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Donezk: Ruhe vor dem Sturm?

Inna Kuprijanova / Nikita Jolkver 11. Juli 2014

Die uniformierten Separatisten sind von den Straßen der ostukrainischen Stadt Donezk verschwunden - doch wohin, weiß niemand genau. Die Angst der Bürger bleibt. Wer kann, verlässt die Stadt.

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Eine Frau geht an einem geschlossenen Laden in Donezk vorbei (Foto: DW/Inna Kupriyanowa)
Viele Geschäfte bleiben in Donezk geschlossenBild: DW/I. Kuprianova

Anfang der Woche waren sie noch überall sichtbar: Bewaffnete Männer in Tarnanzügen mit dem Emblem der von prorussischen Separatisten ausgerufenen "Volksrepublik Donezk". Nach Donezk waren sie aus der von ukrainischen Regierungstruppen befreiten Stadt Slowjansk gekommen.

Augenzeugen berichten, dass sich die Kämpfer einige Tage in den Wohnheimen der städtischen Hochschulen ausgeruht haben, einkaufen gegangen sind - und dann plötzlich verschwanden, zusammen mit den Fahrzeugen der Universität Donezk. Angeblich wurden die meisten von ihnen in die umliegenden Gemeinden verlegt, näher an die ukrainisch-russische Grenze. Doch so genau weiß das keiner. Es könnte sein, dass sich Separatisten auch irgendwo in der Stadt versteckt haben. Die Lage bleibt angespannt: Der Flughafen von Donezk steht weiterhin unter Beschuss, ab und zu fallen auch in verschiedenen Stadtteilen Schüsse.

Leben in einer Geisterstadt

Donezk gleicht immer mehr einer Geisterstadt. Im Zentrum sind die Schaufenster der teuren Läden mit Sperrholz zugenagelt. Kosmetiksalons, Notare, Versicherungen und Makler haben geschlossen, die Hälfte aller Büros scheint verwaist zu sein. Immer kritischer wird die Situation auch bei den größeren Betrieben in der Stadt: Die Beschäftigten werden in den Zwangsurlaub geschickt, erzählen Mitarbeiter der städtischen Jobbörse. Eine Alternative gibt es für sie nicht.

Eingang eines Mehrfamilienhauses in Donezk (Foto: DW/Inna Kupriyanowa)
Manche Bürger trauen sich nicht, ihre Wohnung zu verlassenBild: DW/I. Kupriyanowa

Und wer eine Arbeitsstelle hat, könnte sie jeden Moment verlieren - wie Sergej. Er arbeitet im Baugewerbe, seine Firma hatte in Donezk viel vor. Doch inzwischen liegen die meisten Projekte auf Eis. Auf den Baustellen sind fünfmal weniger Arbeiter als noch vor einem Monat.

Auf seinem Weg ins Büro muss Sergej mehrere Checkpoints der Separatisten passieren. Bei jedem Halt wird sein Auto durchsucht - das macht ihn wütend. Er sei über die Politiker in Kiew verärgert, die das Chaos zugelassen hätten, und auf die Separatisten, die sich von den früheren Machthabern kaum unterscheiden würden. "Beide können nur plündern und zerstören", sagt er.

Die öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt funktionieren noch. Irina fährt mit dem Bus zur Arbeit, doch damit setzt sie sich Gefahren aus: Jeden Moment könnte sie in eine Schießerei geraten - wie kürzlich, als sie in der Mittagspause in der Nähe einer Polizeistation zwischen die Fronten kam.

Dem Finanzsektor droht der Kollaps

Alexej hat wegen der Separatisten keine Arbeit mehr und sitzt zu Hause. Früher fuhr er einen Geldtransporter, doch die Separatisten haben alle Fahrzeuge der Bank beschlagnahmt. Und das ist bei weitem nicht das einzige Problem für den Finanzsektor in Donezk.

Wegen der allgemeinen Unsicherheit bleiben viele Bankfilialen geschlossen und die Geldautomaten leer. Gerüchte gehen um: So soll Kiew angeblich die Stadt vom Geldtransfer abgeschnitten haben. Deswegen könnten Gehälter und Renten nicht ausgezahlt werden. "Wie soll ich überleben", fragt sich eine Frau namens Viktoria verzweifelt. "Die Preise steigen täglich und ich habe einen kranken Vater - er ist ein Pflegefall".

Einwohner auf der Flucht

Wer kann, versucht die Stadt zu verlassen - vor allem Familien mit Kindern. Ruslan hat seine Frau mit den beiden Kleinkindern bereits nach Russland zu Verwandten geschickt. Im letzen Moment, bevor es auch in Donezk zu aktiven Kampfhandlungen kam, betont er. Er selbst bleibt vorerst noch in der Heimatstadt, weil er ein Cafe betreibt. Doch dieses bleibt leer - und droht damit, ihn in den finanziellen Ruin zu treiben.

Schlange am Bahhof von Donezk (Foto: DW/Inna Kupriyanowa)
Am Ticketschalter des Bahnhofs bilden sich Schlangen: Viele Menschen wollen die Stadt verlassenBild: DW/I. Kuprianova

Zwar betont die Regierung in Kiew, Donezk werde nicht bombardiert oder unter schweren Beschuss genommen. Doch die Menschen glauben es nicht und stürmen die Kassen, um Tickets für Bus und Bahn zu kaufen. Kiew, Simferopol auf der Krim, Lwiw im Westen: Diese Ziele waren schon immer beliebt. Doch jetzt sind sie so gefragt wie nie zuvor.

Panik nach Äußerungen von Politikern

Zur Flüchtlingswelle aus Donezk haben auch die Äußerungen von Politikern in Kiew beigetragen. So hatte am Sonntag (06.07.2014) der stellvertretende Chef des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Michael Koval, von einer geplanten "totalen Blockade" der Stadt gesprochen. Keiner weiß genau, was damit gemeint ist, doch das Wort "Blockade" erinnerte die Menschen in Donezk an die Belagerung von Leningrad durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und führte zu einer entsprechenden Reaktion. Die einen wollen nur weg, die anderen horten Lebensmittel. Besonders gefragt sind Korn und Getreide, Zucker, Salz und Konserven.

Dabei gebe es eigentlich keinen Grund zur Panik, meint Swetlana. Sie glaubt nicht an eine Blockade und hofft, dass sich die Situation bald entspannt. Ihre Bekannte sei soeben in Konstantinowka gewesen. Die Stadt wurde kürzlich durch Regierungstruppen von den Separatisten befreit. "Da ist alles ruhig und schön, keine Checkpoints und keine Soldaten auf den Straßen. So wird es bald auch bei uns sein", sagt die Frau aus Donezk zuversichtlich.