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Kunst

documenta: Besucherzahlen rekordverdächtig

Gaby Reucher
30. Juli 2017

Bei der documenta 14 spricht man schon zur Halbzeit von einem Besucherrekord. Besonders die großen Außenkunstwerke bringen Zuschauer aus aller Welt zum Staunen und der Feuerwehr besondere Einsätze.

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Besucher betrachten die Bücher am Parthenon in Kassel
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Diesmal sei die internationale Schau zeitgenössischer Kunst besonders gut besucht, wird zur documenta-Halbzeit in zahlreichen Medien vermeldet. Ein Eindruck, den auch Mark-Christian von Busse, Kulturredakteur der HNA (Hessische Niedersächsische Allgemeine Zeitung) gewonnen hat. Schon fünfmal hat er die documenta miterlebt. Beinahe täglich hat er mit den Ereignissen zu tun. Dabei war man in Kassel zunächst skeptisch, ob die geteilte Kunstschau mit zusätzlichen Standort Athen der documenta-Stadt Kassel nicht den Rang ablaufen werde. Das Gegenteil sei der Fall, sagt der Kulturredakteur vor Ort: "Die Aufmerksamkeit in Kassel hat sich durch Athen verdoppelt, das war für die Stadt eine große Erleichterung."

Rund 445.000 Besucher kamen bisher in die nordhessische Metropole, um die Ausstellungen der documenta, die nur alle fünf Jahre stattfindet, zu sehen. Das sind 17 Prozent mehr als bei der letzen Schau 2012 zum gleichen Zeitpunkt, sagen die Veranstalter. Insgesamt besuchten damals 905.000 Menschen die verschiedenen Ausstellungsorte.

Bergfest im Parthenon der verbotenen Bücher

Zu den großen Publikumsmagneten der documenta 14 gehören vor allen Dingen die Außenkunstwerke. In der Innenstadt und in den Parks von Kassel sind sie kaum zu übersehen, noch dazu kosten sie keinen Eintritt. "The Parthenon of books", der Parthenon der verbotenen Bücher der argentinischen Künstlerin Marta Minujín, ist ein wahrer Hingucker auf dem zentralen Friederichsplatz. Zur Halbzeit der documenta in Kassel hatten hier am 29. Juli bei der "Langen Nacht der verbotenen Bücher" jede Menge Vorleser das Wort bei einem Lesemarathon.

"The Parthenon of books" bei Nacht beleuchtet
"The Parthenon of books" ist auch nachts eine AttraktionBild: picture alliance/dpa/U.Zucchi

Über 50.000 Bücher, in Plastikfolien eingeschweißt, bekleiden mittlerweile das Stahlgerüst, das in Größe und Bauart dem Parthenon der Akropolis in Athen entspricht. Das Werk soll an Zensur und an die Verfolgung von Schriftstellern erinnern. Fertig ist der Parthenon nach 50 Tagen documenta allerdings immer noch nicht. Es werden weiter verbotene Bücher gesammelt, denn noch acht Säulen der nachempfundenen Tempelanlage sind leer. Doch auch so ist der Platz ein beliebter Treffpunkt, besonders an lauen Sommerabenden. Bei Sturmwarnung und Gewitter wird das Gelände allerdings aus Sicherheitsgründen gesperrt.

Der rauchende Turm beschäftigt die Feuerwehr

Trotz der Schauer und Regenfälle der zurückliegenden Woche gäbe es noch keine großen Beschädigungen an den Außenkunstwerken, sagt Brandamtsrat Joachim Gries von der Kasseler Feuerwehr. Das dennoch in seiner Wache häufig das Telefon klingelte, weil besorgte documenta-Besucher Rauch aus dem Zwehrenturm aufsteigen sehen, nehmen er und seine Kollegen gelassen, weil dieser Rauch zur Kunst gehört: "Wir wissen damit umzugehen." Bis jetzt seien über 600 Notrufe eingegangen, so Gries. Eine eigens auf dem Turm stationierte Wache meldet, ob es sich bei dem Rauch weiterhin um Kunst oder um einen echten Brand handelt. Die Rauchinstallation von Daniel Knorr "Expiration Movement" ist vielschichtig. Wenn der Rauch gerade aufsteige, lässt der Künstler wissen, erinnere das Ganze an einen Schornstein und symbolisiere den "Kunstmarkt als Industrie". 

Vor dunklen Wolken steigt Rauch aus dem Zwehrenturm
Achtung: Kunst! Rauch quillt aus dem ZwehrenturmBild: picture-alliance/dpa/U. Zucchi

In Röhren das horizontale Leben entdecken

Auch die gestapelten Röhren des irakischen Künstlers Hiwa K, die aussehen wie Kanalrohre, sind ein Highlight der documenta. Sie befinden sich ganz in der Nähe des Parthenons. Nicht selten kommt von Besuchern die Frage, ob da wohl jemand drin wohne, sagt Jennifer Witulla, die in einer der Röhren sitzt. Ganz unberechtigt ist die Frage nicht, denn in der Tat haben 13 Studierende des Fachbereichs Produktdesign der Kunsthochschule Kassel zusammen mit Hiwa K die 20 Röhren wohnlich gestaltet.

Jennifer Witulla ist eine von ihnen. "Jeder von uns hatte die Aufgabe, eine Röhre von innen einzurichten wie eine Art Apartment." Jennifer hat eine kleine Wohnküche mit Schlafgelegenheit gestaltet. "Ich habe versucht, das Ganze gemütlich einzurichten, aber da es ein komplett neuer Raum mit nur 900 Millimetern Durchmesser ist, musste ich viele Gegenstände multifunktional gestalten."

Designstudentin Jennnifer Witulla sitzt in einer Röhre und zupft Kräute
Jennifer Witualle hat ihn ihrer "Wohnküche" auch einen kleinen Kräutergarten. Das mache die Röhre heimeliger, meint sie Bild: DW/G. Reucher

Der Künstler Hiwa K hat bei seiner eigenen Flucht erlebt, dass Menschen in solchen Röhren übernachtet haben. Mit seinem Kunstwerk wolle er die Flüchtlinge jedoch nicht in einer Opferrolle darstellen, hat er den Studierenden erklärt. "Er wollte seine Erfahrung in etwas Positives transformieren", erläutert Jennifer. Schließlich sei aus Sicht des Künstlers vieles in unserer Gesellschaft vertikal ausgerichtet, nicht zuletzt das kapitalistische System. "Hiwa K will mit den liegenden Röhren ein horizontales Lebensgefühl vermitteln, das ist ihm wichtig." Für Jennifer Witulla eine besondere Erfahrung: "Man erlebt den Körper neu, man muss sich ganz anders bewegen, aber das ist auch das Interessante daran."

All das erfährt man, wenn man mit dem Künstler oder den Designstudierenden spricht. Ansonsten bleibt vieles auf der documenta der Phantasie der Besucher überlassen. Dass die Besucher überkommene Vorstellungen über Bord werfen sollen, um dann die Kunst aus ihrem eigenen Blickwinkel heraus neu zu erfahren, gehört zum Konzept des Künstlerischen documenta-Leiters Adam Szymcyk.

Die documenta bei Besuchern ein Erfolg

Mehr als 11.000 Dauerkarten wurden bisher verkauft. Das zeigt, dass es auch bei den Menschen aus Kassel und Umgebung ein starkes Interesse an der größten Kunstschau für zeitgenössische Kunst gibt. Kultur-Redakteur Busse, der in der Stadt lebt, sagt, die Stimmung bei den Leuten sei gut. "Jede documenta ist spannend. Man findet immer Arbeiten, die einen ansprechen und beschäftigen."

Von den Außenkunstwerken fällt auch der Obelisk des US-Amerikaners und gebürtigen Nigerianers Olu Oguibe auf.

Nahaufnahme mit Schriftzug von Olu Oguibes Obelisk
Olu Oguibes Obeslisk wird auch "Das Fremdlinge und Flüchtlinge Monument" genanntBild: Imago/epd/A. Fischer

Auf den Betonplatten des über 16 Meter hohen Monuments steht ein Satz aus dem Matthäus-Evangelium:  "Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt", hat Oguibe dort auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Türkisch eingravieren lassen. Der Obelisk als Mahnmal, Flüchtlingen eine Heimat zu geben. Vielleicht wäre das Kunstwerk inmitten der Innenstadt ein Kandidat für ein dauerhaftes Bleiberecht, denn wie bei jeder documenta überlegt sich die Stadt Kassel auch in diesem Jahr, welche Kunstwerke sie ankauft. Eine Kommission wird darüber entscheiden, doch zur Halbzeit der documenta ist noch nicht durchgesickert, welche Werke in Betracht kommen.