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Ein grundsolider Abstiegskandidat

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
22. September 2016

Phänomen FC Schalke: Eigentlich ein ehrlicher Arbeiterverein, brachte er sich jahrelang durch Allüren und Eitelkeiten um Erfolge. Nun wird es schlimmer - ausgerechnet durch die Rückkehr zur Solidität, meint Joscha Weber.

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Fußball Bundesliga FC Schalke 04 - 1. FC Köln
Königsblaue Ratlosigkeit: Statt einem Neuanfang schliddert der Verein in die Krise.Bild: picture alliance/dpa/R. Vennenbernd

Was für eine Szene: 83. Minute in der Schalke-Arena. Die Hausherren müssten eigentlich mit Mann und Maus anrennen, sie liegen mit 1:2 zurück. Das Gegenteil ist der Fall. Gegner Köln darf sich den Ball zuschieben, Königsblau sieht gedankenabwesend zu. Die ersten Zuschauer verlassen die Ränge, glauben schon nicht mehr an ihre Mannschaft, als würden sie es ahnen. Plötzlich steht der 18-jährige Kölner Özcan im Strafraum von S04 und hat keinen geringeren als das 34-jährige Abwehrass Naldo vor sich. Ein Bundesliga-Debütant gegen einen ehemaligen brasilianischen Nationalverteidiger. Doch der etwas schwerfällig gewordene Naldo fällt einfach um, lässt seinen Gegner kampflos passieren, der passt auf Teamkollege Simon Zoller und der staubt zum 3:1 ab. Die nächste Schalker Pleite ist besiegelt.

Vier Spiele, vier Niederlagen, acht Gegentore, gerade einmal ein einziges haben sie selbst erzielt. So schlecht startete Schalke noch nie. Die Bilanz des vielbeschworenen Neuanfangs auf Schalke ist vernichtend und das hat Gründe. Mit Manager beziehungsweise Sportvorstand Christian Heidel und Trainer Markus Weinzierl verordnete sich der ebenso skandalerprobte wie geltungsbedürftige Verein im Sommer an den beiden Schlüsselpositionen des Vereins personelle Solidität. Dem einen eilt der Ruf des klugen und weitsichtigen Einkäufers und Lenkers voraus, dem anderen der des unaufgeregten und stillen Machers an der Seitenlinie. Genau das wollte man auf Schalke. Nach lauten, bewegten und kostspieligen Jahren ohne den durchschlagenden Erfolg will man im Ruhrgebiet auf Stabilität setzen und auf eine sportliche Leitung mit Konzept.

Hertha BSC Berlin - FC Schalke 04 Trainer Weinzierl (Copyright: Imago/sportfotodienst)
Weiter so: Schalke-Trainer Weinzierl hält an seinem System fest - ein Fehler?Bild: Imago/sportfotodienst

Der Schalker Neuanfang scheint schon wieder beendet

Dies scheint schon jetzt gescheitert. Denn vor lauter Solidität vergisst man im Weinzierl-System das Wichtigste: Fußball zu spielen. Das Spiel verlangt zum Beispiel Mut: Im Spiel nach vorne geht nichts ohne Wagnisse und den Glauben an sich selbst. Schalke zeigt vor dem Tor des Gegners eigentlich nur Zaudern, Zögern und Zurückhaltung. Der Inbegriff der königsblauen Harmlosigkeit: Sturm-Oldie Klaas-Jan Huntelaar, inzwischen ein Torjäger außer Dienst. Ja, gegen Köln machte er etwas glücklich das Führungstor, doch außer dieser Szene brachte es der Niederländer in dieser Saison noch zu gar nichts. Der "Hunter" wirkt des Jagens müde. Die Sturmalternative, das Schweizer Juwel Breel Embolo, der mit 20 Millionen Euro Ablöse der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte, schmort meistens auf der Bank. Bloß nichts riskieren, scheint Weinzierls Devise.

Doch damit riskiert er gerade seinen Job. Noch schwadroniert sein Vorgesetzter Christian Heidel von geteilter Verantwortung und "einem Boot", in dem alle auf Schalke säßen. Die Logiken des Geschäfts sprechen dagegen. Wenn Weinzierl nichts ändert, ist es bald vorbei mit dem verbalen Rückhalt. Von der Aufbruchsstimmung ist beim Ruhrpottklub nichts mehr übrig. Die Fans sind hör- und sichtbar verärgert. Krisenstimmung auf Schalke.

Joscha Weber (Foto: DW)
"Mit der Devise 'bloß nichts riskieren' gerät Schalke immer tiefer in die Krise", meint DW-Sportredakteur Joscha Weber.

Weiter so?

Man sei in einer "Findungsphase", so Heidel, doch das Problem ist: Weinzierl findet keine Lösung. Er klammert sich an Zahlen, wie die 118 Kilometer, die sein Team gegen Köln gelaufen sei. Das nutzt aber gar nichts, wenn man nur hinterherläuft. Sein System einer intelligenten Raumdeckung wirkt gegen Köln wie eine Farce. Reihenweise stehen die Schalker vier, fünf Meter weit weg von ihren Kölner Gegenspielern, so zum Beispiel beim 2:1 für den FC durch Anthony Modeste. Es scheint, als vergessen die Spieler auf Schalke derzeit vor lauter taktischer Disziplin die Grundregeln des Spiels. Die verordnete Solidität ist zu einem echten Problem auf Schalke geworden, die Mannschaft spielt wie ein Abstiegskandidat. Wer nun denkt, die vierte Pleite in Folge wäre so langsam eine Lehre, sieht sich getäuscht: "Wir werden genau so weiterarbeiten", verspricht Markus Weinzierl trotzig. Na das kann ja heiter werden auf Schalke.

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