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Ein Jahr #MeToo

15. Oktober 2018

Im Oktober 2017 warfen Frauen dem Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein sexuellen Missbrauch vor. Seitdem ist aus dem Hashtag eine weltweite Bewegung geworden, die etliche Prominente zu Fall gebracht hat.

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#metoo Protest Schriftzug
Bild: picture-alliance/NurPhoto/M. Fludra

Am 5. Oktober 2017 erscheint in der "New York Times" ein Artikel, der dem Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein sexuelle Belästigung vorwirft. Zehn Tage später, am 15. Oktober 2017, twittert die US-amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano diese Sätze:

Und Zehntausende folgen ihr. Anlass für den Hashtag #MeToo sind die erschütternden Nachrichten aus Hollywood ein paar Tage zuvor. Milanos Kolleginnen - auch berühmte - haben ausgepackt: über Dinge, die Jahre, jahrzehntelang im Verborgenen geschehen sein sollen. Demnach hat der mächtige Produzent Harvey Weinstein Schauspielerinnen sexuell genötigt und missbraucht. Viele Karrieren waren für die Frauen offenbar erst dann möglich, wenn sie Weinstein gefällig waren. Weinstein wurde mittlerweile aus Hollywood verbannt und steht unter Anklage. Er plädiert auf nicht schuldig.

Harvey Weinstein
Harvey Weinstein muss sich wegen sexuellen Missbrauchs verantwortenBild: Getty Images/AFP/E. Munoz Alvarez

Ganz Hollywood wusste davon - hatte jedoch geflissentlich darüber hinweg gesehen. Ein Mechanismus, der überall auf der Welt in solchen Fällen griff.

Doch nun meldeten sich weltweit Frauen und Männer unter #MeToo zu Wort. Schon am ersten Tag wird der Hashtag auf Twitter 200.000 Mal verwendet. Am nächsten Tag sind es schon mehr als eine halbe Million. User schildern in wenigen Worten, was ihnen widerfahren ist. Allein zu Alyssa Milanos Post kommen Antworten, die selbst - oder gerade - in ihrer Kürze schockieren: "Ich war neun…".

Die Opfer schreiben von Großvätern, Stiefvätern, Chefs, Nachbarn. Und dass der Schmerz auch nach Jahren nicht vergeht. #MeToo trendet in mehr als 85 Ländern und bekommt Ableger in anderen Sprachen. Auch aus der Musikindustrie, der Wirtschaft und der Politik melden sich Betroffene. Namen wie George H. W. Bush, Bill Clinton und Donald Trump fallen, aber auch in anderen Ländern werden hochrangige Politiker beschuldigt.

Hier nur eine Auswahl der Ereignisse, die dank #MeToo in den vergangenen zwölf Monaten Schlagzeilen machten.

EU-Abgeordnete Terry Reintke fordert eine Untersuchung von Missbrauchsvorwürfen
EU-Abgeordnete Terry Reintke fordert eine Untersuchung von Missbrauchsvorwürfen Bild: Reuters/C. Hartmann

24. Oktober 2017: 

Der Skandal erreicht die Modebranche. Der Condé Nast-Verlag, der die Modemagazine "Vogue", "Vanity Fair", "GQ" und "Glamour" veröffentlicht, verkündet, dass er ab sofort den prominenten US-amerikanischen Modefotografen Terry Richardson nicht mehr beschäftigen wolle, dem immer wieder sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden. Im Januar 2018 trifft es seine Kollegen Bruce Weber und Mario Testino. Auch sie dürfen nicht mehr für "Vogue" arbeiten. 

25. Oktober 2017:

Die grüne Europa-Politikerin Terry Reintke hatte bereits im September offen vor dem Europaparlament in Brüssel geschildert, wie sie in Duisburg Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden war. Im Zuge der #MeToo -Debatte macht das EU-Parlament die Vorfälle im eigenen Haus zum Thema. Es verabschiedet eine Resolution: Fälle von Belästigung und Übergriffen sollen untersucht, aufgeklärt und sanktioniert werden.

29. Oktober 2017:

Der Schauspieler Anthony Rapp behauptet im Medienportal "Buzzfeed", Kevin Spacey, Star der Netflix-Serie "House of Cards", habe ihn 1986 sexuell bedrängt. Rapp war damals 14 Jahre alt. Spacey erwidert auf Twitter, er könne sich daran nicht erinnern, bittet um Entschuldigung und outet sich gleichzeitig als schwul. Netflix dreht "House of Cards" ohne ihn zu Ende; im bereits abgedrehten Blockbuster "Alles Geld der Welt" wird er ersetzt: Regisseur Ridley Scott dreht die Szenen mit Christopher Plummer nach. Immer mehr Männer beschuldigen den Schauspieler der sexuellen Belästigung, darunter 20 Mitarbeiter des Londoner "Old Vic"-Theaters, das Spacey geleitet hatte. Der verkündet, er wolle sich in therapeutische Behandlung geben - und taucht bis heute komplett ab. 

Regisseur schneidet Spacey-Szenen aus Film "All The Money in the World"
Kevin Spacey (links) wurde in "All the Monbey in the World" von Christopher Plummer (rechts) ersetztBild: picture-alliance/AP Photo

1. November 2017:

Die Autorin Anna Graham Hunter wirft Hollywood-Ikone Dustin Hoffman in einem Essay im Branchenblatt "Hollywood Reporter" vor, sie als 17-jährige Praktikantin am Set von "Tod eines Handlungsreisenden" 1985 sexuell belästigt zu haben. Der Oscar-Preisträger bittet öffentlich um Entschuldigung. In den folgenden Wochen schildern sechs weitere Frauen ähnlichen Vorfälle aus den 70er- und 80er-Jahren. Hoffmans Anwalt spricht von "verleumderischen Lügen."

Der britische Verteidigungsminister Michael Fallon tritt zurück. Er soll laut einem Bericht des "Guardian" im Jahr 2002 bei einem Dinner der Journalistin Julia Hartley-Brewer mehrfach ans Knie gefasst haben.

Frauen beim Survivors' March tragen ein Transparent in Los Angele
Frauen beim Survivor's March demonstrieren in Los AngelesBild: picture-alliance/NurPhoto/R. Tivony

12. November 2017:

Mehrere hundert Frauen, Männer und Kinder versammeln sich in Hollywood zum "MeToo Survivors' March". Sie laufen über den Hollywood-Boulevard und protestieren mit Schildern und Spruchbändern gegen sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung. Der Weg führt die Demonstranten über den "Walk of Fame" mit den Sternen der Hollywoodstars, unter ihnen auch die Namen derer, die beschuldigt werden.

24. November 2017:

Schwedens ehrwürdige Akademie, die alljährlich den Literaturnobelpreis vergibt, wird von einem Skandal erschüttert. Ein der Institution nahestehendes Kulturinstitut wird von einem Mann geleitet, dem 18 Frauen sexuelle Übergriffe zur Last legen. Zunächst wird der Name geheim gehalten, später sickert durch, dass es sich um den französischen Fotografen Jean-Claude Arnault handelt. Arnault ist der Ehemann eines langjährigen Mitglieds der Akademie.

1. Dezember 2017:

In der deutschsprachigen Schweiz wird #MeToo zum Wort des Jahres gekürt. Die Jury begründet ihre Wahl so: "Das Wort wirkt 2017 wie kein zweites. Es zeigt an, es zieht lange Verdrängtes ins Licht, es schließt soziale Medien und öffentlichen Diskurs kurz."

6. Dezember 2017:

Das US-amerikanische Wochenmagazin "Time" kürt wie jedes Jahr die Person des Jahres 2017. Diesmal ist es die #MeToo-Bewegung mit ihren berühmtesten Vertreterinnen: etwa die Schauspielerin Ashley Judd oder Pop-Superstar Taylor Swift.

17. Dezember 2017:

Die japanische Bloggerin Hachu benutzt als erste Japanerin in einem öffentlichen Beitrag den Hashtag #MeToo auf "Buzzfeed". Sie berichtete von sexuellen Übergriffen in dem Werbenetzwerk Dentsu, für das sie tätig ist. 70.000 Tweets hagelt es. Doch dann erhält Hachu über die sozialen Netzwerke so viele Drohungen und Verleumdungen, dass sie sich seither von #MeToo distanziert hat. Zuvor hatte die Autorin und Journalistin Shiori Ito in ihrem Buch "Black Box" ihre Vergewaltigung durch einen angesehen Journalisten beschrieben, was in Japan einem Tabubruch gleichkommt. 

1. Januar 2018:

Mehr als 300 Frauen aus der US-amerikanischen Filmszene gründen die Initiative "Time's Up" gegen sexuelle Belästigung, darunter Hollywood-Stars wie Meryl Streep, Nicole Kidman, Julienne Moore, Salma Hayek, Scarlett Johansson, Jennifer Lawrence, Susan Sarandon, Uma Thurman und Cate Blanchett. "Time's Up" soll vor allem geringverdienenden Frauen finanziell ermöglichen, juristisch gegen ihre Peiniger vorzugehen.

Deutschland Dieter Wedel
Beschuldigt: Regisseur Dieter Wedel Bild: picture alliance/dpa/U. Zucchi

3. Januar 2018:

Nun trifft es den ersten deutschen Prominenten: Schauspielerinnen und frühere Mitarbeiter werfen dem Regisseur Dieter Wedel gewalttätige und sexuelle Übergriffe in den 1990er Jahren vor. Wedel, der damals für sehr erfolgreiche deutsche TV-Filme und -Serien verantwortlich war, war bekannt für sein hartes Regime am Set. Nun erzählen mehrere Schauspielerinnen von unschönen Szenen in Hotelzimmern, von Nötigung bis hin zur Vergewaltigung. Wedel selbst streitet alles ab und setzt sich juristisch zur Wehr.

6. Januar 2018:

In Los Angeles werden die Golden Globes vergeben. Es sind neben dem Oscar die wichtigsten Preise der US-Filmindustrie. Fast alle Gäste erscheinen in Schwarz, als Zeichen der Solidarität mit der #MeToo-Bewegung und den Opfern von sexueller Gewalt. Fernsehmoderatorin Oprah Winfrey hält eine flammende Rede und begeistert damit das Publikum und die Fernsehzuschauer so sehr, dass viele sie gerne als Kandidatin für die nächste Präsidentschaftswahl in den USA sehen würden.

9. Januar 2018:

Die französische Schauspielerin Catherine Deneuve und rund 100 weitere prominente Frauen veröffentlichen in der französischen Zeitung "Le Monde" einen Brief, in dem sie die "Denunziations-Kampagne" gegen Männer scharf kritisieren. "Vergewaltigung ist ein Verbrechen, aber zu versuchen, jemanden zu verführen, selbst hartnäckig, ist es nicht", heißt es in dem offenen Brief.

Schauspielerin  Catherine Deneuve
Die Französin Cathérine Deneuve äußert Kritik an der #MeToo-BewegungBild: picture-alliance/dpa/abaca/A. Marchal

26. April 2018:

Der US-Entertainer Bill Cosby wird in seinem Prozess wegen sexueller Nötigung schuldig gesprochen. Der einstige Comedy-Star musste sich wegen eines Falls aus dem Jahr 2004 verantworten. Cosby wird von 60 Frauen des sexuellen Missbrauchs bezichtigt. Allerdings sind die meisten Fälle verjährt. Der Komiker war in den 80er- und 90er-Jahren in seiner Rolle als gutmütiger Arzt und Familienvater in der "Cosby Show" einer der beliebtesten TV-Stars der USA. Am 25. September wird er zu einer Haftstrafe von mindestens drei und höchstens zehn Jahren verurteilt. Damit ist er der erste Prominente, der seit Beginn der #MeToo-Debatte 2017 zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

27. Juli 2018:

Das Magazin "The New Yorker" veröffentlicht einen ersten Artikel, der von sexuellen Übergriffen des Chefs des größten US-Fernsehsenders CBS, Leslie Moonves, berichtet. Sechs Frauen werfen Moonves sexuelle Belästigung vor. Ein zweiter Artikel, in dem sechs weitere Frauen Vorwürfe erheben, folgt. Sie beziehen sich auf den Zeitraum 1980 bis Anfang des Jahrtausends. Am 10. September nimmt Moonves seinen Hut, behauptet aber, der Sex sei einvernehmlich gewesen.

Leslie Moonves
Leslie Moonves von CBS hat inzwischen seinen Job verlorenBild: Reuters/L. Nicholson

20. August 2018:

Die "New York Times" berichtet, dass die italienische Schauspielerin Asia Argento, die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Harvey Weinstein erhoben hatte, ihrerseits im Jahr 2013 dem damals minderjährigen Kollegen Jimmy Bennett verführt haben soll.  Das Blatt beruft sich auf anonyme Quellen sowie Dokumente der Anwälte beider Seiten. Die Schauspielerin behauptet, die Initiative sei von Bennett ausgegangen.

27. August 2018:

Eine Schauspielerin erhebt Vorwürfe gegen den französischen Charakterdarsteller Gérard Depardieu. Er soll sie vergewaltigt haben. Depardieu weist die Anschuldigungen "erschüttert" zurück.

13. September 2018:

Ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Antwerpener Tanzkompanie Troubleyn veröffentlichen einen Offenen Brief, in dem sie Leiter Jan Fabre sexuellen Missbrauch vorwerfen. "Kein Sex, kein Solo", habe es in Jan Fabres Tanzkompanie geheißen. Der Brief, so die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, sei eine Reaktion auf ein TV-Interview Fabres, das er im Juni gab. Darin beteuerte Fabre, dass er innerhalb seiner 40-jährigen Tätigkeit niemals Probleme mit sexueller Belästigung gesehen habe.

Theaterfestival Bitef Theaterstück Mount Olympus
Die Theaterkompanie von Jan Fabre erhob schwere VorwürfeBild: Bitef/W. Bergmann

27. September 2018:

Supreme-Court-Kandidat Brett Kavanaugh verteidigt sich vor dem US-Senat in einer aggressiven und aufgebrachten Rede gegen die Missbrauchsvorwürfe der Psychologie-Professorin Christine Blasey Ford. Ford hatte ihre Anschuldigungen gegen den Richterkandidaten von US-Präsident Donald Trump zuvor in ihrer Befragung vor dem Justizausschuss bekräftigt und ihn unter Druck gesetzt. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass es Kavanaugh gewesen sei, der 1982 bei einer Schülerparty versucht habe, sie zu vergewaltigen. Sie sei sich zu "100 Prozent" sicher, sagte sie.

1. Oktober 2018:

Im Prozess um den Vergewaltigungsskandal im Umfeld der Schwedischen Akademie ist der Franzose Jean-Claude Arnault zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt worden. Der Angeklagte wurde der Vergewaltigung einer Frau im Oktober 2011 schuldig gesprochen.

2. Oktober 2018:

Die Kultur- und Medienbranche in Deutschland installiert die neue "Themis-Vertrauensstelle" gegen sexuelle Belästigung und Gewalt. Als überbetriebliche Anlaufstelle soll sie Betroffene beraten, zwischen Betroffenen und Arbeitgebern vermitteln und sich für Schutzmaßnahmen vor sexueller Belästigung in den Branchen Film, Fernsehen, Theater und Orchester einsetzen.

5. Oktober 2018:

Der diesjährige Friedensnobelpreis geht an zwei Menschen, die für die Rechte und das Heil von Frauen kämpfen. Der kongolesische Arzt Denis Mukwege behandelt in seiner Heimat vergewaltigte Frauen. Die irakische Jesidin Nadia Murad setzt sich ebenfalls gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen ein. Sie war von der Extremisten-Miliz "Islamischer Staat" in ihrer Heimat Irak entführt und als Sexsklavin gefoltert worden.

15. Oktober 2018

Ein Jahr nach der Veröffentlichung von Hashtag #MeToo ist die Debatte um sexuellen Missbrauch, sexuelle Nötigung und Belästigung längst nicht zu Ende. Die Bewegung hat es geschafft, dass sich mehr Frauen trauen, mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit zu gehen. Unternehmen sind sensibler geworden, was das Thema in den eigenen Reihen anbelangt und auch prominente Täter mussten sich vor Gericht verantworten. Der bekannte US-Entertainer Bill Cosby etwa wurde Ende September wegen schwerer sexueller Nötigung in drei Fällen verurteilt und musste seine Haftstrafe direkt nach der Urteilsverkündung antreten. Andere hochrangige Persönlichkeiten, wie etwa Richter Brett Kavanaugh, blieben trotz massiver Anschuldigungen der Vergewaltigung und sexueller Übergriffe, im Amt. Der US-Senat wählte den umstrittenen Juristen trotz vieler Proteste am 7. Oktober auf Lebenszeit in den Supreme Court.

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion
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Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online