Donna Leon: Verschwiegene Kanäle
25. November 2005Nun ist das Dutzend also voll, und die Fans des venezianischen Kriminalkommissars Brunetti könnten sich damit eigentlich auch zufrieden geben. Die aus Amerika stammende Wahlitalienerin Donna Leon hat ihnen jahrelang spannende Krimis mit kulturellem Flair, Charme und einer gehörigen Portion Unterhaltungswert geliefert. Ihre Hauptfiguren, Kommissar Brunetti, seine Frau Paola, die Kinder Chiara und Raffi, der gutmütige Polizeigefährte Vianello, der eitle Vorgesetzte, Vice-Questore Patta, - und nicht zu vergessen die alles könnende Sekretärin Signorina Elettra - sie alle sind uns nach und nach so vertraut geworden, als lebten wir mit ihnen gemeinsam in Venedig.
Mauer aus Dünkel und Selbstgerechtigkeit
Nun aber, in Commissario Brunettis zwölftem Fall, scheinen Sujets und Figuren ausgereizt zu sein. "Verschwiegene Kanäle“, sowie der amerikanische Originaltitel "Uniform Justice“, lassen zwar sofort eine spannende Story erwarten - doch kann die Autorin diesmal nicht alle Erwartungen erfüllen. Ihrem Anspruch, im Vergleich zu Brunettis elftem Fall noch politischer zu werden, ist Donna Leon jedoch gerecht geworden. Sie durchbricht die Mauer der Militäroligarchie - eine Mauer des Schweigens, errichtet aus Dünkel und Selbstgerechtigkeit, hinter der sich auch schon der militärische Nachwuchs verbarrikadiert.
Ernesto Moro, Schüler der Militärakademie San Martino, wird eines Tages tot aufgefunden, wie eine strangulierte Fledermaus hängt er in der Kaserne von der Decke herab. Als der Kommissar mit seinen Ermittlungen in der Eliteschule, auf der die Söhne hoher Offiziere und vermögender Patrizierfamilien den letzten Schliff erhalten, beginnt, wird sofort klar: Es handelt sich um eine hoch politische Angelegenheit. Ernesto ist der Sohn eines Politikers, der sich durch redliche und ehrenhafte Arbeit in verschiedenen Parlamentsgremien unbeliebt gemacht hat. Wurde Ernesto ermordet, oder hat er sich selbst erhängt?
Unübersehbare Abnutzungserscheinungen
Zwar gelingt es dem Commissario, das engmaschige Netz, das Politik und Militär miteinander verknüpft, einigermaßen zu durchschauen, zwar gelingt es ihm auch, die Wahrheit herauszubekommen - den Fall löst er damit jedoch nicht. Das Beziehungsgeflecht der Mächtigen ist zu eng, zu fest. Wieder einmal muss er sich wie ein Verlierer fühlen.
Ein politischer Krimi also, mit noch vielen anderen Seitenhieben auf Missstände und einer Menge Gesellschaftskritik, aber auch ein Buch, das Schwächen hat: Langsam verblasst das Kolorit dieser Venedig-Serie, die altehrwürdige Stadtkulisse wird zum farblosen Hintergrund, literarische Anspielungen wirken volkshochschulhaft und gekünstelt, Kochrezepte beliebig, und das Familienleben der Brunettis ist nur noch literarisches Versatzstück. Charme und Leichtigkeit sind dahin, groß sind die Abnutzungserscheinungen.
Donna Leon
Verschwiegene Kanäle
Diogenes, 2005
ISBN 3-257-23523-2
EUR 9,90