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Doppelpass für fast alle

Heiner Kiesel23. Juni 2014

In Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder von Ausländern sollen künftig zwei Pässe haben dürfen. Doch für eine kleine Gruppe wird die umstrittene Optionspflicht weiter gelten.

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Plakataktion für die Doppelte Staatsbürgerschaft (Foto: Michael Kappeler/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Eine gute Idee, die aber noch besser werden könnte: So lassen sich die Aussagen einer Runde von Sachverständigen zusammenfassen, die heute im Innenausschuss des Deutschen Bundestages zur geplanten Reform des Staatsangehörigkeitsrechts angehört wurden. Die Bundesregierung will die bisherige Regelung verändern, nach der sich die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder ausländischer Eltern bis zum 23. Lebensjahr entscheiden müssen, welche Staatsangehörigkeit sie haben wollen. Künftig sollen sie zwei Nationalitäten besitzen dürfen - sofern sie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres in Deutschland entweder acht Jahre gelebt, sechs Jahre eine Schule besucht oder aber einen deutschen Berufs- beziehungsweise Bildungsabschluss erworben haben. Bei allen anderen soll die bisherige Optionspflicht bestehen bleiben.

Vor den Abgeordneten des Innenausschusses äußerten sich zwei Verwaltungspraktiker, drei Wissenschaftler und ein Vertreter einer türkischen Interessenvertretung. Grundsätzliche rechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf der Koalitionsregierung von Union und SPD gab es von den Fachleuten nicht. Abgesehen von der Befürchtung von Astrid Wallrabenstein von der Goethe-Universität Frankfurt: Die Verfassungsrechtlerin sagte den Ausschussmitgliedern voraus, dass das in der Beratung stehende Gesetz vom Europäischen Gerichtshof kassiert werden wird, da es die Freizügigkeit der Bürger behindere - schließlich könnten diese nicht mehr frei ihren Wohnort in der Europäischen Union wählen, wenn sie Angst haben müssten, die geforderten Fristen für das Recht auf die Doppelstaatsbürgerschaft nicht einhalten zu können.

"Es handelt sich um deutsche Staatsangehörige, die auch Unionsbürger sind und ein Interesse daran haben können, von ihrer Unionsfreizügigkeit Gebrauch zu machen." Wallrabenstein sprach sich deutlich für einen kompletten Wegfall der Optionsregelung aus. Die Juristin sagte mit kritischem Blick auf ihre beiden Kollegen im Sitzungssaal des Bundestags, dass das auch die Mehrheitsmeinung in der Fachwelt sei.

Einbürgerungsfeier im Schloss Bellevue (Foto: Stephanie Pilick/dpa)
Einbürgerung mit Promi-Faktor: Bundespräsident Joachim Gauck überreicht die UrkundenBild: picture-alliance/dpa

Streit über die Optionsregelung

Dass der Zwang, sich zwischen zwei Staatsangehörigkeiten zu entscheiden, überhaupt noch weiter verfolgt wird, hat vor allen Dingen politische Gründe: Es war ein Zugeständnis an einige Politiker von der Union, die den Doppelpass eigentlich am Liebsten ganz verhindert hätten. In der Regierungskoalition sind darüber nicht alle glücklich. Der SPD-Politiker Rüdiger Veit machte mit einer gewundenen Einführung zu seinen Fragen ziemlich deutlich, dass die Vorlage seiner Bundesregierung kein Wunschprodukt der Sozialdemokraten ist, sondern ein mühsam hergestellter Kompromiss. "Ich will nicht davon reden, wie wir als SPD darüber denken und gedacht haben", sagte der Abgeordnete aus Hessen. Sevim Dagdelen von der Linken und ihr Ausschusskollege Volker Beck von den Grünen stellten klar, dass aus ihrer Sicht das geplante Gesetz zu kurz greift. Die Beibehaltung der Optionspflicht grenze die Betroffenen aus und führe zu einer stark belastenden Entscheidungssituation.

Recht einhellig in ihrer positiven Bewertung der geplanten Reform waren die beiden Fachleute aus der Verwaltung. Martin Jungnickel vom Regierungspräsidium Darmstadt zeigte sich erleichtert über den Gesetzesentwurf der Regierung. Für die Behörden bedeutet die Neuregelung vor allem eine Arbeitserleichterung: Jungnickel schätzt, dass bald nur noch ein geringer Anteil unter die Optionspflicht fällt. "Ich gehe von einem Prozent aus."

Sein Kollege Andreas Deuschle aus Stuttgart dagegen forderte Nachbesserungen am Gesetz. So sollten die Betroffenen von Amts wegen daraufhin überprüft werden, ob sie überhaupt unter eine Optionspflicht fallen. Damit will Deuschle verhindern, dass in Deutschland geborene Personen mit ausländischen Eltern unbeabsichtigt die Fristen der Optionsregelung verpassen und die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren. Auch Deuschle deutete an, dass es ihm lieber wäre, wenn die Optionspflicht ganz wegfiele, er aber derzeit keine Mehrheiten dafür erkenne: "Ich sehe mich da als Realist."

Die Doppelspitze der türkischen Gemeinde in Deutschland: die beiden Bundesvorsitzenden Safter Cinar und Gökay Sofuoglu (Foto: dpa)
Safter Cinar (Mitte) sieht keinen Sinn in einer OptionslösungBild: TGD

Kann man zwei Herren dienen?

Rückendeckung gab es für die umstrittene Options-Regelung des neuen Gesetzes von dem Heidelberger Rechtswissenschaftler Bernd Grzeszick. "Der Zweck dahinter ist es, mögliche Konflikte rechtlicher, tatsächlicher und persönlicher Art, die mit Mehrstaatlichkeit verbunden sind, zu vermeiden", erklärte Grzeszick den Abgeordneten. Der Staatsrechtler Christian Hillgruber aus Bonn warnte vor einer Privilegierung von Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft, etwa in dem diese auch ein doppeltes Wahlrecht wahrnehmen könnten. Das stünde im Konflikt mit der gebotenen Gleichbehandlung der Bürger. Er warnte mit Hinweis auf das türkische Wahlrecht auch davor, dass eine zahlenmäßig große Diaspora von fremden Regierungen instrumentalisiert werden könnte. Es ist für die beiden Wissenschaftler also nicht sicher, wie loyal Doppelstaatler zu Deutschland stehen. Hillgruber hält den Zwang zur Entscheidung für eine Staatsbürgerschaft zudem für durchaus zumutbar. "Vor allen Dingen sollte man nicht die Bedeutung der Staatsangehörigkeit - so wichtig sie ist - ins Mystische überhöhen", betonte der Bonner Wissenschaftler.

Dieser Appell steht allerdings in deutlichem Gegensatz zu den Erfahrungen, die Saftar Cinar, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, in Gesprächen mit türkischstämmigen Betroffenen gemacht hat. "Das ist eine schmerzliche und hochemotionale Frage", betonte Cinar. Die Frage der Loyalität zu einem Land stellte der Verbandsvorsitzende als nicht mehr zeitgemäß dar. "Sehen Sie mich an, ich habe beide Staatsbürgerschaften, habe in der Türkei meinen Wehrdienst geleistet und trage das Bundesverdienstkreuz, offensichtlich kann ich meine Pflichten gegenüber beiden Staaten erfüllen."