Ein Sozialist im Elysée
7. Mai 2012Angela Merkel war unter den ersten ausländischen Gratulanten: Um 22.52 Uhr klingelte das Telefon des neuen französischen Staatspräsidenten, und die deutsche Kanzlerin lud ihn nach Berlin ein. Eine knappe Stunde zuvor hatte allerdings bereits Jose Manuel Barroso zum Hörer gegriffen, um François Hollande zu versichern, wie sehr er auf ihn zähle, um "die europäische Ökonomie wieder anzukurbeln".
Mit rund 52 Prozent hat sich der französische Spitzenpolitiker am Sonntag (06.05.2012) gegen den bisherigen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy durchgesetzt. 17 Jahre nach François Mitterand steht damit wieder ein Sozialist an der Spitze Frankreichs.
Und noch vor einem Jahr hätte wohl niemand in Frankreich ernsthaft damit gerechnet, dass der neue erste Mann im Staate François Hollande heißen würde. Der 57-Jährige galt als blass und - im Gegensatz zu seiner früheren Leibesfülle - als politisches Leichtgewicht. Doch dann stürzte der als Favorit gehandelte Dominique Strauss-Kahn als IWF-Chef über eine Sex-Affäre und war somit für den Wahlkampf aus dem Rennen. Für François Hollande schlug die große Stunde, die er jetzt genutzt hat.
Der Mann, dem nie ein Ministeramt angetragen wurde, hatte bis dahin lediglich in seiner Partei Karriere gemacht. Als er 2008 nach elf Jahren als Chef der Sozialistischen Partei von Martine Aubry abgelöst wurde, nannte seine Nachfolgerin den Zustand der Partei allerdings "erbärmlich". Hollandes frühere Lebensgefährtin Ségolène Royal stellte noch im vergangenen Jahr die rhetorische Frage: "Können die Franzosen eine Sache nennen, die er in 30 Jahren politischen Lebens geschaffen hat?"
Einst Chirac-Herausforderer
Schon der Start seiner politischen Laufbahn war holprig. Als die Franzosen 1981 mit François Mitterrand erstmals in einer Direktwahl einen Sozialisten ins Präsidentenamt wählten, schickte die Partei den damals 26-jährigen Hollande in die Provinz. Ausgerechnet im Wahlkreis von Jacques Chirac in der bäuerlichen Corrèze Zentralfrankreichs sollte der Jungpolitiker für ein Abgeordnetenmandat kämpfen. Er hatte nicht den Hauch einer Chance. Über die Jahre verschaffte sich der Absolvent der Kaderschmiede ENA aber bei der ländlichen Bevölkerung Respekt. Nach einem Neuzuschnitt der Wahlkreise gelang ihm zeitgleich mit dem fast gleichaltrigen Nicolas Sarkozy 1988 der Sprung in die Nationalversammlung. Die Wege Sarkozys und Hollandes, die beide im noblen Pariser Vorort Neuilly aufgewachsen sind und sich abseits der Kameras duzen, kreuzen sich seitdem regelmäßig.
Positives Europabild
Hollandes Wahlprogramm der "60 Engagements für Frankreich" ist vage formuliert. Allenfalls kleine Zuckerstückchen hat der für französische Verhältnisse gemäßigte Sozialist dem Publikum und den verschiedenen Lagern seiner Partei hingeworfen. Eine Nachverhandlung des EU-Fiskalpaktes gehört zu den Punkten, die für Aufsehen gesorgt haben. Von Deutschland verlangte er in einer viel beachteten Rede zum Wahlkampfstart außerdem "mehr Solidarität". Slogans, so glaubt der Pariser Politikwissenschaftler Renaud Dehousse, die nicht an das Ausland gerichtet waren, sondern an die Wähler zuhause. Gut ein Drittel der Franzosen hatte im ersten Wahlgang für populistische Parteien gestimmt, die einen Austritt aus dem Euro fordern sowie allgemein für Protektionismus werben.
Uneinlösbare Versprechen?
Ist François Hollande ein Anti-Europäer? Politikprofessor Dehousse widerspricht: Schon der Lebenslauf des Sozialisten - seine Arbeit im Umfeld des glühenden Europäers Jacques Delors - beweise das Gegenteil. Zudem habe er 2005 für die Europäische Verfassung votiert, obwohl starke Kräfte der Partei sich für deren Ablehnung stark machten. Hollande, so Dehousse, habe sich nicht nur der pro-europäischen Sache verschrieben, sondern gehöre auch zu den in Frankreich seltenen Anhängern supranationaler Integration, wie sie den europäischen Gründervätern vorschwebte. "Die Deutschen werden es mit einem französischen Staatschef zu tun haben, der den klassischen deutschen Positionen der Gemeinschaftspolitik viel näher steht als sein Vorgänger."
Innenpolitisch punktete Hollande mit dem Versprechen, 60.000 neue Lehrerstellen zu schaffen, die Rentenreform seines Vorgängers teilweise wieder rückgängig zu machen und eine Millionärssteuer von 75 Prozent einzuführen. Das Geld für diese Wohltaten soll ein bislang von Experten nicht prognostizierter kräftiger Wirtschaftsaufschwung bringen, denn auch Hollande bekennt sich grundsätzlich zu dem Ziel ausgeglichener Haushalte.
Angesichts der desolaten Finanzlage und wegen des Drucks der Finanzmärkte gehen Beobachter allerdings davon aus, dass Hollande zumindest einige Wahlkampfversprechen sehr schnell wieder einkassieren und stattdessen Antworten auf Fragen finden muss, die der Wirtschaftsfachmann bislang weitgehend offen lässt: Ausgabenkürzungen des Staates.