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Politik

Ein Jahr X: Was hat Elon Musk aus Twitter gemacht?

Helen Whittle
27. Oktober 2023

Kritiker werfen der Plattform X Hass, Hetze und Falschinformation vor. Naht das Ende des "gemeinsamen digitalen Marktplatzes"?

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Elon Musk X logo
Bild: Angga Budhiyanto/ZUMA Wire/IMAGO

Als Elon Musk, der reichste Mensch der Welt, am 27. Oktober 2022 Twitter kaufte, tweetete er: "Der Vogel ist frei." Kurz danach begann er mit der Entlassung des Führungspersonals und rund der Hälfte der Mitarbeiter. Dann nannte er Twitter in X um. Der 2006 im Silicon Valley gegründete Kurznachrichtendienst hatte bis 2022 fast 370 Millionen aktive Nutzer weltweit. Protestbewegungen wie der Arabische Frühling, Black Lives Matter oder MeToo wären ohne Twitter kaum denkbar gewesen.

Nachdenklich wirkender Mann
Elon Musk sagt, dass er die Meinungsfreiheit retten willBild: Gonzalo Fuentes/REUTERS

Twitter ist keineswegs die größte Plattform unter den sozialen Medien, was die Zahl der aktiven Nutzer angeht. Da steht es weit abgeschlagen hinter Facebook, Instagram und anderen. Aber Twitter hat viel mehr Einfluss: Politiker, Firmen, Journalisten und Prominente nutzen die Kommunikationsplattform in einer globalen, medienaffinen Community. Vor dem Kauf von Twitter für rund 44 Milliarden Euro erklärte Musk, der Kurznachrichtendienst solle als "gemeinsamer digitaler Marktplatz" dienen, der wieder die Meinungsfreiheit herstelle, die er bei Twitter vor dem Kauf vermisste: "Wenn man sich nicht an die Grundsätze der Meinungsfreiheit gebunden fühlt, untergräbt das die Demokratie in fundamentaler Weise. Was sollte geschehen?", fragte Musk damals seine vielen Millionen Follower.

Extremisten, Hassrede und gerichtliche Klagen

Musk versprach zwar, Twitter nicht in eine "anarchische Hölle" zu verwandeln. Dennoch entließ er zahlreiche Moderatoren, die Inhalte kontrollieren sollten. Und: Er ließ bislang gesperrte Konten wieder freischalten. Zum Beispiel das des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Der war nach der Erstürmung des Kapitols durch radikale Anhänger am 6.Januar 2021 bei Twitter gesperrt worden. Auch Holocaust-Leugner Nick Fuentes und der US-Neonazi Andrew Anglin durften wieder twittern.

Nutzerkonto auf X mit dem Porträt eines Mannes, darunter der Name Donald J. Trump
Donald Trumps Nutzerkonto wurde unter Elon Musk wieder freigeschaltetBild: Christoph Hardt/Panama Pictures/picture alliance

Heute, ein Jahr nach Musks Übernahme, sagen Kritiker, der "digitale Marktplatz" sei mit Hassrede und Falschinformationen überschwemmt.

"Was wir in den sozialen Medien finden, überträgt sich in die reale Welt", sagt Raphaela Andres vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim der DW. Sie ist Mitautorin einer Studie über die Wirkung von Gesetzgebung gegen Hassrede auf Twitter. 

Auch das Center for Countering Digital Hate, CCDH, kommt zu dem Schluss, dass sich unter Musk Führung Hass und Diskriminierung verstärkt habe. Die Organisation versucht, große Unternehmen davon abzuhalten, Werbung auf X zu schalten. Als Antwort klagte Musk gegen CCDH, weil die Organisation den Beziehungen zu seinen Werbekunden schade. Musk drohte auch mit einer Klage gegen die Anti-Defamation League. Die ADL ist eine in New York ansässige Organisation, die gegen die Diskriminierung und Diffamierung von Juden eintritt. Die ADL, so Musk, versuche, die Plattform zu "töten", indem sie "ihr und mir fälschlicherweise vorwirft, antisemitisch zu sein".

Im Mai 2023 erklärte der Marktanalyst Fidelity, Twitter habe seit Musks' Übernahme ein Drittel seines Wertes verloren. Im Juli räumte Musk selbst ein, sein Unternehmen habe seitdem fast die Hälfte seiner Werbeeinnahmen eingebüßt.

Ist X schlimmer als andere Plattformen?

Ebenso für Kritik sorgte, dass Musk das berühmte Verifizierungshäkchen zum Teil eines Bezahl-Abos machte. Fortan bekam diese Identitätsprüfung nur, wer zahlte. Zuvor war sie kostenfrei.

Sacha Altay von der Universität Zürich beschäftigt sich als Psychologe besonders mit Falschinformation. Die Hassrede auf Twitter habe klar zugenommen, sagt er. Aber es gebe nur wenige Studien, die verschiedene Plattformen verglichen. Falschinformationen seien bei Twitter schon immer ein Problem gewesen, so Altay. Sie würden nicht in erster Linie von Bots verbreitet, sondern von Menschen mit Macht und Einfluss. "Vorher, mit dem blauen Verifizierungshäkchen, war es schon schlimm, jetzt ist es noch schlimmer", sagt Altay. "Viele Falschinformationen kamen schon vorher von verifizierten Personen wie Politikern."

Warum soziale Netzwerke Putins Propaganda verbreiten

Als Reaktion auf das Gesetz über Digitale Dienste, eine EU-Verordnung, die auch schädlichen Inhalten Grenzen setzt, verbreitete sich das Gerücht, Musk wolle seine Plattform aus Europa zurückziehen. 

Im September ging Musk auf Konfrontationskurs zur Bundesregierung in Berlin. Er teilte einen Post, der die rechtspopulistische Partei AfD lobte. In dem Tweet wurde kritisiert, dass die Bundesregierung Hilfsorganisationen mit Steuergeldern unterstützten, die Migranten auf hoher See mit Schiffen retteten: "Weiß die deutsche Öffentlichkeit davon?", schrieb Musk auf X. Das zuständige Auswärtige Amt reagierte prompt mit einem "Ja". 

Zeit, den "Marktplatz" zu verlassen?

Einige deutsche Politiker haben ihre X-Konten schon geschlossen. Darunter Stephan Weil, der sozialdemokratische Ministerpräsident von Niedersachsen. Oder die SPD-Ko-Vorsitzende Saskia Esken. Aber die meisten führenden Politiker und Medienunternehmen nutzen X weiter. Eine Ausnahme ist das öffentlich-rechtliche National Public Radio in den USA. Nachdem X das Medium mit seinen rund 9 Millionen Nutzern im April 2023 als "staatsnah" bezeichnet hatte, verließ NPR die Plattform. 

Ein X neben dem Symbol von Twitter - ein zwitscherndes Vögelchen
Jetzt X - früher TwitterBild: Joel Saget/AFP/Getty Images

Dennoch, sagt Raphaela Andres von der Uni Mannheim der DW: "Ich glaube nicht, dass (Twitter) erledigt ist. Ich glaube nicht, dass es sterben wird. Ich denke, es werden verschiedene Alternativen entstehen, wie Mastodon und Blue Sky. Ich schätze, sie werden nicht so groß werden wie Twitter. Es wird wohl keine alles überwölbende Plattform mehr geben. Ich hoffe, dass irgendwann Menschen zwischen diesen Plattformen werden kommunizieren können. In diese Richtung wird es wohl gehen."