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Durchmischte Bilanz für Wen Jiabao

Matthias von Hein5. März 2004

Regelmäßig wie die Zugvögel versammeln sich Delegierte aus allen Teilen Chinas in Peking zur jährlichen Sitzung des Nationalen Volkskongresses. Es wird zugehört und abgesegnet. Dieses Mal gibt es aber einiges Neues.

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Delegierte vor der "Halle des Volkes" in PekingBild: AP

In diesem Jahr wird erstmals der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao vor den Abgeordneten des chinesischen Parlaments seinen Rechenschaftsbericht abgeben müssen. Vor einem Jahr war er im letzten Akt eines von langer Hand eingefädelten Führungswechsels mit Staatspräsident Hu Jintao an die Spitze des chinesischen Staates gelangt.

Die Erwartungen an die neue Führung waren gewaltig - schließlich waren die Probleme des Landes es ja auch: Die wachsende Spaltung des Gesellschaft in Gewinner und Verlierer der Modernisierung, in reiche Küstenregionen und rückständige Inlandsgebiete. Die grassierende Korruption. Die offene wie die verdeckte Arbeitslosigkeit. Und die infolge des rasanten Wirtschaftswachstums rapide voranschreitende Umweltzerstörung.

Auf dem Volkskongress (5. bis 14.3.2004) fällt nach einem Jahr die Bilanz der neuen Regierung gemischt aus: Insbesondere Ministerpräsident Wen Jiabao, aber auch Staatschef Hu Jintao ist es gelungen, sich als Männer des Volkes zu inszenieren. Unter anderem durch beherzten Einsatz beim Kampf gegen die Atemwegskrankheit SARS. Nachdem die Behörden Anfang 2003 zunächst verharmlost, verschwiegen und vertuscht hatten, zeigte ab April 2003 Ministerpräsident Wen Jiabao seine Fähigkeiten zum Krisenmanagement.

Aussichtsloser Kampf gegen die Korruption

Aber in entscheidenden Punkten ist die Regierung nicht nennenswert weitergekommen. Etwa bei der Bekämpfung der Korruption. Kurz vor Beginn der Volkskongress-Sitzung wurden im Kampf gegen korrupte Funktionäre sogar Hinrichtungen verfügt. Aber solange es kein funktionierendes System der Gewaltenteilung gibt, ist der Kampf gegen die Korruption nahezu aussichtslos.

Innenpolitisch hat die Regierung immerhin Schritte eingeleitet, um die wachsende Einkommensschere zwischen Arm und Reich, zwischen Küste und Inland zu mildern. Auch der bislang nahezu rechtlose Status der rund 150 Millionen Wanderarbeiter wurde deutlich verbessert. Die Führung in Peking hat verstanden, dass dieses schier endlose Arbeitskräftereservoir ein zentraler Faktor für das Wirtschaftswachstum ist, das im vergangenen Jahr über neun Prozent erreichte.

"Legales Eigentum" wird geschützt

Außenpolitisch setzt sich die neue Regierung deutlich von ihren Vorgängern ab. Beispiele für deren Außenpolitik sind das Engagement Chinas bei der Bewältigung der nordkoreanischen Atomkrise oder auch die enge Zusammenarbeit mit der Vereinigung südostastiatischer Staaten ASEAN.

Ein Projekt der neuen chinesischen Regierung wird bei der jetzigen Sitzung des Nationalen Volkskongresses seinen vorläufigen Abschluss finden: Die Änderung der chinesischen Verfassung. Jetzt wird nicht nur der Schutz der Menschenrechte in die chinesische Verfassung aufgenommen, sondern auch der Schutz des Privateigentums. Nach sehr kontroversen Diskussionen wird aber jetzt eingeschränkt: des legalen Eigentums. Kritiker hatten befürchtet, dass mit der Verfassungsänderung der oftmals illegal oder halblegal zusammengeraffte Reichtum der chinesischen Oberschicht geschützt werden sollte.

Im Klartext vertritt die Kommunistische Partei Chinas damit auch die Interessen der Privatunternehmer. Dabei ist in Artikel 1 der Verfassung weiterhin von der "demokratischen Diktatur des Volkes unter Führung der Arbeiterklasse" die Rede. Dieser Widerspruch wird ebenso hingenommen wie der Widerspruch zwischen dem bisherigen Verfassungstext - der garantiert bereits umfangreiche Freiheiten wie Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit - und der Verfassungswirklichkeit: mit zahlreichen politischen Gefangenen.