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Dramatischer Anstieg bei Hinrichtungen

Anne-Sophie Brändlin /sst6. April 2016

Die Zahl der vollstreckten Todesurteile ist nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International weltweit so hoch wie seit 25 Jahren nicht mehr. Was ist der Grund für diesen globalen Anstieg?

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Symbolbild Todesstrafe Galgen
Bild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Die Zahlen im neuen Report von Amnesty International zeigen: Im letzten Jahr wurden 1634 Menschen hingerichtet - das sind 50 Prozent mehr als im Jahr 2014 und die höchste Zahl in den vergangenen 25 Jahren.

"Wir sind sehr beunruhigt über diesen dramatischen Anstieg", sagte die Amnesty International Expertin für Todesstrafe, Chiara Sangiorgio im DW-Gespräch. Und die im neuen Bericht genannten sind lediglich die Fälle, die Amnesty International belegen konnte. "Das ganze Ausmaß der Todesstrafe und den globalen Hinrichtungen ist definitiv um einiges größer."

Amnesty geht davon aus, dass die weltweite Hinrichtungszahl noch deutlich höher liegt, da es keine offiziellen Zahlen aus China gibt. Es wird geschätzt, dass dort im letzten Jahr mehrere tausend Hinrichtungen stattgefunden haben. China gilt als der Staat, der weltweit am meisten Menschen hinrichtet, die wahre Zahl bleibt jedoch als Staatsgeheimnis unter Verschluss.

Mehr Hinrichtungen und mehr Länder, die hinrichten

Neben einem Anstieg der Hinrichtungen selber hat auch die Zahl der Länder zugenommen, die 2015 Hinrichtungen duchführten. Von den 94 Ländern, in denen die Todesstrafe erlaubt ist, haben 25 diese auch angewandt - verglichen mit 22 Ländern in 2014. Im Tschad beispielsweise wurden zehn Verurteilte hingerichtet - es ist das erste Mal seit zehn Jahren, dass das Land wieder Exekutionen durchgeführt hat.

Nach Angaben von Amnesty International geht der globale Anstieg der Hinrichtungen vor allem auf drei Länder zurück: Iran, Pakistan und Saudi Arabien, die für 90 Prozent aller Hinrichtungen in 2015 verantwortlich waren.

Symbolbild Schwert Exekution Saudi-Arabien (Foto: EPA/ABIR ABDULLAH)
Proteste gegen die Hinrichtung von Arbeitern aus Bangladesh, die in Saudi Arabien zum Tode verurteilt worden sindBild: picture-alliance/dpa/Abir Abdullah

Pakistan hat im letzten mehr als 320 Menschen Jahr hingerichtet. Das ist die höchste Zahl an Fällen, die Amnesty International jemals für Pakistan dokumentiert hat. Das Land kennt rund 30 Verbrechen, die mit der Todesstrafe bestraft werden können - wie etwa Drogenhandel, Ehebruch und Vergewaltigung. Derzeit hat Pakistan die weltweit höchste dokumentierte Zahl von Menschen, die in der Todeszelle sitzen.

Im vergangenen Jahr habe die pakistanische Regierung unnachgiebig hingerichtet, so Sangiorgio. "Uns wurde fast täglich von Hinrichtungen berichtet."

Iran hat im vergangenen Jahr fast 1000 Menschen exekutiert - bei der größten Mehrheit ging es dabei um Drogendelikte. Iran richtet auch jugendliche Straftäter hin und bricht dabei geltendes internationales Recht.

Den größten Anstieg an Hinrichtungen im letzten Jahr hat es allerdings in Saudi Arabien gegeben, so Amnesty International. "Wir hatten dort in den letzten Jahren einen stetigen Anstieg der Anwendung der Todesstrafe", so Sangiorgio. "Doch letztes Jahr ist diese Zahl um starke 76 Prozent gestiegen." Die meisten Verurteilten wurden dabei geköpft oder erschossen; manchmal wurden die Leichen danach auch in der Öffentlichkeit präsentiert, so der Report.

Mehr Hinrichtungen wegen Terrorismus?

Nach Angaben von Amnesty International wurden viele der Todesstrafen-Urteile als Antiterror-Maßnahmen gerechtfertigt. "Im Tschad wurden erstmals wieder Hinrichtungen nach zehn Jahren vollstreckt, weil die Verurteilen angeblich Boko-Haram-Mitglieder waren. Kamerun hat 89 Todesstrafen gegen angebliche Boko-Haram-Mitglieder verhängt. Und Tunesien, Algerien und Ägypten haben Todesstrafen im Rahmen einer speziellen Terrorismusgesetzgebung verhängt", sagte Sangiorgio.

Das gleiche gilt für Pakistan, wo die Regierung Terrorismus als Vorwand nahm, um das Todesstrafen-Moratorium im Dezember 2014 wieder aufzuheben. Offiziell ist das ein Teil des nationalen Aktionsplan gegen Terrorismus, sagte die pakistanische Anwältin Sarah Belal der DW. Belal ist die Direktorin des Justice Project Pakistan, einer gemeinnützigen Menschenrechtskanzlei in Lahore.

Aber Pakistan habe nur wenige verurteilte Terroristen hingerichtet. "Von den 320 Menschen, die 2015 getötet wurden, waren lediglich 67 tatsächlich von Anti-Terror-Gerichten verurteilt worden. Und von den 67 hatten nur 27 eine Verbindung zu Terror-Organisationen oder standen wegen eines Verbrechens vor Gericht, das einem allgemeinen Verständnis von Terrorismus gleichkommt", so Belal im DW-Gespräch.

Symbolbild Todesstrafe Strick Galgen Erhängen (Foto: picture alliance/ZUMA Press
Sechs Länder haben 2015 wieder zum Tode Verurteilte hingerichtet, obwohl sie im Vorjahr darauf verzichtet hattenBild: picture alliance/ZUMA Press

Doch nach Angaben von Menschenrechtsgruppen schützen Todesstrafen Länder nicht vor Terrorismus. "Es gibt keine wissenschaftliche Belege für diese Behauptung", so Chiara Sangiorgio von Amnesty International. Die Todesstrafe sei keine Lösung, um den Kreislauf des Terrorismus zu stoppen. Wenn die Regierungen es wirklich ernst damit meinten, Bombenangriffe zu verhindern, dann müssten sie sich um die Ursachen von Terrorismus und Extremismus kümmern.

Weltweit waren Drogenhandel und Drogenbesitz, Korruption, Ehebruch und Blasphemie weitere Gründe für Hinrichtungen im letzten Jahr. Diese Verbrechen gelten allerdings nicht als "äußerst schwerwiegend" im Sinne des internationalen Rechts - und auf diese Verbrechen soll die Verhängung der Todesstrafe nach internationalem Recht beschränkt sein.

Amnesty International lehnt die Todesstrafe in allen Fällen ab. "Für uns ist die Todesstrafe eine Menschenrechtsverletzung", so Sangiorgio. "Nicht nur, weil Exekutionen das Recht auf Leben verletzen, sondern auch, weil wir sehen, dass diese Urteile oft nach unfairen Gerichtsverfahren gesprochen werden und auf erzwungenen Geständnissen nach Folter und Misshandlung von Gefangenen basieren."

Unschuldige Menschen im Todestrakt

Unfaire Verfahren und mangelnder Rechtsbeistand sind die Hauptprobleme in vielen Ländern. "Das Problem ist, dass die meisten Menschen, die in Pakistan zum Tode verurteilt werden, psychisch krank oder extrem arm sind und unzureichenden Rechtsbeistand haben - dabei sie sind oft unschuldig", sagte die pakistanische Anwältin Belal. Ihre Organisation berät Gefangene, die zum Tode verurteilt wurden, kostenlos.

Bangladesh Lahore Demonstration (Foto: Getty Images/AFP/A. Ali)
Menschen in Pakistan demonstrieren gegen die TodesstrafeBild: Getty Images/AFP/A. Ali

"Die Anzahl der falschen Verurteilungen in Pakistan ist extrem hoch."

"Tatsächlich haben die Daten der letzten Jahre gezeigt, dass in den meisten Ländern der Welt, die die Todesstrafe anwenden - sei es Pakistan oder die USA - die Fehleranzahl sehr hoch ist. Zu viele unschuldige Menschen verlieren ihr Leben", so Belal.

Weg von der Todesstrafe?

Trotz des Anstiegs der dokumentierten Hinrichtungsfälle gibt es auch gute Nachrichten. Laut Amnesty International gehören die Länder, die die Todesstrafe noch anwenden, zu einer kleinen und immer stärker isolierten Minderheit. Vier Länder haben die Todesstrafe im letzten Jahr komplett abgeschafft: Fidschi, Madagaskar, die Demokratische Republik Kongo und Suriname. 102 Länder - und damit die Mehrheit der Länder weltweit - haben die Todesstrafe inzwischen abgeschafft.

In Subsahara-Afrika ist die Zahl der dokumentierten Exekutionen im letzten Jahr gesunken, und mehrere Länder denken über die Abschaffung der Todesstrafe nach. Wie zum Beispiel Simbabwe, das seit zehn Jahren keine Hinrichtung mehr ausgeführt hat. Die Entwicklung zugunsten einer Abschaffung der Todesstrafe sei in Subsahara-Afrika ganz konkret spürbar, so Sangiorgio. Sie glaubt, dass Guinea, Burkina Faso und Kenia die nächsten Kandidaten seien, die die Todesstrafe im Land abschaffen.

Obwohl Ende 2015 mehr als 20.000 Menschen im Todestrakt saßen, geht der globale Trend klar hin zu einer Begrenzung und Abschaffung der Todesstrafe. "Es gibt sogar Debatten in Ländern, die die Todesstrafe noch ausführen", sagte Sangiorgio. Damit werde die Todesstrafe mehr und mehr zu einem Relikt der Vergangenheit.