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Ein Kodex macht Geschichte – der "Corpus Iuris Civilis" von 529

Matthias von Hellfeld

529 wurden alle römischen Gesetze aufgeschrieben und von den damals bedeutendsten Juristen kommentiert. Mit diesem "Codex Justinianus" legte Kaiser Justinian I. den Grundstein der europäischen Rechtsgeschichte.

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Kaiser Justinian I. mit Corpus Iuris Civilis G.D.Tiepolo, Justinian als Gesetzgeber (Tiepolo, Giovanni Domenico, 1727-1804.)
Kaiser Justinian I. mit Corpus Iuris CivilisBild: picture-alliance / akg-images

Seit 527 herrschte mit Justinian I. (482 – 565) ein ehrgeiziger Kaiser im oströmischen Reich. Er strebte nach der Wiederherstellung des großen Imperium Romanum. Unter den in Mitteleuropa siedelnden Germanen und den aus dem Osten kommenden Hunnen hatte das Imperium in den vergangen Jahrhunderten schwer gelitten.

Fünf Jahre bis zum "Codex Justinianus"

Bis heute andauernden Ruhm brachte Justinian I. aber nicht die angestrebte Wiederherstellung des Reiches ("restauratio imperii"), sondern die vollständige Sammlung und Kodifizierung des römischen Rechts an. Überall im Land waren Rechtsgelehrte und Schreiber damit beschäftigt, die Rechtsgrundsätze festzuhalten, die Gültigkeit hatten. Der "Codex Justinianus", der später "Corpus Iuris Civilis" hieß, war nach fünf Jahren fertig gestellt und ist die erste systematische Überlieferung des römischen Rechts. Aber Justinian I. beließ es nicht dabei. Er beauftragte den bedeutendsten Juristen der Zeit Flavius Tribonianus (ca. 485 – 542) damit, diese Gesetze kommentieren zu lassen. Als Quästor (Untersuchungsrichter, höchstes derzeitiges Amt in der Justiz) war Tribonianus für das Justizwesen des oströmischen Reiches verantwortlich und hatte maßgeblichen Anteil daran, dass der "Codex Justinianus" in kurzer Zeit fertig gestellt wurde. Bald darauf wurden noch ein juristisches Lehrbuch und eine Sammlung von Verordnungen veröffentlicht, so dass 533 die erste vollständige Sammlung und Kommentierung des römischen Rechts vorlag.

Theodora die "Erhabene"

Kaisers Justinian I. (482-565) zeitgenössische Abbildung
Kaisers Justinian I. (482-565)Bild: picture-alliance/dpa

Justinian I. regierte knapp vier Jahrzehnte und wurde dabei von seiner Frau Theodora I. (ca. 500 – 548) in politischen wie in privaten Angelegenheiten energisch unterstützt. Als Justinian I. im Sommer 527 zum Kaiser gekrönt wurde, ließ er Theodora mit dem Titel "Augusta" – die "Erhabene" – ausstatten und hob sie so aus der Reihe der vorhergehenden kaiserlichen Ehefrauen heraus. Überliefert ist sein resignativer Ausspruch, bei Theodora handele es sich um "seine Gott gegebene Partnerin". Ihr Einfluss auf die Politik Justinians I. dürfte nicht unerheblich gewesen sein.

Das "vierte Reich" darf nicht untergehen

Gewitterblitze: Das römische Reich vor dem Untergang? (Foto: AP)
Das römische Reich vor dem Untergang?Bild: AP

Die Wiederherstellung des römischen Reiches ("restauratio imperii") bezog sich jedoch nicht nur das Territorium, sondern auch auf das politische Erbe aus der Blütezeit des Imperium Romanum, der Zeit der großen Cäsaren. Eine wichtige Rolle spielte dabei ein Bibelzitat, dass das Ende der Welt voraussagte, falls das "vierte Reich" unterginge – eine politische Theorie jener Jahre. Das babylonische, das persische und das griechische Reich waren bereits untergegangen. Würde also das vierte – das römische Reich – auch noch untergehen, wäre das Ende der Welt erreicht. Deshalb setzte Justinian I. alles daran, dieses Szenario nicht Wirklichkeit werden zu lassen. Es gelang ihm die Vandalen von der nordafrikanischen Küste zu vertreiben, von den Westgoten die Südspitze Spaniens zu erobern und – nach langen Kämpfen – die Ostgoten aus Italien zu verdrängen. Damit hatte er zwar die römische Herrschaft um das Mittelmeer wieder hergestellt, aber die Wiederherstellung des gesamten Imperium Romanums war gescheitert.

Seine Nachfolger beschränkten sich auf das Territorium des oströmischen Reiches, das bis zur Eroberung von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, am 29. Mai 1453 durch die Truppen des osmanischen Sultans Mehmet II. (1432 – 1481) Bestand hatte.

"Corpus Iuris Civilis" – Rechtsgrundlage für Europa

Ihre Wirkung entfalteten die antiken Texte aber erst im 14. und 15. Jahrhundert, als die Sammlung von Angehörigen der Hochschule von Bologna wieder entdeckt und als "Corpus Iuris Civilis" in die zeitgenössische Rechtsprechung integriert wurde. Dieser "Corpus Iuris Civilis" bildete in Europa über viele Jahrhunderte die maßgebliche, meistens mit lokalen Rechtsgrundsätzen gemischte Rechtsquelle. In der Tradition des "Corpus Iuris Civilis" standen das preußische Allgemeine Landrecht des Jahres 1794, der französische "Code civil" von 1807 oder das Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs aus dem Jahr 1812. In Deutschland galten die Grundsätze des römischen Rechts bis 1900, als das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft trat. Das "Corpus Iuris Civilis" ist ein Beispiel für den engen Zusammenhang zwischen der Antike des Imperium Romanum und dem modernen Europa.