Deutschland treibt Abrüstung in Libyen voran
22. Mai 2013Sie sind auch zwei Jahre nach der Revolution in Libyen allgegenwärtig: Männer in paramilitärischer Kleidung mit Sturmgewehren und zivile Pickups mit montierten Geschützen. Sie sind deutliches Zeichen dafür, dass die Macht in dem nordafrikanischen Land in vielen Händen liegt und damit auch die Kontrolle über Waffen.
Niemand weiß, wie viele Gewehre, Geschütze, Raketen oder Minen in Libyen überhaupt vorhanden sind. Fest steht aber, dass der Sturz des Regimes des libyschen Diktators Mummar al-Gaddafi die Zahl der Waffen außerhalb staatlicher Kontrolle nach oben schnellen ließ. Viele der Gewehre oder Mörser mit zugehöriger Munition gelangten auf Schmuggelrouten an algerische Islamisten, malische Aufständische oder syrische Rebellen. Und das Gaddafi-Arsenal ist noch lange nicht erschöpft.
Um zu verhindern, dass noch mehr Waffen aus Libyen in falsche Hände geraten, unterstützt das Auswärtige Amt zahlreiche Projekte in dem nordafrikanischen Land. Mit Geld, Wissen und Ausrüstung aus Deutschland soll die neue libysche Regierung die Kontrolle über Waffendepots und Munition gewinnen.
"Wir versuchen, dieses Land in der Postkonfliktsituation zu unterstützen und zu verhindern, dass weitere Waffen in die Nachbarstaaten kommen und dort Unheil anrichten", sagte der Abrüstungsbeauftragte der Bundesregierung, Rolf Nikel, der DW. Deshalb sei er bereits im Frühjahr 2011 nach Libyen gereist und habe dort Gespräche geführt. Dabei sei es auch um Kleinwaffen gegangen. Deutschland habe beim Aufbau einer libyschen Behörde zur Kontrolle dieser Waffen finanziell mitgeholfen, so Botschafter Nikel.
Das Auswärtige Amt gibt auch Geld an Hilfsorganisationen, die sich auf Munitions- und Waffenbeseitigung spezialisiert haben. Ein Empfänger ist die 1995 im niedersächischen Munster gegründete "Stiftung Sankt Barbara". Sie räumt in Libyen Minenfelder, vergessene Munition und Blindgänger - auch aus Bombardements der NATO auf Gaddafi-treue Truppen.
Dem Stiftungsvorsitzenden, Klaus Koehler, bereiten vor allem die vielen Waffenlager in Libyen große Sorgen: "Ich gehe davon aus, dass ungefähr 440 Depots bekannt sind." In einem lagern nach seinen Worten beispielsweise 3000 fabrikneue Raketen mit einer Reichweite von geschätzten 70 bis 230 Kilometern. Koehler warnt, dass solche Funde auch ins Ausland, zum Beispiel nach Syrien, verkauft werden. "Es wird in Libyen niemand Geld aufwenden, um etwas zu vernichten, wofür er einen hohen Erlös im Ausland bekommt."
Starke Milizen schwächen Libyens Regierung
Der libysche Journalist Essam Zuber sieht im Waffenschmuggel ein heikles Problem für die Regierung seines Landes. Starke Milizen und herrenlose Waffen schrecken nach seiner Einschätzung Investoren ab, was den Aufbau Libyens verzögert. Trotzdem gebe es bis jetzt kein Regierungsprogramm, um dieses Problem einzudämmen. "Die Regierung hat nicht mal versucht, die Waffen gegen Geld zu sammeln", berichtet Zuber, der unter anderem für die Deutsche Welle arbeitet.
Angst vor Flugabwehrraketen
Einige Waffen sind zudem eine Bedrohung weit über Libyen hinaus. Sorgen bereiten insbesondere Flugabwehrraketen, die von der Schulter abgefeuert werden. "Sie gefährden den zivilen Luftverkehr und wir müssen sicherstellen, dass diese sogenannten Manpads vernichtet werden", erklärt der deutsche Abrüstungsbeauftragte Nikel. Das Auswärtige Amt habe in Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort auch mit dazu beigetragen, dass diese Waffen unter Kontrolle gebracht werden können.
Journalist Zuber widerspricht zwar nicht, relativiert aber die Bilanz: "Die Menschen in Libyen wissen nichts über das deutsche Engagement zur Kontrolle von Waffen." Er wünscht sich mehr Öffentlichkeitsarbeit in Libyen: "Es muss klar werden, dass deutsche Experten dem libyschen Volk bei der Entwaffnung und Minenräumung helfen."
Schwerter zu Pflugscharen
Stiftungschef Koehler will dabei helfen und sieht noch viel Potenzial für das deutsche Engagement im Land. Er will mit längerfristigen Finanzierungen Projekte anstoßen, um die sprichwörtlichen Schwerter zu Pflugscharen werden zu lassen. Sein konkretes Beispiel: Vor einigen Monaten sei ein Lager mit etwa fünf Millionen Anti-Personen-Minen entdeckt worden, was rein rechnerisch 2200 Tonnen Sprengstoff entspreche. "Das sollte vor Ort gesprengt werden. Das ist natürlich selbst in einem Land, in dem riesige Wüsten existierten, eine Umweltsauerei." Koehler schlägt stattdessen vor, solche Funde zu recyceln. "Man könnte den Sprengstoff zurückgewinnen, ihn verarbeiten und ihn zu einem Sprengstoff machen, der in der Ölindustrie oder beim Straßenbau seine Anwendung findet."