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PolitikAsien

DW Exklusiv: Vom Folterkeller auf UN-Friedensmissionen

Naomi Conrad | Arafatul Islam | Birgitta Schülke
21. Mai 2024

Soldaten einer Einheit aus Bangladesch, die in Mord und Folter verwickelt ist, werden auf Blauhelmmissionen geschickt. Das legte eine Recherche von DW, "Süddeutscher Zeitung" und "Netra News" nahe.

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UN Peacekeepers | Bangladeschische Soldaten der Mission der Vereinten Nationen in der DR Kongo (MONUSCO)
Bild: AFP via Getty Images

Manchmal steht am Anfang einer Recherche ein Bild, das auf den ersten Blick unverfänglich wirkt. In diesem Fall: ein Selfie. Eine Gruppe von Frauen und Männern in Uniform posiert für die Kamera. Das Ganze im typischen Selfie-Stil: leicht schief aufgenommen, die Füße der Soldaten abgeschnitten.

Aufgenommen wurde das Bild nach unseren Recherchen im Jahr 2022, als die Soldatinnen und Soldaten aus Ägypten, Bangladesch und Indonesien gerade ihren Einführungskurs für einen Blauhelmeinsatz in der Demokratischen Republik Kongo beendet hatten.

Dass das Bild doch nicht so unverfänglich ist, wie es scheint, liegt an einem glatzköpfigen Mann in der Mitte der Gruppe.  Die Sonne spiegelt sich in seiner Brille, seinen Arm hat er lässig um die Schulter eines anderen Soldaten gelegt. Er ist der Grund, warum ein Informant unserem Investigativ-Team das Bild zugespielt hat.

Zeigen können wir das Bild aus juristischen Gründen nicht. 

Bevor der Mann auf UN-Mission geschickt wurde, hatte er eine ganz andere Position inne: Er war stellvertretender Direktor der Geheimdienstabteilung des Rapid Action Bataillons (RAB), einer Eliteeinheit in Bangladesch.

Nach Recherchen, die die Deutsche Welle und die Investigativ-Plattform "Netra News" im vergangenen Jahr veröffentlicht haben, ist diese Einheit für Hinrichtungen und Folter verantwortlich – das Ganze genehmigt, oder zumindest gebilligt von hohen Regierungsbeamten. Ein Vorwurf, den das bangladeschische Innenministerium damals in einer Stellungnahme gegenüber DW und "Netra News" empört als "erfunden, fabriziert und politisch motiviert" zurückwies. 

Mitglieder von RAB in Dhaka
RAB wurde ursprünglich mit Hilfe der USA gegründet Bild: Netra News

Mindestens 40 Mitglieder von RAB wurden Blauhelmsoldaten

Mitglieder dieses "Killerkommandos", wie einer unserer Gesprächspartner die Eliteeinheit unverblümt nannte, werden von Bangladesch offenbar systematisch auf UN-Missionen geschickt. Das hat eine neue Recherche von DW, "Netra News" und der "Süddeutschen Zeitung" ergeben.

Über Monate haben wir geheime Militärdokumente gesichtet, mit Quellen in Bangladesch und den UN geredet und Social-Media-Profile ausgewertet. Die Identität eines Mannes konnten wir über seine täglichen Laufstrecken in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, verifizieren. Einen anderen erkannten wir auf den offiziellen Fotos einer Ordensverleihung.

Insgesamt konnten wir über 100 Soldaten identifizieren, darunter 40, die in den letzten fünf Jahren zuerst in RAB dienten und dann Blauhelmsoldaten wurden.

Drei von ihnen waren für uns besonders interessant, denn sie haben für die Geheimdienstabteilung von RAB gearbeitet, zwei von ihnen sogar als stellvertretende Direktoren.

Drei Männer haben im Folterkeller gearbeitet
Die drei Männer haben im Geheimdienst von RAB gearbeitet. Bild: DW

Der Geheimdienst, das bestätigten übereinstimmend mehrere Quellen, unterhält ein geheimes Netzwerk von Folterzellen in Bangladesch. Dort, so erzählt es ein Informant aus dem Militär nüchtern, "werden Zivilisten zum Reden gebracht". Mehrere Gesprächspartner berichten einstimmig von Waterboarding, Elektroschocks und Scheinexekutionen.

UN-Bericht: Mitglieder von RAB von Missionen ausschließen

Und trotzdem wurden sowohl diese drei Männer als auch andere ehemalige RAB-Mitglieder von Bangladesch als Blauhelme entsandt. Dabei gab es sogar explizite Warnungen. Der UN-Ausschuss gegen Folter, ein Gremium unabhängiger Experten, schrieb 2019 in einem Bericht von “tiefer Besorgnis“ angesichts von "Folter, willkürlichen Verhaftungen, undokumentierter Haft und außergesetzlichen Tötungen" durch Bangladeschs Sicherheitskräfte.

Diese Begrifflichkeit hätten die Autoren "nicht leichtfertig" benutzt, erinnert sich der Autor des Berichts, Jens Modvig, der dem Anti-Folter-Ausschuss damals angehörte. Das Komitee habe die klare Empfehlung abgegeben, Mitglieder von RAB von Friedensmissionen auszuschließen.

Dennoch wurden alle Soldaten, die die Deutsche Welle, "Netra News" und die "Süddeutsche Zeitung" identifiziert haben, nach Veröffentlichung des Berichts entsandt. Die Warnungen aus dem Innern der UN wurden offenbar ignoriert.

UN überlässt es Ländern, ihre Sicherheitskräfte zu überprüfen

Der Grund liegt im Auswahlverfahren der UN. Sie überlassen es den truppenstellenden Ländern, die Soldaten auszusuchen und zu überprüfen. Zwar müssen die jeweiligen Regierungen zertifizieren, dass sie keine Kenntnis von Menschenrechtsverbrechen haben – kontrolliert werden die Auskünfte aber kaum. Nach eigenen Angaben überprüfen die Vereinten Nationen mit wenigen Ausnahmen nur die obersten Befehlshaber und ihre Stellvertreter.

Ein UN-Sprecher schrieb DW, "Netra News" und der "Süddeutschen Zeitung", dass die große Mehrheit der Truppen gute Arbeit leiste und dass die UN nicht die Informationen oder Ressourcen habe, alle Truppen im Einsatz zu überprüfen.

Die Vereinten Nationen überließen es im Fall von Bangladesch "einer verbrecherischen Regierung, zu überprüfen, welche Offiziere Verbrechen begangen haben", empört sich Meenakshi Ganguly, stellvertretende Asien-Direktorin bei Human Rights Watch. Denn in Bangladesch bleiben die Taten von RAB weitgehend straflos: Es gebe, sagt Ganguly, "kein Interesse in Bangladesch, Menschen für Menschenrechtsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen".

UN fehlen die Truppen

Die UN - auch das ergeben die Recherchen von DW, "Netra News" und der "Süddeutschen Zeitung" -  sind sich des Problems durchaus bewusst. Doch sie stecken in einem Dilemma. 65.000 Blauhelme sind nach UN-Angaben derzeit im Einsatz in Ländern wie dem Südsudan, der Zentralafrikanischen Republik oder auch der Region Kaschmir.

Französische UN-Friedenstruppen im Südlibanon
Blauhelmsoldaten im Libanon Bild: IMAGO/ABACAPRESS

Während noch vor einigen Jahrzehnten Länder wie Finnland, Kanada oder Irland den Großteil der Truppen stellten, haben westliche Länder zuletzt immer weniger Soldaten entsandt. Regierungen müssten sich, so sagt es ein mit der Materie vertrauter Insider, bei Blauhelmeinsätzen immer fragen, ob sie bereit seien, einen gewissen Blutzoll zu zahlen: Kehrten Soldaten in Leichensäcken zurück, müsse man sich bald einem Untersuchungsausschuss stellen. Staaten wie Bangladesch hätten dieses Problem nicht, sagt er und spielt auf die schwierige Menschenrechtslage vor Ort an.

Manche Blauhelmsoldaten "ziemlich brutal"

Andrew Gilmour versucht daher auch gar nicht erst, die Situation zu beschönigen. "Offen gesagt" seien manche der Blauhelmsoldaten "ziemlich brutal", so formuliert es der ehemalige UN-Diplomat, der zuletzt stellvertretender Generalsekretär für Menschenrechte war und jetzt die Berghof Foundation in Berlin leitet. Die Stiftung setzt sich für Frieden weltweit ein. Mal seien es ganze Kontingente, mal einzelne Soldaten, die vor ihrem UN-Einsatz in Menschenrechtsverbrechen impliziert gewesen seien.

Gilmour nimmt seinen ehemaligen Arbeitgeber durchaus in Schutz. Die UN täten, was sie könnten, um Länder dazu zu bewegen, nur Soldaten auszuwählen, die keine Verbrechen begangen hätten, betont er mehrfach im Interview. 

Doch letztlich seien den Vereinten Nationen die Hände gebunden: Übe die Organisation zu viel Druck auf Länder aus, drohten diese, ihre Truppen gänzlich abzuziehen. Die Folge: Ganze Friedensmissionen stünden auf der Kippe. "Und dann sterben zehntausende Menschen", so Gilmour.

Dem widerspricht ein UN-Sprecher: Die UN verfügten über genug Truppen, und alle Drohungen, Truppen abzuziehen, würden lediglich begrenzte Auswirkungen haben.

Dabei gibt es durchaus Druck auf die Vereinten Nationen. Das zeigt das Beispiel von Sri Lanka. 2019 wurde in dem ehemaligen Bürgerkriegsland ein neuer Armeechef ernannt. Shavendra Silva hatte im Bürgerkrieg eine Division befehligt, die nach Angaben der UN massive Menschenrechtsverbrechen begangen hat. Nach einer Welle öffentlicher Empörung verkündeten die UN daraufhin, dass sie zukünftig keine Blauhelme aus Sri Lanka akzeptieren würden. Allerdings ließen sich die Vereinten Nationen eine Hintertür offen: Dort, wo "UN-Operationen einem ernsthaften operativen Risiko ausgesetzt würden", würde man Ausnahmen zulassen, wie es ein Sprecher formulierte.

Sri Lankas Armeechef General Shavendra Silva mit Blauhelmsoldaten
Shavendra Silva bei der Verabschiedung von Blauhelmsoldaten Bild: AFP

Von dieser Hintertür scheinen die UN großzügig Gebrauch gemacht zu haben. 2019 schickte Sri Lanka 687 Blauhelme auf UN-Missionen. 2020, und damit ein Jahr nach Silvas Ernennung, waren es 665 Blauhelme.

Letztlich, so sagt es ein westlicher Politiker, der mit UN-Vorgängen vertraut ist, interessiere sich niemand wirklich dafür, wen Bangladesch und andere wirklich auf Mission schicken: Man sei froh, überhaupt genügend Truppen für die oft gefährlichen Missionen zu finden.

Bangladesch plant sogar eine Ausweitung des UN-Einsatzes. Das UN-Hauptquartier habe Bangladesch beauftragt, eine koordinierende Rolle für ein Netzwerk von südasiatischen Truppenstellern zu übernehmen, erklärt ein General stolz. Das zeige, "wie sehr wir wertgeschätzt werden". 

Ein UN-Sprecher bestätigt, dass Bangladesch eine Rolle in dem Aufbau übernommen habe. Allerdings habe das UN-Sekretariat keinen Mitgliedstaat gebeten, als Koordinator zu fungieren und sei auch nicht in der Lage, dies zu tun. Zudem sei noch keine Entscheidung gefallen, wer die Koordination übernehmen werde.

Mehrere Anfragen an die Regierungen von Bangladesch und Sri Lanka sowie einzelne Offiziere blieben unbeantwortet.

 

 

Conrad Naomi Kommentarbild App
Naomi Conrad Investigativ-Reporterin@NaomiConrad
DW Bengali Arafatul Islam
Arafatul Islam Multimedia-Journalist mit den Schwerpunkten Bangladesch, Menschenrechte und Migration@arafatul
DW Birgitta Schülke, TV Schaltbild / Provisorisch
Birgitta Schülke Reporterin DW-Investigativ@BirSchuelke