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App für Manisch-Depressive

Gudrun Heise29. April 2015

Job gekündigt, den Partner verlassen, finanziell ruiniert - so kann im schlimmsten Fall eine Manie enden. Danach folgt oft die Depression. Eine Studie könnte Lösungsansätze bieten.

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Smartphone-App für Manisch-Depressive (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Ein Smartphone und eine App - das sind die Bestandteile eines neuen Projektes der Universität Dresden. Es soll Menschen helfen, die unter bipolaren Störungen leiden, also manisch-depressiv sind. Rund 800.000 sind es allein in Deutschland. So genannte manische Episoden mit extrem euphorischen Gefühlen wechseln sich mit depressiven Phasen ab. Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Das ist der Kreislauf, in dem diese Menschen leben.

Das schlaue Telefon

Beim "App-Projekt" machen sich Mediziner und Wissenschaftler zunutze, dass Smartphones mittlerweile zum Alltag gehören, dass wir mit ihrer Hilfe kommunizieren. Das Karlsruher Institut für Technik (KIT) hat die App entwickelt. Ziel des Projektes ist es, eine Art Warnsystem zu entwickeln. Es soll dabei helfen, mögliche manische oder depressive Episoden bei den Betroffenen so früh wie möglich zu erkennen. Für jeden Teilnehmer werden individuelle Schwellenwerte ermittelt. Werden sie über- oder unterschritten, deutet das möglicherweise auf eine Episode hin, und die Daten werden an den Arzt weitergeleitet.

Auf dem Smartphone gibt es verschiedene Parameter. So wird etwa das Kommunikationsverhalten nachvollzogen: Wie viele Anrufe hat der Patient gemacht? Wie lang dauerten sie? Wie viele verschiedene Nummern hat er gewählt? Wie viele SMS geschrieben? Bewegen sich die Personen schneller? Sind sie überdurchschnittlich aktiv? Das werde über einen Beschleunigungssensor im Smartphone gemessen, erklärt Emanuel Severus von der Dresdner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. "Über ein GPS-System wird registriert, wie viele Kilometer die Person zurücklegt. Eine Lichtsensorfunktion gibt Auskunft über das Schlafverhalten." Denn während einer Manie ist das Schlafbedürfnis extrem niedrig. All diese Informationen sollen dabei helfen herauszufinden, ob eventuell eine manische oder depressive Episode zu erwarten ist. Dann kann der Arzt entsprechende Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel Medikamente einsetzen.

Emanuel Severus (Foto: Emanuel Severus)
Dr. Emanuel Severus leitet die Spezialambulanz für Bipolare Erkrankungen in DresdenBild: Emanuel Severus

Ein stiller Helfer

Zurzeit läuft bereits eine Testphase mit 40 Teilnehmern. Sie muss noch ausgewertet werden. Für Juni ist dann der Start einer neuen Studie geplant. Eineinhalb Jahre soll sie bei jedem Patienten dauern. Beteiligt sind fünf deutsche Universitäten. Die Federführung liegt bei der Uni Dresden. Es gibt zwei Gruppen. Beide erhalten Smartphones mit Apps. Alle wichtigen Daten werden automatisch erfasst. Gibt es Abweichungen von den Schwellenwerten, leitet das KIT die Daten von nur einer Gruppe an den behandelnden Arzt weiter. Er kann unmittelbar reagieren, mit einem Telefonat oder einer SMS Kontakt zum Patienten aufnehmen und herausfinden, was mit ihm los ist. Wie häufig Episoden in den beiden Gruppen jeweils auftauchen bzw. welche Zeitspanne dazwischen liegt, das wird dann miteinander verglichen. So können die Leiter der Studie sehen, ob die App und die direkte Verbindung zwischen Arzt und Patient die Situation des Erkrankten verbessern.

Was kostet die Welt?

Gemeinhin assoziiert man mit manischen Episoden vor allem Stimmungsänderungen. Das sei aber nur die halbe Wahrheit, so Severus. "In der manischen Episode erfährt die Person eine Antriebssteigerung. Sie verfügt über eine größere körperliche Leistungsfähigkeit als normalerweise, ist sehr gesprächig und hat ein starkes Kontaktbedürfnis. Außerdem sind Menschen in dieser Phase in jeder Hinsicht sehr aktiv. Diesen Zustand kann man am besten als aufgedreht sein beschreiben, als überdreht und aufgekratzt", sagt Projektleiter Severus. Diese manischen Episoden erleben die Betroffenen subjektiv meist als außerordentliches Wohlbefinden. Alles scheint möglich, alles scheint machbar.

Selbstüberschätzung ist ein wesentliches Merkmal dieser Erkrankung. "Oft passiert es, dass diese Menschen ihre Arbeitsstelle kündigen, dass sie ihre Partnerschaften beenden und riskante Investitionen tätigen, sogar neue Unternehmen gründen. Dadurch verschulden sie sich natürlich. Beziehungen und Freundschaften brechen weg", erläutert Severus. "Das ist leider die Regel und nicht die Ausnahme." Nichts geht schnell genug. Es ist wie ein Rausch und kann bis zu mehreren Monaten anhalten, Zeit genug, um das Leben komplett zu ruinieren. Kontrollieren können Manisch-Depressive ihre Handlungen während einer ausgeprägten manischen Episode kaum. Irgendwann stehen sie vor einem riesigen Scherbenhaufen.

Ein tiefes schwarzes Loch

Extreme Stimmungsschwankungen sind typisch für Menschen, die manisch-depressiv sind, also unter einer bipolaren Störung leiden. Euphorie und das Gefühl von Ausweglosigkeit wechseln sich ab. Dann ist alles schwarz, es scheint keine Perspektive zu geben. "Bei Patienten mit depressiven Episoden kommt es regelmäßig zu Suizidgedanken und schlimmstenfalls auch zu einem so genannten erweiterten Suizid. Das bedeutet, dass der Patient Personen, die ihm nahestehen, mit in den Tod nimmt, weil er Angst hat, dass sie ohne ihn nicht sein können oder aber dass ihnen etwas Schlimmes passiert. Dazu gehört aber nicht, Menschen, die ihm fremd sind, zu töten", so Severus. "In der depressiven Welt gibt es keine Lösungen, es gibt nur Probleme. In der manischen Welt gibt es keine Probleme, es gibt nur Lösungen." Die App hat das Ziel, Menschen mit einer bipolaren Störung soweit wie möglich in Balance zu halten und den Arzt auf Probleme aufmerksam zu machen, bevor es zu spät ist.

Symbolbild Depression (Foto: Irna)
Bei einer bipolaren Störung kommt es zu manischen und zu depressiven EpisodenBild: Irna