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DW-Journalist zwischen den Fronten

Waslat Hasrat-Nazimi7. August 2014

Journalisten in Afghanistan leben gefährlich, wie nicht zuletzt der Tod der deutschen Anja Niedringhaus in Ostafghanistan gezeigt hat. Nun ist ein DW-Korrespondent zwischen die Fronten geraten.

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Zerak Zaheen, DW-Korrespondent in Afghanistan (Foto: DW)
Bild: privat

Zerak Zaheen kennt die Gegend wie seine Westentasche. Schließlich ist er in der Provinz Kunar im Osten Afghanistans zuhause. Jedes Mal wenn er sein Heim verlässt, um seiner Arbeit als Journalist nachzugehen, begibt er sich in Gefahr. In Kunar sind Kämpfe mit den Taliban nichts Ungewöhnliches.

Trotzdem ging der 23-jährige DW-Mitarbeiter Anfang August wie jeden Tag los, um zu berichten. Dieses Mal über den Bau einer neuen Schnellstraße. Die Baustelle war bald besichtigt, die Interviews waren schnell geführt. Noch ein paar Fotos und dann zurück nach Hause, um den Beitrag zu schreiben.

Straßensperre der Taliban

Doch zuhause soll Zerak Zaheen so schnell nicht ankommen. In einer abgelegenen Gegend stoppen mehr als zehn Männer den weißen Toyota Corolla. Sie fragen Zaheen und den Fahrer nach ihren Papieren. Weil er nur einen Journalistenausweis vorzeigen kann, fordern die bärtigen Taliban-Kämpfer den Journalisten auf, sofort auszusteigen. Den Fahrer samt Auto schicken sie weg. "Sie bedrohten mich und warfen mir vor, ich sei ein Spion", so Zaheen.

Zaheen erinnert sich an die die dramatischen Schilderungen seiner Kollegen: Stundenlange Verhöre, Schläge und Schlimmeres. "Ich habe natürlich immer befürchtet, dass es mich eines Tages erwischen könnte. Weil ich aber hauptsächlich neutrale Themen im Bereich Wiederaufbau behandle, hatte ich gehofft, heil davonzukommen."

Ein Journalist demonstriert in Herat gegen Einschränkungen der Pressefreiheit (Foto: Hooshang Hashemi/DW)
Immer wieder in Gefahr: die Pressefreiheit in AfghanistanBild: DW

Die Kämpfer sprechen einen merkwürdigen Dialekt. Das, was er versteht, versetzt ihn in Panik. Fast schon gelangweilt diskutieren sie, ihn einfach umzubringen. Doch der Anführer der Gruppe will erst mal Fragen stellen und die Ausrüstung untersuchen. Dabei gibt es auf dem Laptop einige Dateien, die Zaheen nicht öffnen kann. Die Taliban werden misstrauisch und schlagen ihn.

Am Ende hat Zaheen Glück: Er kann die Taliban überzeugen, dass er nicht für die Amerikaner spioniert und tatsächlich Journalist ist. Er darf gehen. Das Equipment behalten sie. Zaheen läuft zum nächsten Polizei-Checkpoint. Dort bekommt er Hilfe. Zuhause fällt er erschöpft ins Bett.

Druck von allen Seiten

Der nächste Tag bringt eine weitere Überraschung. Diesmal steht der afghanische Geheimdienst vor der Tür. Warum die Taliban ihn freigelassen hätten, wollen sie wissen. Er würde mit den Kämpfern unter einer Decke stecken, sonst hätten sie ihn getötet, werfen ihm die Geheimdienstler vor. Es folgen stundenlange Verhöre. "Man wird von allen Seiten unter Generalverdacht gestellt. Weil man Journalist ist, wird man als Lügner oder Spion verdächtigt", klagt Zaheen.

Ein afghanischer Polizist (Foto: AFP/Shah Marai)
Die Geheimpolizei verhört den DW-Korrespondenten stundenlangBild: Getty Images/Afp/Shah Marai

"Es sind nicht nur die Taliban, die einen terrorisieren. Auch die Regierung setzt Journalisten unter Druck", erklärt Sayed Abdullah Nizami, ebenfalls DW-Mitarbeiter. "Dann gibt es noch die Mafia und Warlords." Nizami zufolge würden Journalisten sogar von NATO-Truppen bedroht. Nizami, der auch für die BBC und Al Jazeera arbeitet, ist schon seit mehr als zehn Jahren Journalist. Für ihn gehören Festnahmen und Verhöre fast schon zum Alltag. "Besonders verstörend war für mich, als mich ausländische Truppen 2011 für zwei Tage einsperrten", so Nizami. Bei einem Angriff der NATO waren dutzende Zivilisten ums Leben gekommen. Als er hinfuhr, um zu berichten, wurde er festgenommen. Ganze zwei Tage blieb er in Haft, bevor Präsident Hamid Karzai für ihn bürgte und er entlassen wurde. "Trotzdem löschten sie mein ganzes Bildmaterial", sagt Nizami.

Gewalt gegen Journalisten

Für Zaheen und Nizami ist es bisher glimpflich ausgegangen. Die Zahl der Übergriffe und Morde steigt aber. "Seit Beginn 2014 gab es 60 Gewaltfälle gegen Journalisten", sagt Sediqullah Tawhidi, Vorsitzender der Medienorganisation Nai Media Watch. Die Dunkelziffer wird höher geschätzt. "Bisher wurden jedes Jahr etwa drei Journalisten getötet. Dieses Jahr sind es bereits sechs Tote."

Foto der in Afghanistan getöteten Anja Niedringhaus (Archivbild: Peter Dejong/dpa)
Kriegsfotografin Anja Niedringhaus wurde Anfang April in Afghanistan getötetBild: picture-alliance/AP Photo

Fortschritte bei der Pressefreiheit gelten als einer der wenigen Erfolge der Regierung Karzai. Dennoch werde für den Schutz von Journalisten nur wenig getan, kritisiert Tawhidi: "Das Ministerium für Information und Kultur ist seiner Verantwortung gegenüber den Journalisten nicht nachgekommen." Zwar würden Gewaltfälle registriert, aber nur selten weiter verfolgt. Eine Ausnahme: Vor einigen Tagen stand der Mörder von Anja Niedringhaus vor Gericht.

Rigorose Zensur unter den Taliban

Die Taliban sind dafür bekannt, rigoros gegen Medien vorzugehen. Während ihrer fünfjährigen Schreckensherrschaft bis 2001 wurde der Besitz eines Fernsehers oder das Hören ausländischer Radiosender streng bestraft. Viele Afghanen haben die dunklen Jahre ohne Information oder Unterhaltung nicht vergessen. "Ich bin Journalist geworden, weil mich diese Zeit so geprägt hat", sagt Zaheen. "Wir hatten keinerlei Möglichkeiten, Nachrichten zu hören oder zu erfahren, was in Afghanistan los ist, geschweige denn im Rest der Welt. Mich begeistert der Beruf und ich werde ihn weiter ausüben."