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Drei Männer, Zwiebeln und ein Regime

Sarah Mersch22. November 2014

Am Sonntag wählen die Tunesier einen neuen Präsidenten. Nach der bereits erfolgreich durchgeführten Parlamentswahl Ende Oktober ist dies nun die nächste Etappe auf dem Weg zur Demokratie. Aus Tunis Sarah Mersch.

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Präsidentenwahl in Tunesien 2014 Anhänger Essebsi Quelle: dw/Sarah Mersch
Bild: DW/S. Mersch

Aufgeregt schwenkt die Menge ihre Fähnchen und hält Plakate mit dem Konterfei eines älteren Herrn in die Luft. Tosender Jubel bricht aus, als dieser kurze Zeit später die Bühne des Sportpalasts von Tunis betritt. Beji Caid Essebsi wird nächste Woche 88 Jahre alt – er ist der älteste Kandidat bei diesen Wahlen, und einer mit den größten Chancen, der erste frei gewählte Präsident der jungen Demokratie zu werden. Die fünfjährige Legislaturperiode werde er doch gar nicht überleben, scherzen seine Gegner – doch Essebsi will bei seinem Wahlkampfauftritt den bösen Zungen besseres beweisen. "Immer wieder erzählen sie, ich sei im Krankenhaus, oder sogar gestorben." Aber hier stehe er und es gehe ihm blendend. "Soll ich mich etwa ausziehen?" Die Menge lacht. Einige Spitzen gegen seine Gegner und zwei Anekdoten später ist der Auftritt von Essebsi auch schon wieder vorbei. Die Gäste sind trotzdem begeistert.

Seine Anhänger hoffen, dass der Gründer der säkularen Partei Nidaa Tounes, die bei den Parlamentswahlen bereits stärkste Kraft geworden ist, Tunesien aus der Krise führen kann. Er habe politische Erfahrung und gute Beziehungen ins Ausland, deshalb sei er der richtige Mann für den Präsidentenpalast, findet der Mittfünfziger Mondher. "Hoffentlich wird er Präsident, denn nur er kann dem Terrorismus das Handwerk legen, denn dafür braucht es eine starke Hand."

Kandidat Essebsi steht an Rednerpult und spricht Quelle: dw/Sarah Mersch
Mann mit Vergangenheit: Beji Caid Essebsi war zeitweise Minister unter Diktator Ben-AliBild: Reuters/Z. Souissi

Diese starke Hand könnte etwas zu stark werden, fürchten Essebsis Gegner, denn in seiner Partei Nidaa Tounes sind neben Gewerkschaftern und Sozialdemokraten auch etliche Mitglieder des alten Regimes vertreten. Der Präsidentschaftskandidat selbst war unter den beiden ehemaligen Präsidenten Tunesiens, Habib Bourguiba und Zine El Abidine Ben Ali, zeitweise Minister. Doch die Sorgen vor einem neuen Alleinherrscher seien unbegründet, findet Ahmed, der am Sonntag Essebsi seine Stimme geben will. "Wir haben keine Angst vor der Dominanz einer Partei. Das Volk hält nicht mehr den Mund. Sollte er alleine herrschen wollen, dann jagen wir ihn weg."

Wer kommt weiter?

Neben Essebsi wollen von ursprünlich 27 nun noch 21 andere Präsident werden. Darunter ist mit der Richterin Kalthoum Kannou eine einzige Frau. Chancen kann sie sich wie die meisten Kandidaten kaum ausrechnen, doch zwei oder drei andere könnten für Essebsi zu ernsthafter Konkurrenz werden. Alles andere als eine Stichwahl Ende Dezember wäre eine große Überraschung.

Porträtfoto Kandidat Marzouki Quelle: dw/Sarah Mersch
Seine Aufgabe sei noch nicht vollendet, deshalb will Marzouki erneut Präsident werdenBild: DW/S. Mersch

Schärfster Konkurrent Essebsis ist der aktuelle Übergangspräsident Moncef Marzouki. Dessen Partei, der Kongress für die Republik (CPR) hat bei den Parlamentswahlen zwar nur vier Sitze erhalten, doch viele Anhänger der islamistischen Ennahda, die selbst keinen Kandidaten aufgestellt hat, werden sich wohl für Marzouki entscheiden. Und der Ton zwischen Essebsi und Marzouki ist harsch. "Wenn ich heute sehe, wie die alte Maschinerie zurückkommt, dann frage ich mich wie diese Leute eine Demokratie aufbauen wollen? Die werden die Freiheiten verteidigen?" fragt Marzouki bei seinem Wahlkampf mit heiserer Stimme in die Menge. "Nein!" rufen einige hundert aus vollem Hals zurück. Zuhörer Fathi, der bald in den Ruhestand geht, hat Angst um die Zukunft seiner Kinder, wenn die alten Kader zurückkommen: "Das ist ein Putsch gegen die Revolution, die Diktatur kommt zurück!".

Junge Leute winken mit Parteifähnchen
Sie würden Marzouki gerne wieder im Präsidentenpalast sehenBild: DW/S. Mersch

Volksnah für den Überraschungserfolg kämpfen

Auch bei Marzouki ist der Wahlkampfauftritt schnell vorbei. Nach einer Viertelstunde verlässt er unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen wieder die Bühne. Während Essebsi und Marzouki sich im Wahlkampf hauptsächlich gegenseitig angreifen, wollen andere Kandidaten mit ganz konkreten Dingen punkten, und hoffen, so in die zweite Runde einzuziehen. Zumindest zwei von ihnen könnte ein Achtungserfolg gelingen. Der medienscheue, millionenschwere Geschäftsmann Slim Riahi, Präsident eines der wichtigsten Fußballvereine Tunesiens, will die jungen Wähler ansprechen.

Andere Kandidaten wie der Linke Hamma Hammami will die Wähler gewinnen, die der wirtschaftsliberalen Politik der aktuellen Regierung und der Abhängigkeit vom Ausland skeptisch gegenüber stehen. "Die Leute machen sich darüber lustig, dass ich über Tomaten und Zwiebeln rede", lacht Hammami, aber die steigenden Lebenshaltungskosten, wirtschaftliche Probleme und die Arbeitslosigkeit seien die Themen, die die Wähler wirklich interessieren. Der Vorsitzende der Volksfront hofft, den Überraschungserfolg seiner Parteienallianz bei den Parlamentswahlen weiterführen zu können. "Die Leute ändern gerade ihre Einstellung. Sie verstehen, dass rechtsliberale Parteien, egal ob religiös oder nicht, ihnen nicht weiterhelfen." Muslim sein, das sei schön und gut, aber man müsse eben auch essen und die Stromrechnung zahlen können, erklärt der 62-Jährige, der als Oppositioneller unter Bourguiba und Ben Ali die meiste Zeit seines Lebens im Untergrund oder im Gefängnis verbracht hat.

Mann reckt ein rotes Plakat für Kandidat Hammami bei einer Wahlkampfveranstaltung in die Höhe Quelle: dw/Sarah Mersch
Anhänger Hamma Hammamis: Der "Sohn des Volkes" legt zuBild: DW/S. Mersch
grauhaariger Mann mit Brille im Anzug reckt rechte Faust in die Höhe Hamma Hammami Quelle: dw/Sarah Mersch
Hamma Hammamis Wahlkampf-Thema: Steigende Preise für LebensmittelBild: DW/S. Mersch

Die Verfassung schützen

Bei seinem Besuch in einem Armenviertel kommt der "Sohn des Volkes", so sein Wahlkampfslogan, gut an. "Hamma ist ein Kämpfer, ein guter Mensch", findet Aycha Dridi. Er möge die Armen, und Aycha hofft, dass sich ihre Situation bessert, sollte Hammami gewinnen. Von den ehemaligen Machthabern will sie nichts mehr hören. "Die haben sich nur um sich selbst gekümmert. Das hatten wir uns so nicht vorgestellt."

Der zukünftige Präsident hat zwar nur ein begrenztes Aufgabenfeld, wacht jedoch auch über die Einhaltung der neuen Verfassung, die im Januar 2014 verabschiedet wurde. Und deren konkrete Anwendung wird eine der großen Herausforderungen dieser ersten regulären Legislaturperiode nach der Revolution. Sobald erste Tendenzen der Präsidentschaftswahlen feststehen, werden außerdem erste Koalitionsverhandlungen beginnen. Im zersplitterten Parlament eine stabile Mehrheit zu finden, wird für die Partei Nidaa Tounes keine leichte Aufgabe sein. Bis alle neuen Amtsträger auf ihren Posten sind, so Beobachter, kann es in Tunis Februar werden.