Der Osterhase als Massensymbol
24. April 2011Gunther Hirschfelder ist Brauchtumsforscher und Professor für Kulturwissenschaften an der Uni Regensburg.
DW-WORLD.DE: Herr Professor Hirschfelder, haben Sie selbst Ostereier gefärbt oder kaufen Sie die fertig produzierten im Supermarkt?
Gunther Hirschfelder: Fertig produzierte Eier zu kaufen, ist immer mit Fallstricken behaftet. Die fertigen Eier entfremden uns ja vom Brauch, hat man früher gesagt, von der Interaktion, sagt man heute. Ostern, da gehört das Selbermachen schon mit dazu. Und das Ei ist in vielen Religionen und eben auch im Christentum Symbol des Lebens und Symbol der Auferstehung. Und jeder, der einmal ein Küken hat schlüpfen sehen, dem offenbart sich diese Logik ganz unmittelbar. Und insofern spielt auch im ältesten und wichtigsten christlichen Fest überhaupt das Ei schon seit dem 3. Jahrhundert eine gewisse Rolle - und heute eine ganz zentrale Rolle. Neben dem Ei hat sich seit dem 14. Jahrhundert möglicherweise, sicher aber seit dem 16. Jahrhundert, ein ganz seltsames Ding etabliert. Das ist der Osterhase.
Kulturprägende Kraft
Wir haben einmal in der biblischen Überlieferung, in den Evangelien, eine Situation bei den Fastengeboten, das da von einem Tier berichtet wird, das eben zum Fasten dazu gehört. Das ist der Klippschliefer. Der ist aber in einer Falschübersetzung durch Augustinus eben zum Hasen geworden. Den Klippschliefer gibt es aber im europäischen Raum gar nicht, sondern im vorderasiatischen Raum und vor allem in Südafrika. Er ist eigentlich mit dem Elefanten verwandt, hat aber Ähnlichkeit mit einem Häschen. - Der Osterhase ist dann, durch diese Fehlübersetzung der Spätantike, hereingerutscht in das kirchliche Denkgebäude und ist ein Stück weit zum Auferstehungssymbol geworden, und eigentlich erst im grandiosen Aufschwung der Schokoladen-Industrie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Osterhase zum Massensymbol geworden.
Und auch hier zeigt sich wieder die kulturprägende Kraft von Industrie und Handel. Wir haben die ersten Formen des Osterhasen, die im 19. Jahrhundert mit deutschen Auswanderern Europa verlassen haben. Daran merkt man schon, der Osterhase ist eigentlich Deutscher. Er ist heute ein weltweites Ostersymbol und ist vielleicht sogar dabei, das Osterei zu überholen. Der Osterhase wird international am stärksten als österliches europäisch-christlich-abendländisches Symbol wahrgenommen.
Sieben Wochen ohne
Für viele bedeutet Ostern Freizeit, Konsum, Geschenke. Das Ostereiersuchen gehört dazu, der Osterhase auch. Was bedeutet Ostern für Sie?
Einmal bin ich Kulturwissenschaftler. Da bedeutet Ostern für mich ein fantastisches Betätigungsfeld, ein Indikator für die Analyse kultureller Prozesse und ein Zeichen dafür, wie sich Alltagskultur und spirituelle Kultur, wie sich geistige Kultur heute verändern und wie Globalisierung funktioniert. Auf der anderen Seite bin ich Demokrat und auch Christ. Da hat Ostern eine ganz andere Bedeutung. Da bin ich betroffen. Da schaue ich nicht nur analytisch hin, da versuche ich mitzumachen. Ostern bedeutet für mich als Protestant erstmal eine Zeit, wahrzunehmen und zu nutzen, um nachzudenken. Wo man in sich gehen kann, wo man ein Stück weit versucht, sein Leben und Tun zu reflektieren.
Und das funktioniert besonders gut, wenn man an dieser Aktion der evangelischen Kirche mitmacht - "Sieben Wochen ohne", wenn man also die Fastenzeit einhält und auf manche Dinge verzichtet.
Warum wir fasten
Man hat aber den Eindruck, beim Fasten und beim Verzicht komme es den meisten Menschen nicht mehr auf die spirituelle Erfahrung an, sondern es gehe eher darum, Körpergewicht zu verlieren, oder?
Wenn man sich die Fastenpraxis in Deutschland anschaut, dann sehen wir einen großen Wandel innerhalb der letzten Jahre. Wir können diesen Wandel festmachen seit der Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bis dahin war Deutschland ein Land, das durch und durch christlich geprägt war. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Leute alle streng gläubig waren, aber das Christentum, die Liturgie, der Volksbrauch und die Volksfrömmigkeit haben das Alltagsleben und das Denken der Menschen fundamental und allumfassend geprägt. Und seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben wir einen grandiosen Erosionsprozess, der dazu geführt hat, dass wir heute eine Entchristlichung unserer Gesellschaft haben. Wir arbeiten viel mit christlichen Symbolen, aber die Dinge, die Fastenpraxis etwa, sind aus ihrem Kontext herausgelöst. Das heißt, wir fasten als Gesellschaft, um Körperstyling zu betreiben und nicht, weil wir mit dem Fasten Jesu in der Wüste 40 Tage lang folgen.
Eine ganze Reihe von Gründen
Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ipsos zufolge geht nur noch jeder dritte in Westdeutschland Befragte Ostern in die Kirche, in Ostdeutschland sogar nur jeder Zehnte. Ist das für Sie als gläubiger Mensch erschreckend?
Ich bezweifle, dass überhaupt jeder Dritte Ostern die Kirche besucht. Ich beobachte die Szene seit vielen Jahren und besuche wechselweise Gottesdienste, auch aus wissenschaftlichem Interesse. Die Zahlen dürften noch niedriger liegen. Das wundert mich nicht und hat eine ganze Reihe von Gründen. Wir müssen, wenn wir den Kirchbesuch zu Ostern reflektieren, zunächst einmal bedenken, dass Ostern das mit Abstand höchste christliche Fest ist. Vielen Menschen ist aber die Tatsache, dass da ein gewisser Jesus am Kreuz gestorben sein soll und dann auch noch auferstanden ist, so absurd, dass sie sagen: das ist Mummenschanz. Ostern bedeutet für uns, einen Ausflug machen, möglicherweise in die nächste Shoppingmall oder in ein Outlet hinter der Grenze (in den Niederlanden), was dann auch Ostermontag offen hat.
Wie begeht denn ein Christ die Osterwoche vom Palmsonntag bis zum Ostermontag?
Wir erinnern uns genau an die letzte Lebenswoche von Jesus, wo er am Palmsonntag auf einem Esel in Jerusalem eingeritten ist, wo er begrüßt worden ist mit Palmwedeln als der König der Juden. Wo wir dann das Wirken von Jesus in Jerusalem haben, wo wir den Prozess gegen Jesus haben mit der Verurteilung zum Tod und am Karfreitag den Kreuzestod Jesu Christi. Nach unseren Überlegungen und unseren abendländischen Interpretationen ist Jesus am Nachmittag, um drei Uhr, am Kreuz gestorben. Nach seiner Hinrichtung ist die stillste Stunde des Jahres. Das ist Ruhe, da darf man eigentlich gar nichts tun. Heute ist das ein Stück weit anders.
Eine riesige Bandbreite
Am Karsamstag nimmt sich die Osterzeit eine Auszeit. In der Vormoderne und auch im 20. Jahrhundert verbreitet, hat man am Karsamstag den Frühjahrs- oder Osterputz gemacht, um bereit zu sein für das höchste der Feste, für den Ostersonntag. Es gibt dann die große Liturgie in der katholischen Kirche am Ostersamstagabend, da beginnt die Osternacht, und wir haben am Ostersonntag mit dem Ostergottesdienst den Beginn des eigentlichen Osterfestes und das Ende der Fastenzeit, weil in der Vormoderne die Menschen ihre Speisen, die sie in der Fastenzeit nicht essen durften, mit in den Gottesdienst gebracht haben. Da sind diese Dinge dann geweiht und gesegnet worden, und zu Hause hat man sie gegessen. Und wir haben eine riesige Bandbreite an Osterbräuchen, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts allerdings reduziert haben.
Das Interview führte Karin Jäger
Redaktion: Hartmut Lüning