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Ein "Maidan" gegen das Establishment

Robert Schwartz7. September 2015

Mehrere zehntausend Menschen haben in Chisinau friedlich gegen die politische Elite des Landes demonstriert. Eine kleine Zeltstadt vor dem Regierungsgebäude soll den Protesten auch weiterhin Nachdruck verleihen.

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Protest-Zeltstadt in Chisinau (Foto: Ruslan Shalapuda/RIA Novosti)
Bild: picture-alliance/dpa/R. Shalapuda

Die Forderungen der fast 100.000 Demonstranten in der moldauischen Hauptstadt Chisinau waren eindeutig: Ein Rücktritt des Staatspräsidenten und der Regierung, vorgezogene Parlamentswahlen sowie eine Untersuchung der Vorfälle, die zum Verschwinden von einer Milliarde Dollar aus dem Bankensystem geführt haben. Organisiert wurde die Demonstration von den Bürgerrechtlern der Plattform "Würde und Wahrheit". In einer gemeinsamen Proklamation forderten die Teilnehmer die Direktwahl des Staatspräsidenten durch das Volk und nicht, wie bisher, durch undurchsichtige Seilschaften im Parlament.

Maia Sandu als neue politische Leitfigur?

Eine Alternative zu den Seilschaften, die Politik und Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht haben, könnte aus der Sicht vieler Moldauer die frühere Bildungsministerin Maia Sandu sein. Noch im Sommer 2015 als neue Premierministerin gehandelt, wurde sie von den pro-europäischen Parteien des Regierungsbündnisses schnell wieder fallen gelassen, nachdem sie öffentlich erklärt hatte, die Republik Moldau werde von Oligarchen beherrscht.

Maia Sandu, Bildungsministerin der Republik Moldau (Foto: DW)
Maia Sandu hatte im Sommer erklärt, das Land werde von Oligarchen beherrschtBild: DW/C. Grigorita

In einer Botschaft an die Demonstranten betonte Sandu, die moldauische Politikszene sei "eine Arena für die Machtspiele unterschiedlicher Personen, die über die Ressourcen des Landes nach eigenem Gutdünken verfügen". Diese Art von Politik schließe eine Beteiligung der Bevölkerung völlig aus, fügte sie hinzu. Allein die Zivilgesellschaft könne diesen Zustand beenden und das Land wieder zukunftsfähig machen, sagte die überzeugte Europäerin Sandu.

Mangelnder Reformwille

Der amtierende Premierminister Valeriu Strelet wollte die Forderungen der Demonstranten analysieren und zeigte sich bereit für einen "konstruktiven Dialog". Gleichzeitig warnte er aber seine Landsleute, die Fortsetzung der politischen Instabilität könne die internationalen Geldgeber, allen voran den Internationalen Währungsfonds (IWF), von weiteren Hilfen für das Land abhalten. Die Republik Moldau ist dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen: Sie steht seit längerem vor der Zahlungsunfähigkeit.

Offiziell verfolgt die neue pro-europäische Koalition weiterhin das Ziel der europäischen Integration. So soll das Assoziierungsabkommen mit der EU in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden. Mehr noch: Außenministerin Natalia Gherman kündigte an, die Republik Moldau wolle noch im Laufe dieses Jahres die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der EU beantragen. Diese pro-europäischen Willenserklärungen werden aber von den innenpolitischen Entwicklungen keineswegs bestätigt. Die wichtigsten politischen Akteure scheinen wenig Lust zu haben, den gegenwärtigen Zustand nachhaltig zu verändern. Vor allem in den Bereichen Justiz und Korruptionsbekämpfung fehlt der Wille zu nötigen Reformen.

"Die politische Klasse hat versagt"

In einem Interview mit der DW hat der frühere Premierminister Iurie Leanca der gesamten politischen Elite seines Landes Versagen vorgeworfen: "Wir müssen leider beschämt feststellen, dass wir nach den Wahlen vom 30. November 2014 das pro-europäische Votum nicht genutzt haben, und nur Rückschritte verzeichnet wurden", so Leanca. Deshalb sei es auch nicht verwunderlich, dass die meisten Moldauer ihr Vertrauen in die Politik und die damit verbundenen Hoffnungen verloren hätten.

Auch die internationalen Beziehungen hätten wegen der politischen Stagnation Schaden genommen, sagte Leanca der DW: "Wir haben das Vertrauen Deutschlands verloren". Nicht nur die politischen Kontakte, sondern auch die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit zwischen Berlin und Chisinau seien zurückgegangen. Auch die Beziehungen zum westlichen Schwesterstaat Rumänien seien wegen der anhaltenden politischen Querelen fast zum Stillstand gekommen.

Iurie Leanca, ehemaliger moldauischer Ex-Premierminister (Foto: Getty Images)
Ex-Premier Leanca: "Wir haben das Vertrauen Deutschlands verloren"Bild: Getty Images/S. Gallup

Düstere Perspektiven also für den europäischen Werdegang der Republik Moldau. Anhaltende politische Instabilität, wirtschaftlicher und finanzieller Kollaps sowie eine komplizierte geopolitische Lage wegen des Krieges im Nachbarstaat Ukraine sind ein brisanter Mix, der die Republik Moldau noch lange in Atem halten wird.