Druck auf Rohani immer stärker
30. Oktober 2020Wie stark Irans Präsident Hassan Rohani in der wegen der Pandemie, der US-Sanktionen und der schwierigen Versorgungslage der Bevölkerung angespannten Situation unter Druck steht, verdeutlichte Mitte Oktober ein Tweet des Abgeordneten Modschtaba Solnuri: "Irans Führer sollte anordnen, dass Sie (Präsident Rohani) tausendmal hingerichtet werden, damit das Herz des iranischen Volkes aufblüht." Solnuri gehört zum besonders konservativen und außenpolitisch kompromisslosen Flügel und ist ein Stellvertreter des geistigen Führers Chamenei.
Der folgte dem Ratschlag aber nicht, im Gegenteil. Am 24.Oktober empfing Ayatollah Ali Chamenei den Präsidenten und den Corona-Krisenstab zur Besprechung. Chamenei, der in allen staatlichen Angelegenheiten das letzte Wort hat, betonte bei dem Treffen die Notwendigkeit von Solidarität in der Krise und warnte vor beleidigenden Äußerungen gegen den führenden Politiker des Landes. Er werde so etwas nicht dulden.
Rohani wird noch gebraucht
„Dass Chamenei jetzt Rohani unterstützt, ist eine kalkulierte Strategie. Der machtlose Präsident darf nicht zurücktreten und muss für die miserable Situation, in der sich das Land befindet, die Verantwortung übernehmen", sagt der Schriftsteller Taghi Rahmani im Gespräch mit der DW. Er ist Mitglied des "Council of Nationalist-Religious Activists of Iran" und lebt seit 2011 im Pariser Exil. Andere konservative Abgeordneten hatten bereits vorgeschlagen, Rohani durch ein Misstrauensvotum abzusetzen.
Schon seit Monaten kursieren Gerüchte über Rohanis Rücktritt auf eigenen Wunsch. Einen solchen Schritt würde Chamenei aber als Protest gegen das System verstehen, mit unabsehbaren weiteren destabilisierenden Folgen.
"Niemand weiß, wie das Land aus der Krise herauskommen kann", sagt Rahmani. Er glaubt, dass Chamenei den Präsidenten völlig im Griff hat. "Der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran hat alle Hoffnungen der gewählten Institutionen zunichte gemacht. Sie haben nichts mehr zu sagen."
Probleme der Bevölkerung zweitrangig
Der Tweet des ultraradikalen Abgeordneten Solnuri war eine Reaktion auf Rohanis Aussage: "Notfalls führen wir Krieg, aber notfalls auch Frieden". Diese Worte wurden als Ankündigung von Verhandlungen mit den USA nach den dortigen Wahlen interpretiert, ein absolutes No-go für die iranischen Hardliner. Für sie hat die Konfrontation mit den USA Priorität, egal wie schlecht es der Bevölkerung geht.
So hat sich der Preis für Kartoffeln hat vervierfacht, Tomaten sind 140 Prozent teurer als vor einem Jahr. Jeden Tag beklagen sich die Menschen in sozialen Netzwerken über Engpässe bei Lebensmittelnund den Mangel an importierten Medikamenten.
"Vergangene Woche konnte man in der Stadt kaum Insulinspritzen bekommen," sagt Zahra, eine 40-jährige Hausfrau und Mutter aus Teheran im Gespräch mit der DW. "In meinem Umfeld leiden mehrere Menschen an Diabetes. Sie beschweren sich über die Knappheit von Insulin." Der Mangel an Insulin wird auch in den in sozialen Netzwerken thematisiert. Laut den letzten verfügbaren Statistiken von 2016 sind mindesten rund fünf Millionen Menschen im Iran an Diabetes erkrankt, 600.000 auf tägliche Insulininfusionen angewiesen.
Das Gesundheitsministerium versucht abzuwiegeln, bei der Insulin-Knappheit handele es sich um einen vorübergehenden Engpass. Die US-Finanzsanktionen würden die Bezahlung der Medikamente erschweren, weshalb sich Lieferungen verzögerten. Bald würde wieder genug Insulin zur Verfügung stehen.
"Eine Bekannte will sich über private Kontakte jetzt ihre Medikamente aus dem Irak besorgen. Momentan verkaufen die Apotheken nur die iranischen Medikamente. Viele misstrauen diesen aber und wollen sie nicht nehmen. Inmitten der Corona-Pandemie fehlt uns eigentlich an allem", fügt Zahra resigniert hinzu. Sie und ihre Tochter haben in den vergangenen Monaten ihre Wohnung kaum verlassen. Ihr Mann muss aber trotz der Corona-Pandemie arbeiten gehen.
Laissez-faire in der Pandemie
Und auch im Iran ist das Corona-Virus wieder auf dem Vormarsch. Die halbherzigen Maßnahmen der Regierung greifen nicht. Zwar müssen in den (zu wenigen) Bussen und Bahnen des öffentlichen Nahverkehrs die Pendler eine Schutzmaske tragen. Sie stehen aber dicht beieinander. Allein in der Hauptstadt Teheran sterben laut offiziellen Zahlen täglich rund 200 Menschen im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion. Der Corona-Krisenstab gab letzte Woche zu, dass die tatsächliche Zahl der Todesfälle mehr als doppelt so hoch sei wie die Statistiken des Gesundheitsministeriums ausweisen.
"Einen Lockdown können wir uns nicht leisten", wiederholt Präsident Hassan Rohani seit Monaten. Alles sei unter Kontrolle. Vergangene Woche berichteten aber Journalisten über Mehlknappheit im West-Iran. In der Stadt Saqqez finde man ab zehn Uhr vormittags kaum noch Brot in den Bäckereien, sagt der Journalist Shahed Alavi als Beispiel im Gespräch mit der DW. "Die Menschen werden Tag zu Tag unzufriedener. Chamenei hat Angst davor, dass die unzufriedenen Bürger die Auseinandersetzungen zwischen Hardlinern und Regierung als Anlass nehmen und auf die Straße gehen. Er möchte Geschlossenheit an der Spitze des Landes demonstrieren. Deswegen war er gezwungen, sich nach acht Monaten persönlich mit Rohani zu treffen", erläutert Alavi.
(Shed Alavi schreibt am 18.Oktober auf Twitter: im iranischen Kurdistan findet man seit einer Woche kaum noch Brot)
Ayatollah Chamenei, der sich normalerweise auf Großveranstaltungen und Kundgebungen als redegewandter und starker Führer präsentiert, war in den vergangenen Monaten nur noch auf dem Bildschirm zu sehen. Seit Februar gelten in seinem Umfeld strengste Hygienemaßnahmen. Bei seinem bisher letzten öffentlichen Auftritt am 15. Februar durfte sich niemand dem 80-jährigen Ayatollah nähern. Vier Tage später wurden die ersten Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion bestätigt. Die rasche Ausbreitung des Coronavirus im Iran wurde aber lange verschwiegen. Aufklärung der Gesellschaft über die Bedeutung von Hygiene-Maßnahmen in der Pandemie Bedeutung von Hygiene-Maßnahmen in der Pandemie findet immer noch kaum statt.