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Ein Vertrag für alle Fälle

Sabine Kinkartz27. November 2013

CDU, CSU und SPD wollen Deutschland zusammen regieren. Sieben Wochen haben sie verhandelt, jetzt steht der Koalitionsvertrag. Doch bei der Präsentation schwebte ein Unsicherheitsfaktor über allem.

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SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel (l-r), die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer gehen am 27.11.2013 durch das Reichstagsgebäude in Berlin. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es ist kurz nach zwölf Uhr am Mittwochmittag, als Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel die Bundespressekonferenz betreten, um der versammelten Hauptstadtpresse den Koalitionsvertrag vorzustellen. Soeben haben sie im Reichstagsgebäude ihre vorläufige Unterschrift unter das Werk gesetzt. Vorläufig, weil aus juristischen Gründen jeder der drei Parteichefs von CDU, CSU und SPD jedes einzelne Blatt der 185-seitigen Vereinbarung gegenzeichnen muss. Doch das kann angesichts des noch anstehenden Mitgliedervotums bei der SPD warten.

Erst am frühen Mittwochmorgen, kurz vor sechs Uhr, sind sich die zukünftigen Koalitionäre in abschließender Runde einig geworden. Nach sieben Wochen hatten sie zuletzt fast siebzehn Stunden im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale, durchgehend verhandelt. Danach blieb kaum Gelegenheit, um etwas zu schlafen und sich frisch zu machen. Kein Wunder, dass der Kraftakt, der hinter Merkel, Seehofer und Gabriel liegt, den Dreien auch anzusehen ist. Selbst wenn die Visagisten alles getan haben, um die dunklen Augenringe abzudecken und die müden Gesichter aufzufrischen.

Gegenseitiges Schulterklopfen

Trotzdem sitzen sie jetzt gut gelaunt in der Bundespressekonferenz. Merkel im grünen Blazer in der Mitte, Gabriel zu ihrer rechten, Seehofer zu ihrer linken Seite. Die Details stimmen noch nicht ganz, vor Seehofer steht Merkels Namensschild, vor Merkel das von Seehofer. "Da bin ich doch froh, dass ich der alte geblieben bin", kommentiert Gabriel, als die Schilder nach einiger Zeit zurechtgerückt werden. Alle lachen, auch Merkel. "Ich wollte gerne beschützt werden", begründet sie die Wahl ihres Sitzplatzes zwischen den beiden Männern. Da lachen auch die Journalisten.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, die CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. (Foto: REUTERS/Thomas Peter)
Müde, aber gut gelaunte Gesichter: Sigmar Gabriel (li.), Angela Merkel und Horst Seehofer (re.)Bild: Reuters

Was nun folgt, ist das übliche Prozedere bei der Vorstellung eines Koalitionsvertrags. Alle klopfen sich gegenseitig, vor allem aber auch selbst auf die Schulter und stellen den eigenen Beitrag und Anteil am Koalitionsvertrag heraus. "Das war eine faire Veranstaltung, für die ich mich ausdrücklich bedanken will", lobt SPD-Chef Gabriel. Alle könnten sich in dem Vertrag wiederfinden, sagt CSU-Chef Seehofer. Es gebe gute Chancen, dass es den Menschen in Deutschland zum Ende der Legislaturperiode 2017 besser gehe, meint die CDU-Vorsitzende Angela Merkel.

Zentrale Versprechen, die ihre Partei im Wahlkampf gegeben habe, werde sie einhalten und umsetzen können, betont die Kanzlerin und nennt drei Themen: solide Finanzen, sicherer Wohlstand und soziale Sicherheit. Es werde keine Steuererhöhungen geben und ab 2015 werde Deutschland auch ohne neue Schulden auskommen. "Deutschlands Zukunft gestalten", so ist der Koalitionsvertrag überschrieben. "Das heißt, dass wir eine große Koalition sind, um auch große Aufgaben für Deutschland zu meistern."

Wer hat die meisten Themen gesetzt?

Die beiden Herren an Angela Merkels Seite nicken. CSU-Chef Horst Seehofer äußert sich abwechselnd als "sehr, sehr zufrieden" und als "hochzufrieden" über den Koalitionsvertrag und betont ebenfalls, dass alle zentralen Wahlversprechen der CSU erfüllt seien. Die Familienleistungen inklusive des Betreuungsgeldes für Eltern, die ihre unter dreijährigen Kinder nicht in einer öffentlichen Einrichtung betreuen lassen, blieben erhalten. Die Mütterrente für Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben, sei fest vereinbart, genauso wie eine Mauterhebung auf Autobahnen für im Ausland zugelassene Fahrzeuge. "Da beobachte ich voller Freude die Interpretationen, aber der Text ist ziemlich eindeutig", ergänzt Seehofer grinsend.

Die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigt am 27.11.2013 im Reichstagsgebäude in Berlin den vorläufig unterzeichneten Koalitionsvertrag (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
"Ein Vertrag, in dem sich alle wiederfinden"Bild: picture-alliance/dpa

Gut gelaunt zeigt sich auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. "Die große Koalition hat einen Koalitionsvertrag für die kleinen Leute geschrieben", betont er. "Da steht eine Menge drin, was helfen wird, Fairness und soziale Balance in diesem Land zu stabilisieren oder zurückzubringen." Gabriel stellt insbesondere die geplante Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro ab 2015 heraus und die Vereinbarung für eine abschlagfreie Rente für langjährige Versicherte mit 63 Jahren.

Eine Heimat, zwei Pässe

Dann kommt Gabriel auf das Thema doppelte Staatsbürgerschaft zu sprechen. Bis zuletzt hatten die Parteien darüber gestritten, ob in Deutschland lebende Migranten zwei Pässe haben dürfen oder nicht. Die SPD sagte Ja, die Union Nein. Am Ende steht nun ein Kompromiss, der in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder von Ausländern betrifft, die ab der Geburt zwei Pässe haben: den deutschen und den der Eltern. Sie müssen sich nach derzeitiger Rechtslage spätestens bis zu ihrem 23. Geburtstag entscheiden, welche Staatsangehörigkeit sie haben wollen. Entscheiden sie sich nicht, geht der deutsche Pass verloren.

In Zukunft soll dieser sogenannte Optionszwang entfallen, eine Mehrstaatlichkeit wird akzeptiert. "Natürlich wollte die SPD eine noch weitergehende Regelung durchsetzen", sagt Sigmar Gabriel mit Blick auf die Vereinbarung, dass es im Übrigen beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht bleiben soll. Das sei im Koalitionsvertrag mit CDU und CSU aber nicht zu vereinbaren gewesen.

Eine Hand hält einen türkischen Pass (l) und einen deutschen Reisepass. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Das letzte Wort hat die SPD-Basis

Mehr als eine Stunde stehen Merkel, Seehofer und Gabriel den Hauptstadt-Journalisten Rede und Antwort. Die wollen natürlich vor allem auch wissen, wie das denn nun mit dem anstehenden SPD-Mitgliedervotum sei. Noch gibt es die schwarz-rote Koalitionsvereinbarung nur auf dem Papier. Vom 6. Dezember an sind rund 473.000 SPD-Mitglieder aufgerufen, über das Regierungsbündnis abzustimmen. Das Ergebnis soll am 14. Dezember bekannt gegeben werden.

SPD-Chef Gabriel gibt sich überzeugt, dass die SPD-Basis mehrheitlich mit Ja stimmen wird. "Die Mitglieder der SPD werden stolz auf das sein, was wir für die Menschen in Deutschland in diesem Koalitionsvertrag erreicht haben", sagt er. Alle SPD-Ministerpräsidenten und alle SPD-Mitglieder der Verhandlungsgruppe hätten den Vertrag am Mittwochmorgen nicht nur gebilligt, sondern einstimmig als "gut und sehr gut" befunden. "Wir sind uns unserer Sache sicher. Das ist ein guter Vertrag", sagt er und fast hat man den Eindruck, dass er sich doch ein wenig Mut zusprechen muss.