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Ein verzweifelter Bischof

Christoph Strack26. August 2014

Der Erzbischof aus Mossul im Nordirak ist nach Berlin gekommen, um das Leid durch den Terror des "Islamischen Staats" zu schildern. Und er ist entsetzt über das Schweigen der islamischen Offiziellen in der Region.

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Emil Shimoun Nona, Erzbischof von Mosul (Foto: Jörg Volpers, katholische Militärseelsorge)
Bild: Katholische Militärseelsorge/Jörg Volpers

Es ist der Alarmruf eines Verzweifelten: Emil Shimoun Nona ruft Deutschland und die internationale Staatengemeinschaft zu mehr humanitärer Hilfe für hunderttausende Flüchtlinge im Nordirak auf. Die Menschen seien angesichts der "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", die die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) begehe, am Ende, sagt der chaldäisch-katholische Erzbischof von Mossul. Und der Geistliche aus dem Nordirak ist auch frustriert über ausbleibende Reaktionen islamischer Autoritäten. Nicht ein einziger muslimischer Geistlicher oder Gelehrter habe ihn angerufen und ihm und den Christen seine Solidarität erklärt.

Nur für wenige Tage hat Emil Shimoun Nona den Nordirak verlassen. "Ich habe noch Stunden vor meiner Abreise gezweifelt, ob ich die Menschen allein lassen kann", sagt er. Und fügt rasch hinzu: "Ich muss schnell zu ihnen zurück." Also zu den Menschen, die vor dem Terror der IS-Miliz geflohen sind und denen die Schergen des "Islamischen Staates" nichts gelassen haben außer der Kleidung am Leib.

Ein Bischof als Flüchtling

Die Flüchtlinge hausen in der nordirakischen Kurdenmetropole Erbil in Kirchen und auf Kirchhöfen, in Schulen, Tiefgaragen und am Straßenrand und warten auf Hilfe. Auch Erzbischof Nona ist nun selbst ein Flüchtling. Nein, erläutert er, "ich habe kein Bischofshaus. Mein Bischofshaus ist, ehrlich gesagt, mein Auto. Ich bin unterwegs zu den Flüchtlingen."

Flüchtlinge in einer Kirche in Erbil (Foto: Khalid Mohammed/AP)
Flüchtlinge in einer Kirche in Erbil: Warten auf HilfeBild: picture-alliance/AP Photo

Der Deutschen Welle sagte Nona, er sei enttäuscht darüber, "dass bisher keine islamische Autorität diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen jeden religiösen Glauben klar verurteilt hat". Eine so passive Haltung habe er von den offiziellen Religionsvertretern nicht erwartet. Er frage sich, ob die offiziellen Vertreter des Islam "diese Schandtaten tatsächlich gutheißen oder ob sie nur Angst vor den Tätern haben". Die führenden Muslime sollten ernsthaft darüber nachdenken, wie sie dem "Islamischen Staat" entgegentreten könnten. Die Untätigkeit schade "letztlich jeder Religion."

Ausgeplündert von den Nachbarn

Doch enttäuscht ist Nona auch angesichts der vielen Muslime, die christliche Nachbarn ausplündern, neben denen sie über viele Jahre freundlich Haus an Haus lebten. Des Nachts hatten Unbekannte den Buchstaben N an Haustüren gepinselt, das die Bewohner als Ungläubige kennzeichnete und sie damit zur Flucht aufforderte. Noch bevor die Bewohner am Morgen aufbrechen konnten, kamen Nachbarn und räumten deren Wohnungen aus.

Vor IS-Terror geflohene Familie in einem Zelt (Foto: Ahmed Jalil/EPA)
Vor IS-Terror geflohene Familie: "Vertrauen in die Region verloren"Bild: picture-alliance/dpa

Das erschütterte die Christen und Jesiden, mit denen Erzbischof Nona in Erbil ins Gespräch kam. Und das erschütterte sichtlich auch den ruhig, vielleicht auch niedergeschlagen wirkenden Geistlichen. In Mossul, berichtet er, hatte ein Frauenkloster einen muslimischen Wachmann, über 30 Jahre. "Sie feierten mit ihm Hochzeit, er wohnte in einem Haus auf dem Grundstück des Klosters. Und noch bevor die Ordensfrauen die Flucht antreten konnten, fing der Wachmann an, das Kloster auszuräubern und lud den Anhänger seines Traktors mit Diebesgut voll." Solche Dinge zu erleben hinterlasse eine schmerzende Wunde. Auch deshalb sähen diese Christen "sehr pessimistisch und voller Schmerz in die Zukunft. Wir haben unser gesamtes Vertrauen in die Region verloren."

"Hier lebten die ersten Christen"

Nona ist seit 2009 chaldäisch-katholischer Erzbischof von Mossul; sein Vorgänger war im Jahr zuvor entführt und ermordet worden. Seit wenigen Wochen ist der 46-jährige auch heimatlos. Dabei sei die Gegend um Mossul und Ninive christlich geprägt, seit bald 2000 Jahren. "Hier lebten die ersten Christen im heutigen Irak", sagt er.

Aufbau eines Flüchtingslagers für Christen (Foto: Ahmed Jalil/EPA)
Aufbau eines Flüchtingslagers für Christen in Erbil: Leben unter ärmlichen und menschenunwürdigen BedingungenBild: picture-alliance/dpa

Als vordringliche Erwartung an die deutsche Regierung nennt der Erzbischof die Hilfe für Vertriebene im Nordirak und in Kurdistan. Die Flüchtlinge lebten unter ärmlichen und menschenunwürdigen Bedingungen. Sie bräuchten ein Mindestmaß an Würde. Langfristig müsse es darum gehen, den Vertriebenen die Rückkehr in ihre angestammten Gebiete zu ermöglichen. Ob er selbst daran glaubt? Nona drängt auf Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft. Und dankt den Kurden und ihren Peschmergas, die den Christen derzeit so beistünden.

Zwischen seinen diversen Gesprächen in Berlin sitzt Nona im Fernsehstudio der Deutschen Welle, gibt im Interview ruhige Antworten, wie man sie von kirchlichen Repräsentanten erwartet. Beim Hinausgehen ein kurzer Halt im Schneideraum, wo gerade Aufnahmen aus einer Berliner Flüchtlingsunterkunft bearbeitet werden. Auf dem Monitor ist auch ein Christ aus Mossul zu sehen. Nona erkennt den Flüchtling sofort. "Ja, er gehört zu uns", sagt er. "Er kommt aus einem Dorf bei Mossul." Auch in solchen Momenten merkt der Erzbischof, was sich alles verändert in diesen Tagen, was vielleicht alles zu Ende gegangen ist in diesen Sommertagen.