Eindrücke aus Bulgarien
11. April 2007Im neuen Auslands-Terminal des Flughafens von Sofia begrüßen Plakate die Einreisenden im EU-Land Bulgarien. Bei der Passkontrolle gibt es Schalter für EU- und Nicht-EU-Bürger. Draußen warten nagelneue Taxis auf Fahrgäste. Ein Aufkleber informiert über den Fahrpreis - rund 2 Leva pro Kilometer - das entspricht einem Euro. Europäischer Aufbruch eben. Später in der Stadt zeigt sich dann, dass die Taxis dort zwar auch meist neu sind, der Kilometer kostet allerdings nur ein Viertel dessen, was am Auslandsterminal des Flughafens verlangt wird. Dabei sind die Preisunterschiede nach Auskunft der Taxi-Innung völlig legal. Warum die billigen Taxis nicht den Weg zum Flughafen finden, weiß man dort aber auch nicht. An den Wegweisern an der Stadtautobahn kann es jedenfalls nicht liegen - die sind auf europäischem Standard. Ein Schelm, wer hier an Mafia denkt.
Die Mafia und der Geheimdienst
Schließlich hat es in den vergangenen Jahren immer wieder spektakuläre Schlagzeilen gegeben - über ehemalige kommunistische Funktionäre und Geheimdienstler. Diese haben das Staatsvermögen auf ihre Weise privatisiert und sich mit dicken Geldkoffern auf dem Weg in die Marktwirtschaft gemacht. Die Plünderung der Staatskasse sei sowohl über die bereits existierenden 300 Auslandsfirmen, als auch durch Direkt-Zahlungen an treue Parteigenossen geschehen. Dies behauptet zum Beispiel Dimiter Ludschew, Vize-Regierungschef im ersten nicht-kommunistischen Kabinett des Landes nach der Wende, der zugleich die Aufsicht über Geheimdienste inne hatte. Gerade die Geheimdienste haben dabei eine Schlüsselrolle gespielt, denn die Auslandsaufklärung und die Wirtschaftspionage kontrollierten die Firmen im kapitalistischen Ausland, während die Inlandsgeheimdienste für die Schmuggelrouten und die illegalen Transfers zuständig waren.
Dies sei auch die Geburtsstunde der organisierten Kriminalität in Bulgarien gewesen, sind die Beobachter heute überzeugt. Denn nach dem Zusammenbruch des alten Systems wurden die Schmuggelrouten, die Drogen- und Waffengeschäfte sofort von denjenigen privatisiert, die sie aufgebaut haben: die Leute der bulgarischen Staatssicherheit nämlich.
Von Kommunisten und Businessmen
Parteifunktionäre und Geheimdienstler auf dem Weg in die Marktwirtschaft. Als Begleiterscheinung ist die Mafia entstanden. Viele Bulgaren sind überzeugt: Diese Entwicklung wurde vom ersten postkommunistischen Premier Bulgariens, Andrei Lukanov, gelenkt, der 1996 erschossen worden ist. Wie auch viele andere, die die Transformation der Herrschafts- und Unterdrückungsstrukturen in Business betrieben haben.
Über Lukanov weiß Jordan Jotov, bis Ende 1989 Politbüromitglied und Chefredakteur der Parteizeitung "Rabotnitschesko delo" Bescheid: "In dieser Hierarchie der Personen, die die Konterrevolution durchgeführt haben, ist Lukanov ganz oben gewesen." Er sei ein kluger Mensch, habe sich aber von gewissen Geheimdiensten unter Druck setzen lassen und nachgegeben. Beweisen ließe sich das von Jotov aber nicht: "Das ist meine Meinung, die nicht nachweisbar ist."
Parteistrukturen, Geheimdienste, Wirtschaftsstrukturen, Mafia - in diesem Spannungsfeld bewegt sich die Erzählung über die Machttransformation in Bulgarien. Beim bulgarischen Privatsender Darik-Radio geht Bogdana Lazarova den verschlungenen Wegen alter Genossen im neuen Geschäftsleben nach. Ihre Erkenntnisse übertreffen alle Befürchtungen: "Hinter dem Begriff verdeckter Transit hat die ehemalige Staatssicherheit den Waffen- und Drogenschmuggel und den illegalen Transfer von Luxusgütern getarnt, die von der Stasi kontrolliert worden sind." Ende der 1980er-Jahren sei die Entscheidung zur Gründung der Auslandsfirmen getroffen worden, die die Aufgabe hatten, den Gewinn aus dem so genannten verdeckten Transit in den Westen zu transferieren. Der bulgarische Staat habe cirka eine Milliarde US-Dollar pro Jahr von diesem Transit eingetrieben.
Die EU-Außengrenze: Schmiergelder - nicht mehr!
Waffen- und Drogenschmuggel - das wirft Fragen zur Situation an den Grenzen auf. Von Sofia sind es gerade mal 60 Kilometer bis zum Grenzübergang Kalotina. Dort verlässt die Transitstraße Bulgarien und führt nach Serbien. Selbst die hügelige Landschaft scheint karger zu werden, je näher man der neuen EU-Außengrenze kommt - irgendwie haben Grenzgebiete etwas von Niemandsland. Schlechter könnte die gewundene schmale Landstraße kaum sein, erst am Eingang des Grenzübergangs wird sie besser. Es ist vergleichsweise wenig Betrieb auf dieser einst viel befahrenen Straße. Sie war Teil des "Autoput" von der Türkei über Sofia, Belgrad und Budapest nach Westeuropa. Jetzt warten am Grenzübergang Kalotina einige LKWs auf die Abfertigung, mit türkischen, bulgarischen und deutschen Kennzeichen. Und Linienbusse, die für wenig Geld Arbeiter in die weiter nordwestlich gelegenen alten EU-Länder bringen. Wie läuft die Abfertigung? Alles sieht problemlos und effizient aus, die Grenzpolizisten und Zöllner sind freundlich und lassen sich bei der Arbeit zuschauen.
Neu sind auch die Schilder an den Kontrollhäuschen - "Hier keine Zahlung, nur Passkontrolle!" - und damit ist klar: Mit Bakschisch läuft hier nichts. Oder nichts mehr - wie die Verantwortlichen von Zoll und Grenzpolizei nicht ohne Stolz erklären. Aber auch wenn in Kalotina Schmiergelder nicht gefragt sind - anderswo sieht es halt anders aus, wie dieser Busfahrer sagt: "Naja, in Serbien sind immer wieder mal 5 Euro fällig, wenn man nicht zwei, drei Stunden warten will." Und bei den Ungarn auch, wenn man nicht das ganze Gepäck gefilzt haben wolle, fährt er fort. Das sage natürlich niemand offiziell, aber sowas weiß man halt, und manchmal täten es ja auch ein paar Zigaretten.
Umsetzung von EU-Standards
Wie gesagt, in Kalotina gibt es das nicht, aber auch hier hat man mit dem Erbe der Vergangenheit zu kämpfen. Zwar ist der Krieg im benachbarten früheren Jugoslawien vorbei, aber dafür ist die bulgarisch-serbische Grenze nunmehr die Außengrenze der EU. Waren in den Kriegsjahren Waffen und Treibstoff die Hauptschmuggelgüter, fahnden die Zöllner jetzt nach Drogen und gefälschten Pässen - auch mit europäischer Unterstützung. So waren nach Auskunft des Chefs der Grenzpolizei bereits Leute vom Bundesgrenzschutz zu Besuch. Kalotina, am nordwestlichen Ende der Transitrouten durch Bulgarien, bietet ein Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung der EU-Standards. Doch wie sieht es anderswo aus?
Die neue EU-Außengrenze ist lang, sie windet sich von Kalotina südwärts bis zum Flüsschen Strumiza, dort bilden die EU-Nachbarn Griechenland und Bulgarien sowie Mazedonien ein Dreiländereck. In geringer Entfernung zur Grenze verläuft die alte Transitstrasse Belgrad-Sofia-Athen. Direkt an dieser Transitverbindung liegt Blagoevgrad, schon früher ein Zentrum des Schmuggels, heute genießt die Stadt den zweifelhaften Ruhm, die Gangster-Hauptstadt Bulgariens zu sein. Peter Ivanov, vom lokalen Radio meint scherzhaft, nirgendwo in Europa gebe es so viele Maybach-Limousinen wie in Blagoevgrad. Und er erzählt, was die Stadt für die Syndikate so attraktiv macht: "Wir sind eine Dreiländerregion: Bulgarien, Griechenland und Mazedonien."
Verbindungen zwischen Stasi und Mafia werden geleugnet
Szenenwechsel: Dimiter Ivanov, nicht verwandt mit dem Radio-Journalisten Peter Ivanov (26), ist heute Geschäftsmann und war einst als letzter Chef der Abteilung 6/IV der bulgarischen Stasi für die Kontrolle der Parteimitglieder zuständig. Sein Büro im zum Business-Center umfunktionierten ehemaligen sowjetischen Kulturzentrum in Sofia atmet noch ganz den Charme sozialistisch-spießiger Schein-Biederkeit - selbst der Geruch von damals scheint konserviert zu sein. Aber das nostalgisch-kommunistische Ambiente täuscht - die abgewickelten Millionendeals sind durchaus von dieser Welt und von europäisch-marktwirtschaftlicher Dimension.
Auch wenn nicht ganz klar ist, ob Ivanov seine Kaufmanns- oder seine Funktionärsehre gefährdet sieht - er betont, die frühere bulgarische Stasi habe mit der Mafia natürlich überhaupt nichts zu tun, ja, sie könne gar nichts mit ihr zu tun haben. Für diese These hat er auch eine Erklärung parat: "Das ist eine Propaganda-These, eine These der rechtslastigen Propaganda." Diese diene seit einiger Zeit schon der Diskreditierung der Bulgarischen Sozialistischen Partei. Als Zeitgenosse und als Geschäftsmann, der in diesen Jahren aktiv gewesen sei, sei er überzeugt, dass die gewalttätigen Gruppierungen, die Bandenstrukturen nicht von der Staatssicherheit gegründet worden seien. Die Personen, die dabei mitgewirkt hätten, seien in keiner Hinsicht mit der Staatssicherheit verbunden gewesen.
Berichte über die Schattenwirtschaft machen unbeliebt
Ganz anderer Auffassung als der zum Geschäftsmann gewandelte frühere Stasi-Abteilungsleiter ist da dessen früherer Geheimdienst-Kollege Zvetko Zvetkov: Man könne sehr wohl eine Verbindung zu den ehemaligen Geheimdiensten und zum damaligen Regime herstellen. Dies gelte vor allem für die Schattenwirtschaft, die teilweise damals entstanden sei.
Zvetkov, der in der Führungsriege des bulgarischen Geheimdienstes einst für die Bespitzelung der Intellektuellen zuständig war, bemühte sich später darum, Licht ins Dunkel der geheimdienstlich-mafiösen Machenschaften zu bringen. Dass er damit nicht nur Freunde hat in Bulgarien, versteht sich von selbst.
Gutbürgerliche Renten für Ex-Politbüromitglieder
Vor unserem Taxi zurück zum Flughafen fahren zwei Geländewagen einer privaten Baufirma - hervorgegangen ist sie aus einer Spezialabteilung der früheren bulgarischen Volksarmee. Denn Angehörige nationaler Minderheiten wurden damals sicherheitshalber zum waffenlosen Dienst rekrutiert und schufteten als Bausoldaten. Privatisierung kann eben vielfältig sein - Ex-Politbüromitglied Jotov hat dafür eine Erklärung: "Der Nato- und der EU-Beitritt sind weitere Schritte im konterrevolutionären Vorgang in Bulgarien." Wenn man sich des Klassencharakters der EU bewusst sei, müsse man zu der Schlussfolgerung kommen, dass es sich dabei um eine Union der konterrevolutionären europäischen Bourgeoisie handele. Denn die Mitglieder seien ja europäische bourgeoise Staaten.
Auch wenn der - wie Ex-Politbüromitglied Jotov sagt - bourgeoise bulgarische Staat dem Polit-Rentner vielleicht keine allzu fürstliche Pension zahlt, gutbürgerlich ist sie aber allemal. Und allem Partei-Chinesisch und allen Mafia-Schatten zum Trotz - am Flughafen wünschen große Schilder eine gute Reise - und ein baldiges Wiedersehen im EU-Land Bulgarien.