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Warum ein riesiger See in Chile verschwand

Naomi Larsson
8. März 2022

Als eine große Lagune in Zentralchile austrocknete, schien der Klimawandel der wahrscheinlichste Auslöser zu sein. Doch Forscher fanden nun eine andere Ursache: Die systematische Privatisierung des Wassers.

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Ein kleines, umgedrehtes Fischerboot auf einem ausgetrockneten Seegrund
Die Laguna de Aculeo ist durch menschliche Eingriffe vollständig ausgetrocknetBild: Martin Bernetti/AFP/Getty Images

Einer alten Legende zufolge liegt auf dem Grund der Laguna de Aculeo, einem See in Zentralchile, ein großer Goldschatz der Inka. In manchen Nächten, so sagen die Einheimischen, könne man das Gold sogar glänzen sehen im kristallklaren Wasser der Lagune, die umgeben ist von üppig grünen Hügeln, die überragt werden von den Anden.

Doch die Lagune, einst eines der größten natürlichen Gewässer Chiles, ist heute völlig ausgetrocknet und bar jeglicher Spur von Leben. Wie sich herausstellte, gab es dort zwar kein Gold, dennoch war der See von unschätzbarem Wert für die Region.

"Der Gesang der Vögel war den ganzen Tag zu hören, denn die Flora und Fauna in der Lagune waren spektakulär. Man konnte die Fische im Wasser schwimmen sehen, so klar war es", sagt Viola Gonzalez Vera. Sie lebt seit 30 Jahren hier am Acuelo, 70 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Santiago.

Das Seebett ist jetzt trocken und rissig, gezeichnet von der anhaltenden Dürre. Verfallene Stege erinnern die Einheimischen daran, was dieser Ort einmal war.

Chile leidet seit zehn Jahren unter extremer Dürre, mit bis zu 30 Prozent weniger Niederschlag in den zentralen Regionen als zuvor. Jahrelang wurde der Klimawandel für das Verschwinden von Aculeo verantwortlich gemacht.

Doch die Lagune hat mehr als 3000 Jahre überdauert, obwohl Trockenheit in Chile kein Fremdwort ist. Und Anfang 2022 bestätigen Forschende aus den Bereichen Hydrologie und Wasserwirtschaft, dass die Hauptursache nicht der Klimawandel, sondern die Ausbeutung durch den Menschen war.

An einem Sandstrand am See befestigt eine Frau ein Segel an einem Surfbrett, im Hintergrund steht ein Kind
Im Jahr 2011 war die Lagune noch voll genug, um Wassersportarten wie Windsurfen zu betreibenBild: Martin Bernetti/AFP/Getty Images

Mit der Lagune verschwindet eine wichtige Lebensgrundlage

In der von unabhängigen Sachverständigen geprüften Studie heißt es, dass die unterdurchschnittlichen Niederschläge des letzten Jahrzehnts zwar Auswirkungen hatten, es aber "unbestreitbare Beweise" dafür gäbe, dass die Lagune infolge menschlicher Eingriffe verschwand. Insbesondere Flussumleitungen und das Abpumpen von Grundwasser seien die Ursachen.

Selbst nach vier Dürreperioden mit anhaltend geringen Niederschlägen im 20. Jahrhundert sei der See nie auch nur annähernd ausgetrocknet, heißt es in der Studie.

"Aber in den 1990er Jahren begann die Agrarindustrie, die Flüsse umzuleiten, als der Staat anfing, einhundert Prozent der Wasserrechte erst für den einen und dann für den nächsten Fluss zu vergeben", so Pablo Garcia-Chevesich, chilenischer Professor an der Colorado School of Mines und der University of Arizona und einer der Autoren des Berichts.

Im Jahr 2010 wurde der Flusslauf des Pintue - ein wichtiger Nebenfluss - komplett verändert. Große landwirtschaftliche Betriebe, die Kirschen und Avocados anbauen, pumpten außerdem Wasser direkt aus der Lagune auf ihre Flächen.

Infolgedessen "spielte es keine Rolle mehr, wie viel es regnete; zum ersten Mal war die Lagune außerstande, eine Dürre zu überstehen", so Garcia-Chevesich, der auch Mitglied des Intergovernmental Hydrological Programme der UNESCO ist.

Ein verfallender Holzsteg ragt in ein ausgetrocknetes Seebett
Ein Holzsteg erinnert daran, dass hier einst ein See warBild: Martin Bernetti/AFP/Getty Images

Mit dem Austrocknen der Lagune und dem Sterben der umliegenden Natur, verschwanden auch die Touristen. Gleichzeitig wurden die Ernteerträge der Kleinbauern in der Umgebung immer kleiner und ihre Tiere verdursteten.

Dann kamen auch noch neue Sommerhäuser mit gepflegten Rasenflächen und Swimmingpools, die erhebliche Wassermengen verbrauchten. Aber dies sei nichts im Vergleich zu dem Wasserverbrauch, der Avocado- und Kirschenproduzenten, berichten Anwohner.

"Ich habe Menschen gesehen, die auf der Straße weinten, weil sie kein Wasser zum Zähneputzen hatten", sagt Gonzalez Vera, die auf einen Wassertank in ihrem Hinterhof angewiesen ist - nur wenige Meter von der Stelle entfernt, an der sich einst der See befand. Sie bekommt ihr Wasser nun geliefert. LKW bringen es in den Ort.

Garcia-Chevesich macht den Staat für den Verlust der Lagune verantwortlich. "Es ist die unkontrollierte Zuteilung von Wasserrechten ohne jede Prüfung, welche sozialen oder ökologischen Schäden das zur Folge haben könnte." Etwas, das im ganzen Land stattgefunden hat und überall ähnliche Probleme verursacht.

Wo Wasser Ware ist und kein Menschenrecht

Die chilenische Verfassung, aus den Zeiten der Militärdiktatur, schützt das Privatbesitzrecht auf Wasser. Außerdem ermöglicht ein Gesetz von 1981 der Regierung, privaten Eigentümern unentgeltlich dauerhafte und übertragbare Wasserrechte zu erteilen. Wasser wurde so zu einer Ware. In Aculeo beispielsweise wurden keine Untersuchungen zum Wasserbedarf durchgeführt, bevor der Staat die Rechte verteilte.

"Das Wasserproblem in Chile geht sehr tief. Es wird als Ressource gesehen, die es auszubeuten gilt", sagte Estefania Gonzalez, Koordinatorin der Greenpeace-Kampagnen in Chile.

Demonstranten auf der Straße
Im Jahr 2019 brachen in Chile große Unruhen wegen der enormen sozialen Ungleichheit ausBild: Claudio Abarca Sandoval/NurPhoto/picture alliance

Mehr als 1 Million Menschen im ganzen Land haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. In Teilen Chiles kommt es aufgrund des Klimawandels immer häufiger und länger zu Dürreperioden. Die Wasserreserven werden seit Jahrzehnten von Privatpersonen und Industrie stark ausgebeutet. Zum Beispiel durch den Lithium- und Kupferbergbau, der in Chile ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Der Wasserbedarf ist auch hier sehr groß. Nahezu 80 Prozent des Süßwassers im Land aber fließen in die Landwirtschaft, vor allem in den Anbau von Avocados. Für die Produktion einer Frucht werden etwa 70 Liter Wasser benötigt.

Petorca, eine Stadt in der chilenischen Region Valparaiso, ist von Avocado-Hainen umgeben. Hier wurde die Wasserknappheit so schlimm, dass die Regierung den "Wassernotstand" ausrief und jedem Einwohner nur 50 Liter Wasser pro Tag zugestand.

Eine neue grüne Vision für die Zukunft

Derzeit überarbeiten 155 gewählte Delegierte aus der gesamten Zivilgesellschaft - mehrheitlich unabhängige und linksorientierte Kandidaten - die aus der Zeit der Diktatur stammende Verfassung des Landes. Das war eine zentrale Forderung der blutigen landesweiten Proteste gegen die extreme soziale Ungleichheit im Jahr 2019.

Es ist eine Chance für das Land, eine neue Vision für die Zukunft zu entwerfen. Eine Vision, in der die Umwelt oberste Priorität hat. 81 der Mitglieder des Verfassungskonvents haben eine Greenpeace-Kampagne zum Schutz von Wasserrechten und Ökosystemen in der neuen Charta unterstützt.

"Wir werden dem Hamstern und Horten von Wasservorräten ein Ende setzen, wir werden die Landaneignung und das Horten von Wasser einschränken, um die weitere Ausbreitung von Trockentälern zu verhindern", so Carolina Vilches Fuenzalida, Mitglied des Konvents und Umweltaktivistin, gegenüber der DW.

Vilches Fuenzalida und andere Delegierte erklären, dass eine ihrer Prioritäten darin bestehe, ein Gesetz zu schaffen, das die rechtliche Natur des Wassers ändere und allen Chilenen einen Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen garantiere. Die Vorschläge werden in den kommenden Monaten debattiert und abgestimmt. Dann soll ein öffentliches Referendum durchgeführt werden.

Der junge Linke Gabriel Boric, der die Präsidentschaftswahlen im Dezember 2021 gewann, wird im März die neue Regierung anführen. Boric, der mit einer Wahlkampagne für ökologische Veränderung siegte, hat erklärt, er werde die Verfassungsänderung unterstützen.

"Das ganze Land wartet auf ihn. Wenn er nichts unternimmt, wird das enorme soziale Folgen haben - es könnte eine neue soziale Explosion geben", sagt Garcia-Chevesich und bezieht sich dabei auf die historischen Proteste im Jahr 2019. Wenn es aber doch zur Umweltkatastrophe kommt, werden die Menschen sagen "Genug - kein Umweltmissbrauch mehr!"