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Duma-Wahl nach neuen Regeln

Felix Riefer16. August 2016

Die Parlamentswahlen in Russland finden kurz nach den Sommerferien statt und es gibt ein geändertes Wahlsystem. Aber an Bedeutung werden sie wohl nicht gewinnen. Was sind die Motive des Kremls?

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Wähler und Wahlurnen in einem russischen Wahllokal (Foto: DMITRY SEREBRYAKOV/AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/D. Serebryakov

Drei Monate früher als ursprünglich geplant wird in Russland die Staatsduma gewählt. Mit deutlicher Mehrheit wurde Mitte 2015 beschlossen, die Wahlen zum Unterhaus des Parlaments vom 4. Dezember auf den 18. September 2016 vorzuziehen. Unterstützt wurde die Initiative des Duma-Vorsitzenden Sergej Naryschkin von den Kreml-treuen Parteien "Einiges Russland", "Gerechtes Russland" und der Liberaldemokratischen Partei . Sie werden wohl, ebenso wie die Kommunisten, die mehr oder weniger auch als Kreml-treu gelten, wieder ins Parlament einziehen.

Gescheitert ist eine Zusammenarbeit der beiden wichtigsten Oppositionskräfte. Die "Russische Demokratische Partei" (Jabloko) und die "Partei der Volksfreiheit" (RPR-PARNAS), deren Mitbegründer der im Februar 2015 ermordete Oppositionspolitiker Boris Nemzow war, treten bei der Wahl unabhängig von einander an. Laut Umfragen haben diese "außersystemischen" Parteien kaum Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden.

Entscheidend ist die Präsidentenwahl

Begründet wurde die Vorverlegung der Duma-Wahl damit, dass so der Staatshaushalt entlastet werde. Petra Stykow, Professorin an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität mit dem Schwerpunkt politische Systeme in Ostmitteleuropa und Eurasien, hält dies aber für "wenig stichhaltig". "Die Regierung in Russland ist keine Parteienregierung. Weder haben wir es mit einem parlamentarischen Regierungssystem zu tun, noch sind Parteien wirklich relevant. Entscheidend für das System sind Wahlen des Präsidenten", sagte sie der Deutschen Welle.

Portrait von Wladimir Putin (Foto: Matt Dunham/picture alliance/empics)
Wladimir Putin darf bei den Präsidentschaftswahlen 2018 erneut antretenBild: picture alliance/empics/M. Dunham

Die nächste Präsidentenwahl findet 2018 statt. Das geht auf eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2008 zurück, mit der die Legislaturperiode der Duma von vier auf fünf Jahre und die Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre verlängert wurde. Bislang fand die Duma-Wahl drei Monate vor der Wahl des Präsidenten statt und sie konnte sich deswegen auf die Wahl des Staatsoberhaupts auswirken. So war es Ende 2011 und Anfang 2012. Damals kam es zu Massenprotesten gegen Wahlfälschung. "Durch die Entkopplung beider Wahlen ist dieser Effekt eliminiert worden", so Stykow. Der Kreml reagierte damals auf die Proteste mit hunderten Festnahmen und Repressionen gegen Oppositionelle.

Keine starken Oppositionsparteien

Nach wie vor seien Oppositionelle in Russland massiven Einschränkungen ausgesetzt, sagte der DW Caroline von Gall, Professorin für Ostrecht an der Universität zu Köln. "Es gibt ein grundsätzliches Klima, das es unmöglich macht, wirklich starke Oppositionsparteien entstehen zu lassen", betonte sie. Es fehle an Möglichkeiten, sich über unabhängige Medien Gehör zu verschaffen oder sich durch unabhängige Gerichte entsprechend zur Wehr zu setzen.

Ein Beispiel ist der Anti-Korruptions-Blogger Alexej Nawalny. Die Behörden verweigern seiner "Fortschrittspartei" die Zulassung und ihm selbst das passive Wahlrecht - aufgrund von Vorstrafen, die Beobachter für politisch motiviert halten. Als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied, dass auch für Vorbestrafte das passive Wahlrecht gilt, wiedersprach ihm das russische Verfassungsgericht. "Das ist ein Extremfall, weil es im Wortlaut der russischen Verfassung eine Abweichung von der Rechtsprechung des EGMR gibt", sagte von Gall. Ihr zufolge nahm der Kreml den Fall "als Aufhänger dafür, die Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention letztlich vom eigenen Verfassungsgericht abhängig zu machen". Doch das Verfassungsgericht sei, wenngleich es auch positive Urteile fälle, grundsätzlich Kreml-treu und somit "kein Garant für Menschenrechte".

Portrait von Alexei Nawalny (Foto: DMITRY SEREBRYAKOV/AFP/Getty Images)
Alexej Nawalny darf bei der Duma-Wahl nicht kandidierenBild: Getty Images/AFP/D. Serebryakov

Anknüpfung an sowjetische Tradition

Eine weitere Veränderung sieht vor, dass die bevorstehende Duma-Wahl nicht mehr nach einem proportionalen, sondern nach einem gemischten Wahlsystem abgehalten wird. So sollen die 450 Sitze jeweils zur Hälfte über Parteilisten und Direktmandate besetzt werden. Anfang 2014 unterzeichnete Präsident Wladimir Putin das entsprechende Gesetz. Damals wirkte es angesichts der Proteste der Kreml-Gegner Ende 2011 und Anfang 2012 als Zugeständnis. Doch auch das gemischte Wahlsystem spiele der Kreml-Partei "Einiges Russland" in die Hände, meint Petra Stykow von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität. "Das neue Wahlsystem verschafft Parteien Vorteile, die sowohl über starke einzelne Figuren verfügen, die in den Wahlkreisen Erfolg haben können, als auch disziplinierte, föderal organisierte Strukturen haben", sagte sie.

Stykow glaubt, dass die Parlamentswahlen durch die Änderung des Wahlsystems und die Entkoppelung von den Präsidentschaftswahlen nicht an Bedeutung für das Land gewinnen - ganz im Gegenteil. Die Bedeutung bestehe nur noch darin, "dass man den Leuten irgendwas zu tun gibt - Parlamentswahlen als eine Art Erntedankfest, wenn man im September von seiner Datscha zurückkommt". So werde an die sowjetische Tradition angeknüpft, wo Wahlen nicht besonders wichtig gewesen, aber alle wie zu einem Volksfest hingegangen seien.