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Landwirte ernten mit Solarstrom doppelt

17. August 2021

Agri-Photovoltaik - der Anbau von Früchten und Gemüse unter Solarmodulen kann sich für Landwirte gleich doppelt lohnen. Zudem hilft er bei der Anpassung an den Klimawandel, wie ein Hofbesuch in Deutschland zeigt.

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Vater Karthaus sitzt auf seinem alten Trecker, Sohn Fabian Karthaus steht daneben. Dahinter die aufgeständerte Solaranlage mit Beerenanbau darunter.
Stromerzeugung oben, Landwirtschaft darunter: Vater und Sohn sind von der Kombination überzeugt Bild: Gero Rueter/DW

Mit Solarenergie ist Fabian Karthaus aufgewachsen. "Mein Vater hat auf der Scheune die erste Photovoltaikanlage aufgebaut und man hat gesehen, es funktioniert". Heute gibt es auf dem Hof zwei große Solaranlagen, unter einer wachsen zusätzlich Beeren. 

Das Solarfeld hilft, den Hof am Laufen zu halten. Vor fünf Jahren übernahm der 33-jährige Karthaus den väterlichen Betrieb bei Paderborn und betreibt ihn neben seinem Job als Produktmanager für Agrarelektronik. Denn allein mit dem Verdienst aus dem Anbau von 80 Hektar Ackerbohnen, Getreide, Raps und Mais könne er keine Familie ernähren, so Karthaus.

Hitze und Dürren hätten die Erträge in den vergangenen Jahren deutlich sinken lassen. "Meine Frau und ich haben dann überlegt, wie wir den Betrieb sinnvoll weiter betreiben können", erzählt Karthaus. So entstand die Idee, unter einem Solardach mit lichtdurchlässigen Modulen Beeren anzubauen. "Wir haben überlegt welche Beere passt zu welchem Licht und Schatten. Heidelbeeren und Himbeeren sind Waldgewächse, das funktioniert prima."

Landwirt Fabian Karthaus untersucht in seiner Agri-PV-Anlage die Beerenzucht
Erntet Energie und süsse Beeren: Fabian Karthaus: Die Moduldächer erzeugen Strom, die Büsche unten gedeihen im Schatten gutBild: Gero Rueter/DW

Die erste Ernte im vergangenen Jahr war gut. Gewöhnlich werden Beeren im Freiland oder im Folientunnel angebaut. Doch Hitzesommer sind für die Pflanzen inzwischen auch in Deutschland ein zunehmendes Problem. Der Schatten unter den Solarmodulen kann die Erträge steigern. Die Moduldächer sparen Wasser, denn die Verdunstung ist viel geringer, sagt Karthaus. "Wir haben das bei uns hier mal gemessen. Die Verdunstung liegt im Vergleich zur Pflanze im Freiland bei ungefähr einem Viertel."

Agri-Photovoltaik: Fabian Karthaus, Landwirt und Photovoltaik Fan zeigt auf das PV-Dach.
Wichtig ist das Zusammenspiel: Spezielle Module und die Lücken dazwischen lassen genug Licht für Pflanzen durchBild: Gero Rueter/DW

Oben Strom, unten Beeren ernten

Die Module liefern natürlich auch Strom, die zweite Ernte vom Solarfeld. Bei 750 Kilowatt Leistung erzeugt die Anlage im Jahr etwa 640.000 Kilowattstunden (kWh), das entspricht dem Strombedarf von 160 Haushalten.

Knapp sechs Cent pro kWh bekommt Karthaus für die Einspeisung ins Netz. Einen Teil des Solarstroms will er selber nutzen, um die eigenen Kühl- und Gefriertrocknungsanlagen zu betreiben. Müsste er den Strom dafür vom Energieversorger kaufen, wäre das bei rund 25 Cent pro kWh deutlich teurer. Die klimafreundliche Energie bringt nicht nur ein Zusatzeinkommen für den Landwirt, freut sich Karthaus: "Es ist für alle eine Win-Win-Situation: Wir können grünen Strom am Ort erzeugen, dezentral, da wo die Energie verbraucht wird."

Fabian Karthaus steckt einen Stecker in seinen E-Golf
Karthaus nutzt den Solarstrom auch fürs E-AutoBild: Gero Rueter/DW

Riesiges Potential weltweit

In Deutschland ist die Anbau-Methode besonders für Beerenobst, Äpfel, Kirschen, Kartoffeln und Gemüse wie Tomaten und Gurken zu empfehlen. In anderen Weltregionen eignen sich andere Pflanzen und Modul-Konstruktionen. Was genau wo passt, erklärt Max Trommsdorff Interessenten aus aller Welt. 

Trommsdorff ist Experte für Agri-Photovoltaik (Agri-PV) am Fraunhofer Institut für solaren Energiesysteme in Freiburg. Er und seine Kollegen beraten Regierungen weltweit und haben vor kurzem eine internationale Konferenz zu Agri-PV organisiert.

Je nach Standort müsse man die optimalen Lichtverhältnisse für die Pflanzen und den lokalen Strombedarf abschätzen, erklärt Trommsdorff. "Das ist regional ganz unterschiedlich: Je nachdem was angebaut wird, wie die Klimazonen sind, was die ländlichen Strukturen sind."

Die große Herausforderung sei "das gegenseitige Verständnis. Was kann die Photovoltaik? Was braucht die Landwirtschaft für eine gelungene Integration?"

Pilotanlage für Agri-Photovoltaik am Bodensee auf einem Demeterhof von Fraunhofer ISE
Was wächst gut unter den Modulen? In dieser Pilotanlage in Süddeutschland testen Wissenschaftler und Landwirte seit 2016 verschiedene Kombinationen. Bild: Fraunhofer ISE

Trommsdorff und seine Kollegen sehen weltweit ein riesiges Potential für Agri-Photovoltaik. In Europa gibt es schon einige Agri-PV-Anlagen, auch in Mali, Gambia und Chile, doch die mit Abstand meisten bisher in Asien. Die weltweite größte Anlage mit 20 Quadratkilometern und einer Leistung von rund 1000 Megawatt steht am Rand der Wüste Gobi in China. Der Anbau von Goji-Beeren unter den Modul-Dächern soll dort die trockene Erde wieder fruchtbar machen.

In Japan ernten Landwirte bereits in mehr als 2000 Agri-PV-Anlagen. "Hier geht es darum den Strukturwandel zu unterstützen, die Landflucht aufzuhalten und Perspektiven für die Landbevölkerung zu schaffen", sagt Trommsdorff.

In Europa ist Frankreich Pionier vor allem in Weinbau. Dort sollen mit staatlicher Förderung für Moduldächer die Reben geschützt werden. "Viele Rebsorten haben durch den Klimawandel zu viel Sonne und zu hohe Temperaturen," erklärt Trommsdorff. "Schatten kann hier einige Vorteile bringen." 

Agri-PV in den Niederlanden (Groenleven). Aufnahme aus der Luft
Beerenanbau unter Modulen in den Niederlanden: Alte Gewächshäuser mit Plastik werden ersetzt, ein weiterer Vorteil für Umwelt und Landwirt. Bild: BayWa r.e.

Agri-PV: Neue Perspektiven für die Landwirtschaft 

Fabian Karthaus will sein Solarfeld in Zukunft noch erweitern. Bisher wachsen seine Beeren unter 0,4 Hektar Solarmodulen. "Ich würde das gerne auf einer Fläche von acht oder zehn Hektar ausweiten, damit es sich dann wirklich lohnt." 

Für die Umsetzung dieser Idee muss sich Karthaus allerdings noch gedulden. Bisher gibt es noch viele gesetzliche Hürden für den Aufbau von solchen Anlagen in Deutschland. Er hofft aber, dass sich das bald ändert. Und Karthaus rät anderen Landwirten, schon jetzt "sich mit dem Thema auf jeden Fall zu befassen", auch wenn die Umsetzung auf dem eigenen Feld vielleicht noch ein bisschen dauert.

 

Kenia: Solarstrom für Blumen

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion