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Tschechien und die Slowakei 30 Jahre nach der Trennung

Luboš Palata Prag
31. Dezember 2022

Im Januar 1993 trennten sich Tschechen und Slowaken auf friedliche Weise. Die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern blieben eng und freundschaftlich. Doch seit Kurzem gibt es Differenzen.

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30 Jahre nach der Teilung der Tschechoslowakei
Auf seiner ersten Auslandsreise im Oktober 2022 besuchte der slowakische Außenminister Rastislav Kacer (links) seinen tschechischen Amtskollegen Jan LipavskyBild: Außenministerium der Slowakischen Republik

Der letzte Europäische Gipfel unter tschechischer Präsidentschaft fand am 15. Dezember 2022 statt - ohne den slowakischen Ministerpräsidenten Eduard Heger. Der musste sich an diesem Tag einem Misstrauensvotum im slowakischen Parlament in Bratislava stellen. Vertreten wurde er von seinem tschechischen Amtskollegen Petr Fiala. Eine naheliegende Entscheidung, denn auch dreißig Jahre nach der reibungslosen Teilung ihres gemeinsamen Staates am 1. Januar 1993 stehen sich die Tschechische Republik und die Slowakei immer noch sehr nahe.

Fiala bestätigte dies gegenüber der Deutschen Welle: "Die ausgezeichneten Beziehungen zwischen der Tschechischen Republik und der Slowakei zeigen sich nicht nur in dieser Frage." Darum werde man am 1. Januar 2023 den 30. Jahrestag der friedlichen Teilung der Tschechoslowakischen Föderativen Republik und der Gründung zweier unabhängiger Staaten mit Stolz begehen.

Der gemeinsame Staat der Tschechen und Slowaken war am 28. Oktober 1918 aus der Konkursmasse der Habsburgermonarchie gegründet worden. Das Hauptargument damals: Beide Völker wollten zu einer Nation verschmelzen, den Tschechoslowaken. Doch nach der ersten gemeinsamen Republik (1918-1938), der Besetzung durch Nazi-Deutschland (1939-1944/45) und der kommunistischen Diktatur (1945-1989) bestanden die kulturellen, sprachlichen und strukturellen Unterschiede zwischen beiden Landesteilen und Völkern weiter. Bei den Wahlen 1992 setzten sich sowohl in Tschechien als auch in der Slowakei Parteien durch, die den gemeinsamen Staat ablehnten. Sie einigten sich auf eine friedliche Auflösung des gemeinsamen Staates zum 31.12.1992 - nach knapp 74 Jahren seines Bestehens.

Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala gestikuliert am Rednerpult beim Gipfel des Europäischen Rates im Dezember 2022
Ministerpräsident Petr Fiala vertrat beim Europäischen Gipfel im Dezember 2022 seinen slowakischen Amtskollegen Eduard Heger Bild: Luboš Palata/DW

"Wir dürfen nicht vergessen, dass  die Teilung der Tschechoslowakei nicht nur friedlich, sondern auch ungewöhnlich freundschaftlich verlief", so Fiala. Das sei etwas Einzigartiges in der Geschichte. "Das Besondere, worauf wir stolz sein und woran wir arbeiten sollten ist, dass die Beziehungen zwischen der Tschechischen Republik und der Slowakei nach der Teilung wirklich hervorragend sind." Dies gelte nicht nur für die politische Ebene, sondern auch zwischen Unternehmen und Menschen. "Das ist etwas wirklich Schönes und ich denke, es zeigt, dass die Schaffung zweier unabhängiger Staaten der richtige Weg war und beiden Nationen geholfen hat", so der tschechische Premierminister gegenüber der DW. "Die Tatsache, dass wir so gute Beziehungen haben, stärkt uns gemeinsam in Europa."

Diplomaten-Könige in Prag und Bratislava

Slowakische Politiker und Diplomaten sehen das ähnlich. Gern erinnert sich der slowakische Außenminister Rastislav Kacer an seine Zeit als Botschafter seines Landes in der tschechischen Hauptstadt. "Slowakischer Botschafter in Prag zu sein, ist ein großes Privileg. Hier ist man ein diplomatischer König. Andere Botschafter kommen zu einem, und sagen: Niemand sonst versteht die tschechische Politik so gut wie Sie, erklären Sie es uns."

Auch in der tschechischen Diplomatie wird der Posten des Botschafters in Bratislava als sehr prestigeträchtig angesehen. Ein Beleg dafür ist die Tatsache, dass die tschechische Botschafterin in der Slowakei von 2013 bis 2018 die ehemalige First Lady Livie Klausova war, die Ehefrau des früheren Präsidenten Vaclav Klaus.

30 Jahre nach der Teilung der Tschechoslowakei
Der scheidende Leiter der Auslandsabteilung des tschechischen Präsidialamtes, Rudolf Jindrak, ist ab Januar 2023 Botschafter in BratislavaBild: Luboš Palata/DW

"In dem Moment, in dem bekannt wurde, dass ich als Botschafter in die Slowakei gehen würde, war das Interesse groß, viel mehr als damals, als ich als Botschafter nach Deutschland ging", erinnert sich Rudolf Jindrak, Leiter der Auslandsabteilung des Präsidialbüros in Prag, im Gespräch mit der DW. Am 1. Januar 2023 wird er sein neues Amt als tschechischer Botschafter in Bratislava antreten.

Reger Austausch auf allen Ebenen

Die außergewöhnlichen Beziehungen zwischen Tschechien und der Slowakei spiegeln sich auch darin wider, dass die ersten Auslandsreisen von Präsidenten, Premierministern und Außenministern beider Länder immer noch in die Hauptstadt des jeweiligen Nachbarlandes führen, nach Prag und nach Bratislava - auch 30 Jahre nach der Teilung der Tschechoslowakei. Außerdem finden regelmäßige gemeinsame Sitzungen der beiden Regierungen statt.

Auch der Studentenaustausch ist rege, denn tschechische und slowakische Staatsbürger können im jeweils anderen Land kostenlos studieren. Beide Sprachen werden in beiden Ländern als verständlich eingestuft. Mehr als 25.000 slowakische Studenten studieren in Tschechien - das sind mehr als zehn Prozent der Studentenschaft insgesamt. Umgekehrt ist die Zahl tschechischer Studenten im Nachbarland aufgrund der geringeren Qualität der slowakischen Universitäten deutlich niedriger. 

Darüber hinaus arbeiten Tausende von slowakischen Ärzten und Krankenschwestern in der Tschechischen Republik. 91.000 tschechische Staatsbürger haben slowakische Wurzeln, und mehr als 114.000 Slowaken haben einen ständigen Wohnsitz in der Tschechischen Republik. In der Slowakei dagegen gibt es nur einige zehntausend Tschechen.

Verbundenheit ist geblieben 

Der slowakische Politologe Grigory Mesezhnikov, Direktor des Instituts für öffentliche Angelegenheiten, bestätigte im Gespräch mit der DW, dass die Beziehungen zwischen Tschechen und Slowaken durchweg gut sind. "Die Wahrnehmung der Tschechen durch die Slowaken ist sehr positiv, was auch durch Meinungsumfragen bestätigt wird. Und auch in der Tschechischen Republik werden die Slowaken als die nächststehende Nation wahrgenommen", so Mesezhnikov.  

Der slowakische Politikwissenschaftler Grigorij Mesezhnikov
Der slowakische Politikwissenschaftler Grigorij MesezhnikovBild: privat

"Die Tschechoslowakei ist in den Köpfen und Herzen der Menschen immer noch lebendig, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität", sagte Mesezhnikov. Einer im November 2022 durchgeführten Umfrage des Prager Meinungsforschungsinstituts STEM zufolge betrachten sich 91 Prozent der Slowaken und 87 Prozent der Tschechen noch immer als engste Verbündete. 53 Prozent der Slowaken halten die Teilung der Tschechoslowakei immer noch für falsch, aber nur 35 Prozent der tschechischen Bevölkerung.

Die grüne Grenze ist seit September geschlossen

Trotz all dieser positiven Daten: Nach Ansicht vieler Experten nimmt die Besonderheit der Beziehung zwischen den beiden Bruderländern langsam ab. "In vielen Bereichen sind unsere Beziehungen nicht mehr außergewöhnlich gut", räumt Rudolf Jindrak ein "Die tschechisch-slowakischen Beziehungen haben sich in der Europäischen Union im übertragenen Sinne wie ein Stück Würfelzucker aufgelöst, und wir haben nach dem EU-Beitritt aufgehört, ihnen genügend Aufmerksamkeit zu schenken." 

Flüchtlingscamp in Kuty an der tschechisch-slowakischen Grenze
Flüchtlingscamp in Kuty an der tschechisch-slowakischen GrenzeBild: Radovan Stoklasa/REUTERS

Das zeigte sich vor allem während der ersten schweren Krise in den bilateralen Beziehungen seit Auflösung der Tschechoslowakei als die Tschechische Republik am 29. September 2022 die "grüne Grenze" zur Slowakei bis auf Weiteres schloss. Der Grund dafür war ein starker Anstieg der Zahl der illegalen Zuwanderer, die über die Slowakei ins Land kamen. Bratislava weigerte sich, die Migranten, die von der tschechischen Polizei aufgegriffen wurden, gemäß dem Rückübernahmeabkommen zurückzunehmen.

"Ja, einer der Gründe für die Wiedereinführung von Kontrollen an der gemeinsamen Grenze war die problematische Umsetzung des Rückübernahmeabkommens durch die Slowakei", bestätigt Hana Mala von der Presseabteilung des tschechischen Innenministeriums gegenüber der DW. Die Schließung der grünen Grenze führte zu Protesten slowakischer LKW-Fahrer. Auch ein Treffen der Ministerpräsidenten am 11. November 2022 konnte den Streit bislang nicht beilegen. 

Luboš Palata Europaredakteur der tschechischen Tageszeitung "Deník".