Fall für Aufsehen sorgte, hat man gesehen, dass es zu mir gar keinen Bezug gibt und dass es da überhaupt keinen Vorgang gibt. Nichts! Ich war nie an Geschäften interessiert und auch nicht daran beteiligt.

Dmitrij Gudkow
Dmitrij Gudkow beim DW-Interview in KiewBild: Alexandra Indukhowa/DW

Alexej Nawalny wurde vergiftet und sitzt jetzt wie viele seiner Mitarbeiter hinter Gittern. Warum hat man Ihnen die Möglichkeit gelassen, das Land zu verlassen?

Auch Nawalny ließ man die Möglichkeit, das Land zu verlassen. Er durfte nach Deutschland ausreisen. In Wirklichkeit ist die Staatsmacht daran interessiert, dass wir gehen. Sie kann keine große Anzahl politischer Gefangener gebrauchen. Denn bei jedem Treffen fragt US-Präsident Joe Biden oder jemand anderes nach Nawalny, spricht Repressionen und Menschenrechte an. Es ist einfacher, wenn alle gehen.

Zum Beispiel wurde Julia Galjamina, eine Kandidatin fürs Parlament, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, was laut Gesetz eine Ausreise verbietet. Doch ihr wurde ein halbes Jahr Aufschub gegeben, in dem die Einschränkungen noch nicht in Kraft sind, mit der Absicht, dass auch sie geht. Man wird vor die Wahl gestellt: Entweder man verlässt das Land oder man geht ins Gefängnis. Man muss zwischen Familie und Freiheit oder Gefängnis entscheiden.

Warum haben Sie Russland verlassen?

Als ich in Polizeigewahrsam war, dachte ich, dass ich lange sitzen werde. Und als ich frei kam, stellte ich mir drei einfache Fragen. Bin ich bereit, nicht nur meine Freiheit zu riskieren, sondern auch die meiner Tante, meiner Angehörigen, Verwandten, Unterstützer, Verbündeten und der Leute aus meinem Team? Mir wurde klar, dass ich nicht bereit bin, die Gesundheit meiner Liebsten zu opfern. Ich selbst bin bereit zu leiden. Aber dass meine Tante, die Schwester meiner Mutter, mein Bruder leiden müssen? Dazu bin ich nicht bereit.

Die zweite Frage: Okay, wenn ich im Gefängnis lande, wird sich das irgendwie auf die Situation im Land auswirken? Wird Putin abtreten oder werden Menschenmassen auf die Straße gehen? Wird das zu irgendwelchen Protesten und Veränderungen führen? Nein.

Und die dritte Frage: Wo kann ich überhaupt effektiv arbeiten? Was ist Politik in Russland? Früher war das die Teilnahme an Wahlen, was jetzt unmöglich ist. Es war die Vorbereitung und Durchführung von Protestaktionen, was jetzt auch unmöglich ist. Denn schon für Mahnwachen einzelner Personen gibt es Gefängnisstrafen.

Was noch geht, ist Journalismus, Publizistik, Unterstützung für politische Gefangene und unabhängige Medien. All dies kann man von überall auf der Welt machen. Wir leben im 21. Jahrhundert. Es spielt keine Rolle, wo man ist, sondern es ist wichtig, wo Deine Stimme gehört wird. Und sie wird gehört, dank des Internets und der sozialen Netzwerke.

Von außen betrachtet ähneln sich die Methoden des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko und die von Wladimir Putin im Umgang mit Oppositionellen. Wo gibt es noch mehr Freiheiten und Chancen für Veränderungen, in Belarus oder in Russland?

Ich glaube, dass Russland Belarus etwa ein Jahr hinterherhinkt. Die Methoden sind genau die gleichen. Es besteht kein Grund zu glauben, dass Lukaschenko und Putin verschieden sind. Es ist nur so, dass man aus Russland zumindest noch ausreisen darf. Noch. Nach den Wahlen wird sich die Lage verschärfen. Wegen der verbreiteten Trägheit macht diese repressive Maschine keinen Halt. Die Bremsen haben versagt.

 

Russland Sotschi | Treffen | Putin und Lukashenko
Machthaber Lukaschenko und Putin (Ende Mai in Sotschi): "Die Methoden sind genau die gleichen"Bild: Sergei Ilyin/Sputnik/Kremlin Pool Photo/AP/picture alliance

Sie sagen, Sie hätten Russland vorübergehend verlassen. Wann wollen Sie zurückkehren?

Es gibt zwei wichtige Faktoren: Effizienz und Risiko. Kann ich effektiv arbeiten, wenn ich zurückkehre? Bleiben Risiken für meine Angehörigen? Ich kann ja nicht alle außer Landes schaffen. Meine Tante und mein Onkel wollen nicht gehen. Sobald sich diese Faktoren ändern, möchte ich natürlich zurückkehren. Mir ist klar, dass eine solche Diktatur wie in Russland im Prinzip überall gefährlich sein kann. Das hat der Fall Skripal gezeigt ...

Der ehemalige Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter waren 2018 im in der britischen Stadt Salisbury vergiftet worden.

... Russland muss unbedingt modernisiert und in einen normalen demokratischen Rechtsstaat umgewandelt werden, sonst wird die ganze Welt die Folgen ausbaden müssen.

Dmitrij Gudkow ist ein russischer Oppositioneller und ehemaliger Abgeordneter der Partei "Gerechtes Russland". Als er in den Koordinierungsrat der Opposition gewählt wurde, wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Der 41-Jährige hatte Anfang 2021 angekündigt, wieder für das russische Parlament kandidieren zu wollen. Gudkow war einer von vier Abgeordneten, die 2014 die Annexion der Krim nicht billigten.

Das Gespräch führte Alexandra Induchova.